Das opulent verdichtete Leben ohne Dach

Cabrio-Ausfahrt: Mercedes S-Klasse, Bentley Continental GT Speed, Ford Mustang

Eine Ausfahrt mit Bentley Continental GT Speed Convertible, Mercedes S 500 Cabriolet, Ford Mustang Convertible zeigt beträchtliche Unterschiede zwischen den Konzepten. Und wie reizvoll die Kombination aus Unvernunft und reichlich Luft sein kann

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 30 Kommentare lesen
Mercedes, Bentley, Ford 20 Bilder
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Rudolf Skarics
Inhaltsverzeichnis

Ruttars, Friaul (Italien), 16. Juni 2016 – Es ist ja nicht so, dass Acht- oder gar Zwölfzylinder-Motoren auch nur in irgendeiner Form notwendig wären, und weiter noch, für viele sind sie sogar schon ein Synonym für das Böse am Autofahren an sich, für ungezügelten Umgang mit Ressourcen, und am Ende ließen sich sogar noch globale soziale Ungerechtigkeiten darauf reduzieren und dann daran festmachen. Und ich sage Ihnen, so schlimm ist das alles gar nicht, jedenfalls das mit dem Benzinverbrauch und auch mit den anderen Dingen. Im weiten Feld der Fragen zu unserem Mobilitätsverhalten spielt ein Achtzylinder ohnehin eine völlig untergeordnete Rolle.

Im Grunde geht es darum, dass diese Autos als Speerspitze für ein motorisches Begeisterungsverhalten gedacht sind, das sich ohnehin nur die wenigsten leisten können. Und für das viele Geld wird dann eben auch viel geboten, woran sich der autoaffine Mensch sehr erfreuen kann. Mercedes nimmt dabei für sich in Anspruch, immer noch ein bisschen besser zu sein als die anderen, und zwar in jeder Hinsicht. Der Mustang von Ford, in einer völlig anderen Preislage angesiedelt, ist andererseits gar nicht wirklich für uns Europäer gedacht, doch immer wieder ist es erfrischend, wenn sich ein dicker Amerikaner bei uns blicken lässt. Der Bentley wiederum stellt eine doch recht beachtenswerte um nicht zu sagen seltsame Erscheinung dar. Und damit sind wir schon mitten im Thema.

Massige Verkörperung der Quattro-Idee

Wahrscheinlich durch seine aristokratisch noble britische Vita wird der Bentley zuerst einmal eher falsch eingeschätzt. Spricht man dann noch über sein (Über-) Gewicht, liegt man charakterlich endgültig völlig daneben. Hier hinter dem Schilde der abgehobenen Luxusklasse weitab schnöder automobiler Bedürfnisse wird im Schoße der Volkswagen-Gruppe ein Eckpfeiler deutscher Ingenieurskunst zu neuen Höhepunkten geführt. Das wahre Geheimnis für Begeisterung liegt schlussendlich nicht allein in der großen Idee, sondern in der sorgsamen Pflege dieser. Was der 911er Porsche für den Sportwagen, ist der Bentley für das Thema Quattro. Höchste Weihe durch konsequente Modellpflege. Hier wird das, was sich bei Audi in den Zwängen des Alltags schon sehr verwaschen hat, auf die nächste Evolutionsstufe gehoben. Das ist Quattro, und der W12-Zylinder ist das Kernstück der musikalischen Neuinterpretation.

Wenn dir dieses Auto entgegen kommt, ist die Sorge groß, es könnte in der Wuchtigkeit seiner Erscheinung in der nächsten engeren Durchfahrt einfach steckenbleiben. Sitzt du hingegen selbst drinnen, galoppierst du leichtfüßig überall hin, ohne viel über die Masse, die du bewegst, nachzudenken. Der Bentley Continental GT Speed Convertible ist auf gnadenlose Art sportlich, unmittelbar direkt und faszinierend selbstverständlich im Umgang, also alles andere als seine demonstrative Korpulenz vermuten ließe. Dass der Bentley mit klassischen Armaturen und eher konservativem Ambiente schon ein bisschen älter wirkt als der Mercedes ist kaum eine Erwähnung wert, denn es geht hier nur um eines: Quattro.

