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Test Renault Espace dCi 160

Bleibt alles anders

Fahrberichte Martin Franz
Renault Espace

Renault hat den großen Van Espace neu erfunden. Das Resultat ist ein interessantes Auto mit Optimierungspotenzial, was Verarbeitung und Motor anbelangt. Doch die Chancen stehen gut, dass der fünfte Espace seine Käufer finden wird

München, 4. März 2016 – Tankstellen sind mit unter ein Ort rarer, zwischenmenschlicher Offenheit, was insbesondere dann gilt, wenn sie mit (noch) seltenen Autos besucht werden. Bei einer Nachfüllung des Espace-Tanks sprach mich neulich ein Herr um die 50 an, ob das nur eine verunglückte Designstudie, die sich auf die Straße verirrt habe oder wirklich der neue Espace sei. Als ich letzteres bejahte, bekreuzigte er sich und murmelte uncharmant, dem Designer sei wohl das Augenlicht abhanden gekommen. Ein paar Tage später meint ein Nachbar sichtlich begeistert, die anstehende Entscheidung für ein neues Familienauto hätte aber ein „spaciges“ Ende genommen. Zwischen diesen beiden Extremen scheint kaum Platz zu sein, denn gleichgültig war der Wagen optisch kaum jemandem. Doch Renault hat den Espace nicht nur äußerlich neu erfunden, sondern auch das ganze Konzept drumherum. Diese Ausfahrt wurde nicht nur deshalb mit besonderer Spannung erwartet, ist doch der Espace der erste Vertreter einer Generation, zu der auch Mégane und Talisman gehören.

Neu erfunden

Mutlos war Renault schon beim ersten Espace nicht, und auch beim neuen kann das nun wirklich niemand behaupten. Wohl auch aufgrund von rückläufigen Zulassungszahlen im Van-Segment hat der fünfte Espace mit seinem Vorgänger nur noch wenig gemein. Doch dass Renault mit dem Neuen konzeptionell dem nun nicht gerade erfolgsverwöhnten Peugeot 5008 folgt, ist je nach Betrachtung mutig oder wahnsinnig. Schließlich hätte man den letzten Espace nach einer Bauzeit von 12 Jahre auch still und leise aus dem Programm nehmen können. Stattdessen erfindet Renault den Wagen fast gänzlich neu.

Dafür blieb weder außen noch innen etwas so, wie es mal war. Der Espace wirkt gedrungen, selbst die optionalen 19-Zoll-Felgen, auf die Reifen mit einer Flankenhöhe 55 aufgezogen waren, füllen die Radhäuser optisch nicht aus. Die ansteigende Fensterlinie reduziert die Rundumsicht nach hinten gewaltig. Beim Einparken helfen ein „Easy Park-Assistent“ und eine Rückfahrkamera, die als Extra ab der mittleren Ausstattungslinie zu haben sind – nur das Basismodell geht leer aus. Einparksensoren rundum gehören aber stets zur Serienausstattung. Nach vorn ist die Sicht sehr viel besser, was auch an der geteilten A-Säule liegt. Auch die großen Außenspiegel helfen bei der Einordnung in den täglichen Verkehr.

Der Innenraum wirkt übersichtlich und größtenteils gut durchdacht, was nicht heißt, dass Renault sich nicht etliche Schrullen einfallen lassen hat. Dazu gehört ein Tempomat, dessen Schalter zwischen den Sitzen angebracht ist und nur zwischen 50 und 160 km/h funktioniert. Wenigstens kann er dauerhaft aktiviert werden und muss nicht bei jeder Fahrt neu eingeschaltet werden. Die USB-Anschlüsse sind unter einem Rollo so angebracht, dass es schon ein ganz besonders kurzes Exemplar sein muss, um das Rollo bei eingestecktem Stick schließen zu können. Eine einfache Drehung um 90 Grad, wenigstens von einem Anschluss, hätte das Problem entschärft. Auch die Wisch-Wasch-Automatik hat einen Bug: Erst laufen die Wischer an, danach kommt Wasser aus den Düsen. Dabei haben sich die Programmierer sogar noch die Mühe gemacht, nach ein paar Sekunden Pause nochmals nachwischen zu lassen, was eine ganz ausgezeichnete Idee ist.

