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Der Mehrling

Erste Ausfahrt: Audi RS4

Fahrberichte Stefan Grundhoff
Audi RS4

Audi S4 und RS4 kommen sich technisch gesehen näher, was das Topmodell in Erklärungsnot bringt. Denn anders als bisher ähneln sich die beiden Kraftpakete nun auch charakterlich. Ist der RS4 mehr als ein getunter S4? Ein erster Fahrbericht liefert Eindrücke

Der Übergang zwischen „Mehr als genug“ und „zu viel“ ist meist so schmal, das er oft genug kaum wahrnehmbar ist. Zumal eine solche Grenze, wie so viele Fragen des Konsums, auch einem individuellen Blickwinkel unterliegt. So gibt es Menschen, die ein Smartphone für mehr als 1000 Euro [1] für normal halten, andere langen sich angesichts solcher Summen an den Kopf. Ähnlich ist es bei Autos. Als ich kürzlich direkt von einem Volvo XC60 D4 [2] in einem Seat Ibiza [3] umstieg, brauchte ich nicht lang, um an dieser Entfettung großen Gefallen zu finden – wobei der Volvo durchaus kein unsympathisches Auto ist, sofern man diese Gattung eben mag.

Bei Audi kann man den A4 nun, bezogen auf die Leistung, zusätzlich zu „überreichlich“ auch in einer Art Vollfettstufe bestellen. Doch der RS4 wirklich nochmals deutlich besser als ein S4? Eine erste, kurze Ausfahrt sollte das klären.

Nur als Kombi

Anders als den S4 gibt es den RS4 nur als Kombi. Wer seinen Blick gelegentlich über deutschen Grenzen hinweg schweifen lässt, darf sich über diese Entscheidung durchaus wundern, denn die Karosserieform ist weder in Asien, Osteuropa oder Amerika sonderlich begehrt. Sei’s drum, so bekommt der schnellste A4 serienmäßig noch einen kleinen praktischen Nutzen dazu gereicht. Auch wenn die Enge der ersten muskulösen Mittelklasse-Kombis von Audi längst passé ist, sollte diese Talente keiner überbewerten: Eine Familie mit einem Kind dürfte gut zurechtkommen, an die Raumfülle eines minimal kürzeren Skoda Octavia Combi [4] kommt der A4 Avant aber bei weiten nicht heran.

Der Unterschied zwischen S4 und RS4 war in der Vergangenheit vor allem ein komplett anderes Motorenkonzept. Der S4 hatte einen Sechszylinder mit Kompressor, der RS4 einen V8-Sauger. Das Fahrerlebnis war dementsprechend ziemlich ungleich, was Kraftentfaltung und vor allem Geräusch betraf. Mit den aktuellen Modellen ist diese Differenzierung dahin. Beide haben einen aufgeladenen V6, im S4 mit drei Litern Hubraum, im RS4 mit 2,9 Litern. Der RS4 hat einen Bi-Turbolader, der ein Plus von 96 PS und 100 Nm ermöglicht.

Anreiz gesucht

In der Praxis ist der Unterschied zwischen beiden zwar spürbar, aber nicht überwältigend. Schon der S4 bietet mehr Leistung, als sich auf öffentlichen Straßen sinnvoll nutzen lässt, der RS4 hat schlussendlich noch mehr Reserven. Er bleibt das Modell für jene, die ungern im Wissen darum unterwegs sind, dass es noch eine Ausbaustufe mehr gegeben hätte. Doch was uns fehlt, ist ein zusätzlicher Anreiz, zum Topmodell zu greifen. Sicher, die Fahrleistungen sind nochmals besser, doch ein S4 wird auch im direkten Vergleich nicht zur Spaßbremse. Im RS4 fallen Überholmanöver noch etwas leichter, doch die Chance, sein Plus auszukosten, ergibt sich im täglichen Einerlei nur selten.

Sound und Ansprechverhalten sind im RS4 so, wie man es vom S4 her kennt. Mercedes geht da unserer Ansicht nach einen geschickteren Weg. Der Mercedes-AMG C43 hat einen Sechszylinder, die beiden C63 Achtzylinder. Alle sind, wenn es sein muss, verdammt schnell, vor allem aber charakterlich eigenständig. Das ist es wohl unter anderem auch, was C63-Kunden dazu verführt, den gewaltigen Aufpreis zum C43 zu zahlen.

Der ist auch bei Audi ziemlich üppig. Der S4 Avant ist ab 61.900 Euro zu haben, der RS4 Avant ab 79.800 Euro. Allradantrieb und Automatik ist in beiden Modellen serienmäßig. Dazu kommen gewaltige Unterhaltskosten, wobei schon der S4 nichts für Menschen mit halbwegs normalem Einkommen ist. Steuern, Versicherung und Wartung verschlingen Summen, bei denen man in diesem Fall dem Auto eine hohe Priorität einräumen müsste.

Teuer im Unterhalt

Ein RS4 ist nicht nur in der Versicherung nochmals teurer. Der Verbrauch im NEFZ liegt bei 8,8 Litern, was noch einmal 1,1 Liter mehr sind als im S4. Wer den abhängen will, wird diese Differenz eher noch vergrößern. Davon abgesehen sind Alltagswerte rund um 11 Liter schon im S4 die Regel, im RS4 dürften es knappe 12 sein, wobei es natürlich jederzeit auch mit deutlich mehr, allerdings nur selten mit erheblich weniger geht. Werte um 10 Liter erfordern schon einen sehr gemütlichen Fahrstil.

Für dieses viele Geld gibt es aber Fahrzeuge, die in dieser Hinsicht talentierter sind. Das Fahrwerk ist hart abgestimmt, Audi lässt zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran, wie sie den RS4 verstanden wissen möchte. Für fast 2000 Euro Aufgeld baut Audi verstellbare Dämpfer ein, doch selbst in der „Comfort“-Stufe bleibt der Kombi stets eindeutig auf der straffen Seite. Die Lenkung ist recht genau, ohne an die Präzision einer Lenkung im BMW M3 [5] heranzureichen.

Daseinsberechtigung

Sich zwischen S4 und RS4 entscheiden zu können, zeigt einmal mehr ganz nebenbei, welchen Wohlstand ein Teil dieser Gesellschaft erreicht hat. Der Teil muss so groß sein, dass Audi ihn mit gleich zwei Modellen relativ ähnlichen Modellen befriedigen will. Früher hatten beide mit der unterschiedlichen Charakterisierung ihre Daseinsberechtigung, heute fällt die Wahl dafür leichter. Wer sich aus der sehr, sehr langen Aufpreisliste bedient, statt diese in nur selten nutzbare Reserven zu investieren, macht keinen Fehler. Womöglich wird es die Zielgruppe anders sehen, doch die eingangs aufgestellte These beantwortet Audi mit S4 und RS4 recht deutlich.


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[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Volvo-XC60-D4-3862511.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-Seat-Ibiza-1-0-EcoTSI-Style-3889096.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-Skoda-Octavia-RS-3878107.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Vorstellung-BMW-M3-CS-3883242.html