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Ein Ausflug mit dem Abarth 695 Biposto

Der Giftzwerg

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Abarth

Der Abarth 695 Biposto ist so ziemlich der unsinnigste Kleinwagen seit dem seligen Renault Clio V6. Und mindestens ebenso spaßig wie dieser, wovon wir uns bei einer Ausfahrt zumindest teilweise überzeugen konnten

Varano (Italien), 5. Dezember 2014 – Eines vorweg: Der Abarth 695 Biposto ist so ziemlich der unsinnigste Kleinwagen seit dem seligen Renault Clio V6. Und mindestens ebenso spaßig wie dieser, wovon wir uns bei einer Ausfahrt zumindest teilweise überzeugen konnten.

Abgespeckt

Viel näher als im Biposto werden Sie mit einem Serienauto einem echten Cuprennwagen nicht kommen. Schließlich stand Abarths Assetto-Corse-Rennauto Pate. Und zur Abwechslung steht das nicht nur im Prospekt. Deswegen hat der Biposto keine Rückbank (Biposto heißt nichts anderes als Zweisitzer, das mit der Rückbank bot sich also an), keine Klimaanlage, kein Radio und keine Xenon- oder Nebelscheinwerfer. Dafür gibt es innen wie außen bemerkenswert viel Carbon oder exotisches Zeug wie Verstrebungen aus Titan. Abarth war im Weglassen so gut, dass der kleine Teufel nun unter 1000 Kilogramm wiegt. Das sind knapp 60 weniger als beim Standard-Abarth-500.

Etwas stärker

Um die Folgen der Diät noch radikaler zur Geltung zu bringen, hat man auch den 1,4-Liter-Turbomotor überarbeitet. Er ist jetzt nahezu identisch mit der Maschine des Assetto Corse, sprich: Ein wenig mehr Ladedruck, ein neuer Ladeluftkühler, eine Carbon-Airbox sowie ein Klappen-Auspuff von Akrapovic. Ergebnis: 190 PS. Bisher lag die Topleistung des Abarth-T-Jet-Motors bei 180 PS. Das Drehmoment bleibt mit 250 Nm gleich. Der Biposto protzt mit einem Leistungsgewicht von 5,2 kg pro PS und soll den Null-auf-100-km/h-Sprint in 5,9 Sekunden abspulen. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 230 km/h.

Klauengetriebe

Wie Abarths Rennwagen vertraut der Biposto auf ein höhenverstellbares Sportfahrwerk und - jetzt wird es richtig wild - ein Dog-Ring-Getriebe. Das ist im Prinzip eine Schaltbox ohne Synchronisation. Statt Synchronringen an den einzelnen Gangrädern gibt es hier Klauen, die aussehen wie der Inhalt einer Dose Frolic – daher der Name Dog-Ring. Keine Synchronringe, schnelleres Schalten und das zur Not auch ohne Kupplung - kostet schließlich ganz schön Zeit. Im Rennsport funktionieren diese Getriebe sequentiell, Abarth entschied sich jedoch für eine „normale“ Konstruktion mit H-Muster.

Nur im Verbund mit dem optionalen und, mit Verlaub, schweineteuren Dog-Ring-Getriebe wandern dazu eine verstärkte Kupplung mit leichterem Schwungrad und ein mechanisches Vorderachs-Sperrdifferenzial in den Biposto. Es ist das erste Mal, dass jemand so verrückt ist, ein derartiges Getriebe in ein Serienauto zu verpflanzen. Und weil Abarth das mit den Premieren ganz toll findet, bietet man erstmals auch ultraleichte Fensterscheiben aus Polycarbonat an, inklusive Schiebeschlitz. Wenn Sie weniger verrückt sind, kriegen Sie den Biposto aber auch mit einem normalen Fünfgang-Getriebe und ganz profanen Glasscheiben.

Einfache Farbwahl

Ebenfalls neu sind eine breitere Spur an beiden Achsen, Kotflügelverbreiterungen, ein Satz 18-Zoll-Räder von OZ und größere Brembo-Bremsen. Die inneren Türabdeckungen sind auf Wunsch eine dünne Schicht Carbon mit Schlaufen statt Türgriffen, man sitzt auf Sabelt-Rennschalen und bettet seine Füße auf liebevoll zurechtgeschnitteten Aluplatten. Wenn man das Bedürfnis hat, sich von Vierpunktgurten einschnüren zu lassen, kann man das ebenfalls tun. Weniger Auswahl hat man bei der Farbgestaltung. Es gibt genau eine: Außen mattgrau, innen titan.

Leichtes Spiel

Nach dieser ellenlangen Auflistung an Besonderheiten und Kuriositäten waren wir ziemlich neugierig, wie sich der Abarth 695 Biposto denn so anfühlt. Um das besondere Fahrgefühl noch ein wenig besonderer zu machen, fand die Ausfahrt bei unschönem, nasskaltem Dauerniesel auf der Rennstrecke im nahe Parma gelegenen Varano statt. Ein abschließendes Urteil darüber, ob der Biposto den Rest der Rennsemmel-Welt in Schutt und Asche legt, muss also leider ein anderes Mal gefällt werden. Auffällig ist, dass der frisierte Turbomotor extrem leichtes Spiel mit den 997 kg Lebendgewicht hat und in allen Lagen verdammt stramm im Futter steht. Dabei klingt er im Stand und unten heraus wie ein rülpsender Gorilla, was durchaus nett gemeint ist. Später wird der Gorilla zu einem infernalischen Turbo-Pfeifen, so als würde man unter einem sehr großen Föhn stehen.

