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Tunnelblick

Fahrbericht Ford Focus 1.0

Fahrberichte Florian Pillau
Fahrbericht Ford Focus 1.0 Ecoboost

Als Massenware muss der Ford Focus möglichst viele Kunden ansprechen. Abweichungen vom maximal Anschlussfähigen werden kaum geschätzt. Der Ford Focus 1.0 Ecoboost scheint diesbezüglich gelungen. Darüber hinaus fährt er sich aber auch sehr angenehm

Automobile Grundversorgung ist gleichzeitig eine der einfachsten und schwierigsten Aufgaben. Zunächst der VW Golf und später Modelle wie der Ford Focus sind Massenware, sie müssen möglichst viele Kunden ansprechen und haben dabei mächtig Konkurrenz. Andererseits haben ihre Macher sie aus guten Gründen längst eingenordet und lassen sie in jeder neuen Generationen auf diesem bewährten Kurs.

Abweichungen vom maximal Anschlussfähigen werden kaum geschätzt. Was die Hersteller jedoch immer aufs Neue möglichst punktgenau hinbekommen müssen, ist die Anpassung an die jeweils weitergedrehten Verhältnisse. Das umfasst heute vor allem Assistenz und Effizienz, aber auch Modethemen wie die Smartphonisierung des Autos durch Connectivity und Bildschirme. Wie gut diese Art Tunnelblick mit dem Modellnamen „Focus“ heute korrespondiert, ahnte zur ersten Generation bestimmt noch niemand.

Platzangebot und Aerodynamik

Dass der Focus eine Neukonstruktion ist, sieht man von außen nicht auf den ersten Blick. Ford schien vor allem Platzangebot und Aerodynamik im Blick gehabt zu haben. Die Heckansicht hat sich stärker verändert, die breitere Klappe teilt die Rückleuchten, die nun nicht mehr so weit in die Flanke gezogen sind. Als praktischen Vorteil erkennt man auf den zweiten Blick den um fünf Zentimeter gewachsenen Radstand, der spürbaren Raumgewinn bringt. Der Platz auf der zweiten Reihe ist überdurchschnittlich. Bis 1,95 Meter messende Menschen passen problemlos. Angenehm ist der fast freie Durchstieg über den niedrigen Tunnel. Ford hat den Endschalldämpfer hinten quer gelegt, während andere Autos ihn tatsächlich längs unterm Fahrzeugboden verstecken. Meine Kollegen wünschten sich im Innenraum einen dem Preis angemessenen Materialeindruck und auch nicht nur ins Plastik geprägte Naht-Imitate auf den Türinnenverkleidungen.

Direktwahltasten, bitte

Die offensichtlichste Änderung betrifft das Armaturenbrett, es wurde verschlankt und wirkt nun geradezu schlicht im Vergleich zum Vorgänger. Echte Instrumente werden mit einem mittleren Bildschirm kombiniert. Nichts Neues, aber bewährt, so gut wie frei von Spiegelung und immer noch die beste mögliche Lösung. Was uns fehlt, sind Direktwahltasten für Grundfunktionen wie Radio, Navigation oder Telefonie, am elegantesten macht das BMW mit freier Belegbarkeit. Immerhin hat Ford uns einen Drehknopf für die Lautstärke gelassen. Die zahlreichen Lenkradtasten sind glücklicherweise selbsterklärend. Gut, dass der Bildschirm möglichst wenig Blickabwendung nach unten erfordert. Dazu trägt auch seine einfache und dadurch gut ablesbare Bildschirmgraphik bei. Nicht unbedingt nötig ist das Head-Up-Display mit seiner sehr klaren Darstellung auf eigener Scheibe.

Eine Empfehlung sind dagegen die aufpreispflichtigen LED-Matrix-Scheinwerfer. Sie bieten nicht nur guten Durchblick bei Dunkelheit sondern auch eine gekonnte Ausblendung von Gegenverkehr und Fahrzeugen auf der eigenen Spur. Neue Assistenzfunktionen richten den Hauptstrahl in Kurven hinein und erweitern ihn in Kreuzungsbereiche, wenn die Verkehrszeichenerkennung sie anhand der Beschilderung als solche erkennt.

Hörgenuss kostet Platz

Der Kofferraum fasst mit 375 Litern ähnlich viel wie bei gleich großen Autos, ein Kia Ceed bietet 395 Liter, ein VW Golf (Test) [1] 380, ein Toyota Corolla (Test des Hybridmodells mit 313 Litern Volumen) [2] 361. Wir messen eine maximale Höhe von 55 bis 78 Zentimetern, die Breite zwischen den Radkästen beträgt 1010, die Kofferraumbodenlänge 765 Millimeter und 1525, sobald die asymmetrisch geteilte Rückbanklehne umgelegt ist. Diese Übung macht die Ladefläche leider nicht völlig eben, immerhin entsteht keine lästige Stufe.