Herbe Divenhaftigkeit einer Harley Davidson

Der Ford Mustang nähert sich dir in Form eines mittleren Kulturschocks. Der Körper außen geht noch: historisch korrekt geschnitten, eindeutig Mustang, Innen aber eine Plastiklandschaft, die kleinkarierte Geister wohl abschrecken würde. Hier entdecken wir Parallelen zur herben Divenhaftigkeit einer Harley Davidson. Auch nach dem Losfahren spielt er erst einmal den Abweisenden. Während die anderen beiden dir alle Mühsal abnehmen, darfst du dich beim Mustang zuerst einmal anstrengen, hoffärtig seine Art statt höflich könnte man sagen. Du ziehst am Lenkrad, presst deinen Hintern in den Sitz, trittst mit forschem Bein die Kupplung und klammerst dich regelrecht am Schalthebel fest. Aber schon nach der fünften Kurve hast du kapiert, worum es hier geht, nicht darum, dir das Leben zu erleichtern sondern die Erlebnisse zu verdichten. Wenn dein Hirn erst einmal zum passenden Schaltmodus gefunden hat, kannst du auch das eminente Saugerloch umgehen, dass nämlich der Mustang mangels Turbolader drehzahlmäßig bei Laune gehalten werden will, um Drehmoment zu liefern. Viele Dinge, die bei den anderen selbstverständlich sind, musst du dir hier erarbeiten und darin liegt das große Vergnügen.

Klassisches Konzept sensibel zeitorientiert interpretiert

Nähern wir uns nun also dem Mercedes: Das Design erfüllt tatsächlich hohe Ansprüche an Ästhetik, und man sieht auch, dass System dahinter steckt. Während oberflächliches Muskelspiel bei den kleineren Mercedes durchaus angesagt ist, und Möglichkeiten bestehen, das Auto per Konfigurator für viel Geld bis über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus aggressiv zu machen, steht hier beim S-Klasse Cabrio Elegance par excellence im Vordergrund. Wer die durch und durch noble Grundstimmung brechen will, hat immer noch die Möglichkeit, zu einer der beiden AMG-Varianten zu greifen.

Die Grundannahme, dass der S-Klasse-Interessent eine gewisse Reife besitzt, gilt mehr denn je, die reichen Rüpel, die sich früher manchmal hier rumgetrieben haben, sind längst in die SUV-Abteilung abgewandert. So schien es also nun wirklich Zeit, zum ersten Mal seit 1971 wieder eine Cabrio-Version der Limousine zu bringen, zwischenzeitlich gab es ja nur die Coupé-Varianten. Jedenfalls wirkt das neue Cabrio geradezu zurückhaltend, macht sich als gestalteter Körper nicht wichtig, aber jederzeit sieht man ihm den hohen Wert an.

Das Thema Cabrio wurde natürlich mercedesgemäß aufgedröselt mit supermultifunktonalem Heizungssystem und hochintelligenter Klimasteuerung, einem extraflauschigen mehrlagigen Verdeck und pyrotechnisch auslösendem Überrollbügel, auf dass auch die Fondpassagiere sich in Sicherheit im Wind wiegen mögen. Steifigkeit ist immer ein Thema bei Cabrios. Eine Schottwand aus Aluminium und Magnesium zum Gepäckraum kompensiert im Wesentlichen die fehlende Dachstruktur, das Heck aus Aluminium sorgt dann auch noch dafür, dass das Cabrio nicht schwerer ist als sein Coupé-Pendant.

Definition über fahrdynamische Qualitäten

Armaturen und Bedienkonzept stellen den allerletzten Stand der Technik dar, womit das Mercedes Cabrio in dieser Reihe auch als das modernste Auto gelten darf. Bei aller Freude über die zahlreichen Verwöhnmechanismen definiert sich dieses Cabrio dann doch ganz wesentlich über seine fahrdynamischen Qualitäten, wobei die Verstellmöglichkeiten für Fahrwerkshärte und Antriebscharakteristik eine untergeordnete Rolle spielen. Du willst es fein und schnell haben. Und das kann das Auto immer und überall. Der Rest sind Spielereien, nicht weiter von Bedeutung.

455 PS genügen, könnte man sagen, wobei für die ehrgeizigen Mitglieder der Hochleistungsgesellschaft in der AMG-Version zwei weitere Leistungsstufen zu haben sind, nämlich 585 PS achtzylindrig oder gar 630 PS zwölfzylindrig. Dabei kommt es im wahren Leben ja auf ganz etwas anderes an, nämlich aufs Drehmoment: 700 Newtonmeter sollten wohl reichen (900 bzw. 1000 bei AMG). Das üppige Drehmoment kommt natürlich nicht von ungefähr, sondern von zwei Turboladern.

Was wäre die ganze Kraft und Herrlichkeit, wenn man sie nicht auf den Boden bringen würde. Also hilft dabei die Neungang-Automatik, die noch eine weitere wichtige Aufgabe erfüllt, nämlich den Motor stets in einem Betriebsbereich zu halten, in dem er möglichst wenig Sprit verbraucht. Auch in diesem Sinne wird beachtliches geleistet. Unser Durchschnittsverbrauch über alle Anstrengungen hinweg, die nicht nur aus noblem Cruisen mit 130 km/h über die Autobahn bestanden, lag am Ende bei 11,1 l/100 km.