Wir sind anfangs im „normalen“ 695 Biposto unterwegs. Normal heißt in diesem Fall Fünfgang-Schaltgetriebe und „elektronisches“ Sperrdifferenzial. Wie erwartet, lenkt der kleine Haudrauf sehr agil ein, mit einer angenehm schweren, wenn auch wie bisher eher gefühllosen Lenkung. Überraschend kommod haben die Ingenieure das Fahrwerk abgestimmt, zumindest in der normalen Stufe. Für den Rest ist dank Einstellungsmöglichkeit dann jeder selbst verantwortlich. Die Schaltung ist etwas weich und will nicht so recht zu dem Rennwagen Biposto passen. Sportlicher ist da schon das permanent fliegende Heck, das sich aus der Mischung von extrem kurzem Radstand und extrem nasser Strecke ergibt. Die Vorderachse bemüht sich mit Bremseingriffen um Traktion, dennoch bleibt das Vorankommen auf dem seifigen Untergrund schwierig.

Rennsport-Getriebe

Umso schöner ist es, dass der Wechsel auf einen Biposto mit Dog-Ring-Getriebe einer Offenbarung gleichkommt. Eine knappe Runde muss man sich daran gewöhnen, dass die Schaltwege wirklich so kurz sind, dann zündet die Klauenbox ein einziges Gangwechsel-Feuerwerk. Obwohl uns mit Verweis auf die Haltbarkeit empfohlen wurde zu kuppeln, geht jeder Schaltvorgang gefühlt drei Mal so schnell vonstatten. Einbußen in Form von grobschlächtigen Geräuschen oder harten Schlägen gibt es nicht.

Natürlich verwandelt auch das mechanische Sperrdifferenzial die Fahreigenschaften des Autos gewaltig. Sogar bei diesen Bedingungen spürt man deutlich mehr Traktion beim Herausbeschleunigen aus der Kurve. Richtig einschätzen können wir die Gripverhältnisse des Mini-Supercars aber noch nicht. Bei dem Aufwand, den Abarth betrieben hat, mag diese Aussage komisch erscheinen, aber erst mit der Dog-Box und der mechanischen Sperre fühlt sich der so arg spezielle Biposto wirklich speziell an. Apropos: Einen faden Beigeschmack hinterlässt das nicht abschaltbare ESP, das zumindest im Regen mit harter Hand regelte. Ob es bei Trockenheit weniger strikt ist, wissen wir natürlich nicht. Zu einem radikalen Sportgerät wie dem Biposto mag diese Restriktion aber nicht so recht passen.

Und trotzdem: Der Abarth 695 Biposto ist ein sehr fähiges, sehr schnelles und sehr spaßiges Spielzeug. Mit Ausstattungen und Materialien, die man in dieser und wohl auch der nächsthöheren Klasse nicht mal ansatzweise finden wird. Dieser Umstand schafft eine zumindest etwas sanftere Überleitung zum Preis. Der liegt bei 39.900 Euro. Und nur, dass wir uns richtig verstehen – das ganze irre Zeug ist da noch nicht inbegriffen. Jetzt also bitte gut festhalten: Das Dog-Ring-Getriebe kostet 10.000 Euro, die Racing-Fenster liegen bei 2500 Euro. Und wenn Sie das sogenannte „Kit Carbonio” wollen, unter anderem mit Armaturenbrett-Blenden und Türverkleidungen, kostet Sie das weitere 5000 Euro.

Irre teuer, bereits vergriffen

Außerdem gibt es noch ein „Kit Pista” mit Datalogger, Renngurten, Carbon-Sitzschalen und einem Helm für 5000 Euro sowie das „Kit 124 Speciale“ mit Alu-Motorhaube und ein paar Titanverschlüssen für Tank, Öl und Kühler für 4000 Euro. „Volle Hütte“ liegt der Biposto also bei 66.400 Euro. Herkömmliche Kompaktsportler wie ein Ford Fiesta ST kosten in etwa ein Drittel, ein BMW M4 liegt knapp 6000 Euro drüber. Und dennoch ist die 2014er-Produktion von 50 Autos bereits vergriffen. Der Biposto wird bei Abarths Rennsportabteilung gebaut und die schafft ein Auto am Tag. Die Verantwortlichen gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte der Kunden zum Dog-Ring-Getriebe greifen wird. Trotz des horrenden Aufpreises würden wir das auch empfehlen. Schön, dass es Verrücktheiten wie den Biposto gibt. Und schön, dass Abarth Fans hat, die so etwas auch kaufen.

Anreise, Verpflegung und Probefahrt gingen auf Kosten des Herstellers.


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