Rudimentäre Information

Ärgerlich ist auch der rudimentäre Informationsgehalt der Anzeige für die Kühlmitteltemperatur. Die Skala hat ohnehin nur acht Balken, die normale Betriebstemperatur ist bei vier erreicht. Auf dem Weg dorthin nach einem Kaltstart geht es dann auch noch in Zwei-Balken-Schritten ohne Angaben von Temperaturwerten. Eine solche Anzeige erscheint ähnlich sinnvoll wie eine Waschdüse am Unterboden.

Dafür ist der Rest des Kombiinstrumentes gut ablesbar. Der Fahrer hat die Wahl zwischen verschiedenen Stilen und Farben. Renault hat einen aus unserer Sicht guten Kompromiss zwischen der Menge an gezeigten Informationen und der Übersichtlichkeit gefunden. Gleiches gilt auch für das Infotainmentsystem, bei dem oft mehrere Weg zum Zeil führen. Renault lässt den Kunden im Espace die Wahl, ob er die Bedienung über einen Touchscreen, den Drehsrücksteller oder die Lenkradtasten vornehmen will. Der Bildschirm reagiert vorbildlich auf Eingaben, die Bedienung ist meistens selbsterklärend und die Bedienflächen so groß, dass man sie während der Fahrt problemlos trifft – kein Vergleich zum kürzlich gefahrenen Ford Mondeo [1].

Das Multimediasystem des Renault Espace im Detail

Bei der serienmäßigen Musikanlage fällt ein Trick auf, den inzwischen einige Hersteller anwenden. Es scheint eine Überhöhung im Bassbereich zwischen 100 und 120 Hz zu geben. Damit soll vermutlich kaschiert werden, dass die Anlage mit tiefen Bässen unter 80 Hz so ihre Probleme hat. Je nach Musik fällt das mal mehr, mal weniger auf. Im Testwagen war die schon im Basismodell serienmäßige Anlage von Arkamys eingebaut, optional gibt es noch eine von Bose.

Der fünfte Espace bietet weniger Platz als sein Vorgänger, was insbesondere beim direkten Umstieg auffällt. Doch auch der Neue bietet reichlich Platz auf fast allen Plätzen. Die Sitze in der dritten Reihe sind für den Notfall gedacht und für längere Etappen höchstens Kindern zuzumuten. Vorn hätte sich der Autor einen längeren Verstellbereich nach hinten gewünscht. So trifft das Knie immer auf eine Kante an der Mittelkonsole. Die Sitze im Testwagen waren mit braunem Leder bezogen und sehr bequem. Die Kopfstützen lassen sich weit nach oben ausziehen, arretieren aber nur in der Höhe stabil. Die Neigungsverstellung gab schon bei leichtem Druck nach.

Nachlässigkeiten

Dieser Punkt gehört zu einer Reihe von Nachlässigkeiten, die hoffentlich schnell abgestellt werden. Denn der Testwagen ließ hinsichtlich seiner Verarbeitung noch Wünsche offen. Die Heckklappe war schief eingebaut, an den vorderen Türen gab es Schleifspuren, die darauf hindeuten, dass die Karosserie sich verwindet. Die Lampe im Handschuhfach war gebrochen und die ein oder andere Verkleidung nicht hundertprozentig sauber eingepasst. Da der Testwagen schon eine Laufleistung von 18.000 Kilometern hatte, schließen wir auf ein frühes Baujahr und hoffen, dass Renault hier mit zunehmender Fertigungsroutine besser wird. Bedenklich scheint aber, dass ein Auspuff nach einem Winter bereits Rostansätze aufweist.