Dass nur der Focus Turnier in den Genuss einer um 80 mm breiteren Ladefläche und ein paar Litern mehr Inhalt kommt liegt an steiler gestellten Stoßdämpfern im Kombi. Das ist aber nur möglich, weil Ford alle Turnier-Modelle mit hinterer Einzelradaufhängung ausstattet. Die Verbundlenker-Hinterachse hingegen soll bei den Einstiegsmodellen die Ökonomie und in den kräftigeren ST-Modellen die Dynamik verbessern helfen. Mit dem Soundsystem von Bang und Olufsen schrumpft das Platzangebot weiter, wenn man mit dem serienmäßigen Notrad unterwegs ist: Dann sitzen Subwoofer und Verstärker zwischen Rad und Kofferraumboden.

Nicht deutlich verbessert hat Ford den Ausblick nach schräg hinten. Die Grundform verkleinert bereits die Fensterfläche, dazu kommt eine recht breite C-Säule und eine schmale Heckscheibe. Die Rückfahrkamera bietet ein gutes Bild, solange ihre Linse nicht verschmutzt ist. Der Weitwinkel wird so gekonnt eingesetzt, dass man beim Rückwärtsfahren sogar genau die Linie einer Parkplatzabgrenzung trifft. Nicht einmal diese einfache Übung beherrscht jede Kamera.

Gern mal abschalten

Der Focus ist ein leises Fahrzeug, Fahr- und Windgeräusche haben die Ingenieure in den Griff bekommen. Da bringt die Ausstattung mit einem Dreizylinder ein erhöhtes Risiko mit sich, dass der Motor aus der Gesamtkulisse besondern hörbar heraussticht. Nicht so beim Focus, unter dessen Haube es meist angenehm ruhig bleibt, wenn auch der Gehörseindruck eines noch so gut gedämmten Dreizylinders immer etwas lebendiger bleibt. Das gilt auch im Zweizylinderbetrieb, den der Dreizylinder im Teillastbereich bis 3250/min erstaunlich häufig nutzt. Da im Teillastbereich die Kraftabgabe aber wesentlich weniger Drehungleichförmigkeiten erzeugt, klingt der Zweizylinderbetrieb nicht im Geringsten störender. Nach Dreizylinder hört sich der Motor vor allem an, wenn man sich an die Schaltempfehlung hält und bei niedriger Last schon ab 1500/min hochschaltet oder über 4500/min. Mit dem aufgeladenen Dreizylinder erreichten wir einen Verbrauch von 5,7 Litern. Als nächste effiziente Motorisierung erwarten wir kommendes Jahr eine Mildhybridversion.

Mit dem manuellen Sechsganggetriebe passen Übersetzungsverhältnisse und Anschlussdrehzahlen. Dass es sich spürbar um eine Seilzugschaltung handelt, stört mich offenbar mehr als andere. Volkswagen kriegt das jedenfalls besser hin.

„Force Vectoring“ an der Hinterachse

Mit der Fahrwerksabstimmung fühlt sich der Focus noch ausreichend komfortabel und fast ein bisschen leichter an als er ist. Das liegt auch an der Torsionslenker-Hinterachse, bei der die Federn durch Form und Position einen Mitlenk-Effekt erzeugen, was Ford in Anlehnung ans Torque Vectoring [3] (Lenken mit Antriebskraft) marketinggerecht als „Force Vectoring“ (fahrdynamisches Eigenlenken) bezeichnet. Eine Eigenart dieser Auslegung ist zwar ein etwas stärker nach auswärts drängendes Heck, wenn der Fahrer in einer schnell genommenen Kurve vom Gas geht. Vertrauenerweckend sanft aber bestimmt greift dann aber das ESP ein. Spurrillen lassen den Focus kalt. Die Verbundlenkerachse verbessert die Agilität offenbar so gut, dass sie auch in den sportlich positionierten Focus ST-Modellen verwendet wird – einen direkten Vergleich hatten wir aber nicht. Beim 1,5-Liter-Dreizylinder und beim Diesel hingegen verwendet Ford die teurere und komfortablere Mehrlenker-Einzelradaufaufhängung.

Freundliche Hilfestellung statt herrischer Korrektur

Mit der direkten, aber etwas zu leichtgängigen und gefühlsarmen Lenkung fühlt sich der Ford zwar immer präzise, besonders auf der Autobahn aber auch leicht nervös an. Der Spurhalteassistent baut bereits früh ein vorsichtiges und Richtung Außenseite dann immer kräftigeres Gegenlenken auf. Das fühlt sich nicht nach herrischer Korrektur sondern vielmehr nach freundlicher Hilfestellung an – womit der Assistent seinen Namen tatsächlich verdient. Das gilt nicht für viele vergleichbare Vorrichtungen in Autos anderer Hersteller. Die 50er-Reifen auf dem Testwagen harmonierten gut mit der Fahrwerksabstimmung etwas mehr auf der „trockenen“ Seite. Ein vertrauenerweckendes Fahrgefühl erzeugt die Kombination aus dem Fahrwerk und den zupackenden und angenehm zu dosierenden Bremsen.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-VW-Golf-1-5-TSI-ACT-3751530.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Toyota-Corolla-2-0-Hybrid-4457372.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Wie-4x4-Hybrid-Antriebe-die-Fahrdynamik-neu-definieren-4410357.html