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Konservative Kraft

Fahrbericht: Genesis G90

Fahrberichte Stefan Grundhoff
Genesis G90

(Bild: Hyundai)

Leise, bequem, kräftig - der Genesis G90 bringt diese wichtigen Tugenden der Luxusklasse mit, wie ein ersten Fahreindruck zeigt. Doch es fehlen Innovationen, die ihn als Neueinsteiger von der etablierten Konkurrenz abheben. Damit wird er es auf dem europäischen Markt schwer haben

„Nun geht es aber wirklich los. Ganz bestimmt. Die Koreaner machen den in der Luxusklasse etablierten Herstellern ernstlich Konkurrenz.“ Wie oft gab es diese Ankündigungen schon – und wie oft wurde dann doch nichts daraus. Die Geschichte wird sich in Europa mit dem Genesis G90 wiederholen, was nicht nur daran liegt, dass ein fehlendes Image in dieser Klasse nur schwer zu kompensieren ist. Denn ein paar Dinge könnte der Hyundai-Konzern bei seinen teuersten Autos schon anders machen, wie eine erste kurze Ausfahrt zeigt.

Konservativ gezeichnet

Der Genesis orientiert sich in vielerlei Hinsicht an der europäischen Konkurrenz. Mit 5,2 Metern ist er ähnlich üppig dimensioniert wie die Versionen von S-Klasse [1], A8 und 7er mit langem Radstand. Optisch gibt er sich eher zurückhaltend, was in dieser Klasse keine schlechte Idee ist – eine allzu offensive Gestaltung wäre einer breiten Käuferschicht in diesem Segment wohl auch kaum zu vermitteln. Hinten erinnert der Genesis G90 etwas an die zwischen 2005 und 2013 gebaute Mercedes S-Klasse.

Das Platzangebot ist so opulent, wie es der Radstand von 3,16 Metern andeutet – auch Menschen mit sehr langen Beinen haben hier reichlich Beinfreiheit. Die Sitze selbst sind vorn wie hinten sehr bequem, das Geräuschniveau gering. Die Verarbeitung ist ausgezeichnet, die Materialien sind exquisit. So gesehen ist der G90 dort angekommen, wo er hin will, denn in all diesen Punkten ist er auf einem ähnlich hohen Niveau wie die Konkurrenz. Doch um sich von den Gegnern abzusetzen, reicht es nicht, alles ähnlich gut zu machen wie sie. Es braucht schon ein paar frische Akzente, um die anspruchsvolle Kundschaft zu locken.

Alte Werte

Schon die Gestaltung des Armaturenbrettes verdeutlicht, dass der G90 alte Werte pflegt. Zahlreiche Schalter und Knöpfe sind dort verstreut, was nach einer gewissen Zeit der Eingewöhnung nicht der schlechteste Weg sein muss. Doch die Sprachsteuerung funktioniert bei der Konkurrenz besser – hier wird sich mit der geplanten Überarbeitung sicher noch etwas tun. Doch ein modernes Bedienkonzept das dem Fahrer die Wahl zwischen Tasten, Touchflächen, Sprache oder Gesten lässt, ist nicht abzusehen. Trotz großem Display wirkt der Funktionsumfang des Infotainmentsystems nicht gerade innovativ. BMW bietet beispielsweise eine Verbindung mit dem Smartphone [2] an, die einen daran erinnert, wann man bei der aktuellen Verkehrslage losfahren muss, um sein Zeit rechtzeitig zu erreichen. Von solchen Ideen ist der G90 Jahre entfernt.

Dazu passt dann auch das Display zwischen den zwei Rundinstrumenten – funktional gibt es daran nichts auszusetzen, doch die anderen Hersteller bieten hier einfach Spielereien an. Die dort verbauten, großen Displays erlauben mehr Möglichkeiten, sich das Kombiinstrument nach seinen Wünschen einzurichten.

Zwei Benziner

Konservativ bleibt der große Genesis auch beim Motorenangebot. Geboten wird ein aufgeladener 3,3-Liter-V6 mit 370 PS und ein V8-Sauger mit 420 PS. Ein Wunder an Drehfreudigkeit sind beide nicht, im Fahreindruck liegen sie recht nah beieinander. Der Turbomotor wirkt im unteren Drehzahlbereich etwas lebendiger, der größere insgesamt noch etwas souveräner, was auch am Sound liegt. Der V8 klingt doch noch einmal etwas gelassener als der kleinere V6. Eine Achtgangautomatik und Hinterradantrieb sind Serie, wer mag, kann die Limousine auch mit Allradantrieb ordern. Den Verbrauch gibt Hyundai mit 18 bis 20 Meilen pro Gallone (US) an, was einem Verbrauch zwischen 11,8 und 13,1 l/100 km entspricht. In der Praxis liegt er locker bei rund 12 Litern plus X – bei beiden.

Ähnlich wie der Innenraum hinterlässt auch das Motorenangebot einen faden Beigeschmack. Ein neuer Mitspieler sollte, gerade wenn er gegen eine übermächtig scheinende Konkurrenz antritt, etwas entscheidend anders und letztlich natürlich besser machen. In der aufgeheizten Diskussion des zurückliegenden Sommers wäre die Ankündigung einer Alternative [3] zum Benziner ein gutes Statement gewesen. Egal, wie man zu den Plug-in-Hybriden mit ihren geringen Reichweiten und langen Ladezeiten steht: Ein kleines Zeichen dahingehend stünde einem neuen Anbieter gut zu Gesicht. Dabei geht es natürlich weniger um die Senkung der Kraftstoffkosten, sondern vielmehr darum, dass auch in dieser Klasse Verbrauchswerte nicht mehr vollkommen egal sind. Zumal sich in diesem Preissegment teure Innovationen viel leichter einpreisen lassen als in einem Hyundai Ioniq [4]. Schade, Chance verpasst.

Asiatische und amerikanische Vorlieben

Der Fahrwerksabstimmung ist die Orientierung hin auf asiatische und amerikanische Vorlieben anzumerken. Diese Ausrichtung ist konsequent, denn genau dort werden die meisten dieser Autos abgesetzt werden. Die schwere Limousine ist zwar keine Sänfte, insgesamt aber deutlich weicher abgestimmt als die deutsche Konkurrenz. An die Bandbreite und die Fahrwerksgüte derer kommt der G90 allerdings nicht heran. Und von spannenden Innovationen wie dem „sehenden“ Fahrwerk der Mercedes S-Klasse oder auch dem teilautonomen Fahren im neuen Audi A8 [5] ist der G90 weit entfernt.

Technisch sind die deutschen Konkurrenten in vielen Bereichen also ein gutes Stück voraus. Vor der Einführung des G90 2019/2020 in Europa will Genesis die Baureihe nochmals gründlich überarbeiten, was manch kleine Schwäche beseitigen wird. Doch der Abstand zu den deutschen Autos dieser Klasse mit ihren zahlreichen Innovationen dürfte damit nur unwesentlich kleiner werden. Bleibt für den Hyundai-Konzern also nur der Weg über den Preis. In Europa ist das in diesem Segment wenig aussichtsreich.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Mercedes-S-Klasse-Facelift-3687453.html
[2] https://www.heise.de/thema/Smartphones
[3] https://www.heise.de/autos/thema/alternative-Antriebe
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Hyundai-Ioniq-electric-3689951.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Audi-A8-Autonomes-Fahren-moeglich-3818019.html