Starker Diesel lässt Wünsche offen

Der Testwagen war mit dem stärksten Dieselmotor ausgestattet, der mit einem Sechsgang-Doppelkupplungstriebe zwangsverheiratet ist. Die Maschine leistet 160 PS und bietet im Maximum 380 Nm Drehmoment auf. Trotz seiner 1734 Kilogramm reicht das für anständige Fahrleistungen, doch überbordendes Temperament konnte keiner in der Redaktion feststellen. Alle Fahrer meinten, dass der Espace damit ausreichend ausstaffiert ist, doch viel weniger sollte es eigentlich nicht sein. Für den stärksten Diesel einer Baureihe dürfte es gern mehr sein. Dieser Problematik ist sich auch Renault bewusst. Um mit dem Talisman im wichtigen Flottengeschäft mithalten zu können, wird es nicht bei 160 PS bleiben können. Davon wird auch des Espace profitieren. Wir rechnen spätestens im kommenden Jahr mit leistungsstärkeren Dieselmotoren.

Im Großen und Ganzen klappt das Zusammenspiel mit dem Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe gut. Schaltrucke sind so gut wie nicht wahrnehmbar, die Schaltstrategie passt meistens. In der Stadt hatten wir allerdings ein paar Mal die Situation, dass die Drehzahl bei 2200/min gehalten wurde, obwohl ein kurzer manueller Eingriff zeigt, dass es mit 1500/min auch geht. Wird der Wählhebel nur kurz betätigt, wechselt das Getriebe nach ein paar Sekunden wieder in den automatischen Modus und schaltet zurück. Erst wenn der Hebel für drei Sekunden nach hinten gezogen wird, ist das Getriebe dauerhaft im manuellen Modus.

Optimistischer Bordcomputer

Renault verspricht im NEFZ 4,7 Liter. Bei einer hastigen Autobahn-Etappe waren es 10,5 Liter, bei einer betont zurückhaltend absolvierten Fahrt über leicht hüglige Landstraßen im Osten von München 6,3 – weniger waren es nie. Alles in allem kommt man im Alltag mit rund sieben Litern gut hin. Auffällig: Der Bordcomputer war stets etwas zu optimistisch. Der Dreisatz nach dem Tanken ergab, dass die realen Werte immer etwas höher lagen. Die Stickoxid-Grenzwerte der Abgasnorm Euro-6b hält Renault auf dem Prüfstand mit einem NOx-Kat ein. Auf eine Nachbehandlung mit einem teuren SCR-Kat und AdBlue verzichten die Franzosen derzeit noch.

Der Glaube hilft

Der Testwagen war mit einem adaptiven Fahrwerk, 19-Zoll-Rädern und Allradlenkung ausgestattet. Generell ist der Espace was seine Federung anbelangt, ein herber Bursche. Mit etwas mehr Flankenhöhe wäre der Gesamteindruck wohl etwas angenehmer, denn über die Verhältnisse unter den flachen Reifen herrscht nie ein Zweifel. Wobei die Bandbreite des verstellbaren Fahrwerks klein ist. Um ehrlich zu sein: An einen Unterschied muss der Fahrer schon ein wenig glauben. Die Allradlenkung soll die Fuhre handlicher machen, was ihr in Maßen sicher auch gelingt. Allerdings gibt es sie nur im Paket mit 19-Zoll-Felgen, dem adaptiven Fahrwerk und einem elektrisch verstellbaren Sitz. Das alles kostet zusammen 2000 Euro, die wir anders investieren würden.

Ein Schnäppchen ist der Espace auch ohne dieses Paket nicht. In der mittleren Ausstattungslinie Intens kostet er mit dem 160-PS-Diesel 40.550 Euro. Dabei sollte der Interessent aber nicht nur die im Vergleich zur deutschen Konkurrenz bereits sehr großzügige Serienausstattung berücksichtigen, sondern auch noch eine „kleine“ Beigabe, die Renault einfach so mit dazu reicht. Gemeint ist die insgesamt fünfjährige Garantie bis 100.000 Kilometer. Das gibt es auch für den VW Sharan – gegen eine Zuzahlung von 1550 Euro. So gesehen ist der Espace nicht billig, aber sein Geld durchaus wert. Das dürfte als Argumentationsverstärkung bei den Händlern hilfreich sein bei jenen Interessenten, die sich noch nicht ganz sicher sind, ob es eine so futuristische Form sein soll.

Die Kosten für die Überführung hat der Hersteller übernommen, jene für Kraftstoff der Autor.


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[1] http://www.techstage.de/test/Ausprobiert-Ford-Sync-2-im-Mondeo-Hybrid-3025618.html