Der Mercedes W202 ist brav, wird aber kaum geliebt.

Klartext: Hure, gewürdigt

Der Mercedes W202 rostet gern wie ein nigerianischer Piratendampfer. Folglich erfährt er kaum Pflege, während die Karosserie vom laufleistungszähen Motor fault. Aber muss das so sein? Eine gute Version macht nachdenklich

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Auf der Gebrauchtautosuche wurde schnell klar: Ein alter Mercedes (W202 oder W210) kann es schon einmal nicht werden, denn die sind alle in einem beklagenswerten Zustand. Wie das Leben so spielt, haben wir soeben einen W202 gekauft, einen Mercedes C 180 T aus dem Jahr 2000. Er belegt jedoch nicht nur, dass Pläne schmieden allein Gottes Unterhaltung dient, sondern auch die enormen Unterschiede zwischen "Jemand kümmert sich" und "mir doch egal".

Wie der regelmäßige Leser weiß, herrscht im Hause Gleich eine sektenartige Indoktrinierung in Sachen KFZ-Wartung, mit allen Scientology-Methoden: Scham generieren, Angst schüren, sozialen Druck ausüben, moralisch werten, alles. Ich bilde mir ein: Darin liegt einer der Gründe, aus der die Ninja 300 trotz täglichen Pendelbetriebs auch durch den fiesesten Winterdreck immer noch so gut dasteht. Tatsächlich ist sie das zuverlässigste, bravste Pferd im Stall. Diese meine Oppression dürfte auch ein guter Ausgangspunkt dafür werden, der neuen C-Klasse ein langes Leben zu ermöglichen.

Fest in Daimler-Hand

Der gekaufte Wagen stammt aus den Eigenzulassungen der Firma, die damals noch unter dem Namen "DaimlerChrysler AG" firmierte. Er fuhr dort eine Zeitlang als Firmenwagen, dann kaufte ihn einer der Ingenieure und ließ ihn aus Versicherungsgründen auf seinen Sohn zu. Von dort kauften wir ihn schließlich, denn von einer solchen Vorgeschichte können andere W202 nur träumen. Ich möchte gar nicht behaupten, dass Daimler-Mitarbeiter bessere Menschen seien. Nein, ich möchte generell verallgemeinern, dass Ingenieure bessere Menschen sind, wenn es um Maschinenpflege geht. Sie wissen schlicht besser, worauf es ankommt – vor allem bei Produkten ihrer Firma.

Denn der große Feind des W202 ist offenbar der Rost. Zur Bauzeit dieser Modelle stellte Mercedes an mehreren Stellen um, was auch jedes Mal dem Rotstift eine Chance gab, der in der Weisheit des zeitlichen Rückspiegels wie so oft auch verfehlt eingesetzt wurde. Auf dem Papier gleichwertige Zulieferer waren es in der Realität nicht. Manche Arbeitsschritte sollte man sich nicht sparen (Randentgratung). Und bei der Umstellung auf wasserbasierte Lacke (der Umwelt wegen) lernte nicht nur Mercedes einige schmerzhafte Lektionen. Als in Sachen Rost schon wieder etwas gebessert gilt das gekaufte Baujahr 2000. Allerdings haben wir auch aus diesem Baujahr so zerfressene Karosserien gesehen, dass ich bewusst "gilt" schrieb, weil es der Gebrauchtkäufer am Markt wie ich häufig schlicht nicht feststellen kann.

Auch unser W202 hat erkennbar Rost erlebt. Wie an anderen Fahrzeugen wurde er dann ausgebessert. Anders als an anderen Fahrzeugen geschah das jedoch fachmännisch. Vorne am linken Radlauf hatte sich der Rost schon einmal etwas tiefer ins Blech gefressen. Er wurde entfernt und das Blech innen im Motorraum nachlackiert. Hinter dem Nummernschild hat ein Karosseriebauer per Blech verstärkt, wo er Rost abgetragen hatte. An der Kofferraumentriegelung ist auch die wohl nächste Baustelle; dort löst sich am Rand der Lack schon etwas vom Blech. Ansonsten für diese Baureihe in einem bemerkenswert schönen Zustand.

Der Grund wird offenbar, als ich zur Demontage des hinteren Nummernschilds, das dort seit 16 Jahren festwächst, die Kofferraumdeckelverkleidung abnehme: alles voller Fett und Wachs. Dem Zustand des Autos nach zu urteilen wird es so wohl überall hinter den Kulissen aussehen. Die Frau ist so froh über das Ende der zähen Autokauf-Odyssee, dass sie bereits wild alle Formen der Karosseriekonservierung recherchiert. Indoktrination erfolgreich. Wenn Sie in Sachen Korrosionsschutz also Tipps haben: Immer her damit an cgl@heise.de.

KFZ-Elektronik ist auch so eine Klasse für sich

Wenn Menschen über Elektronik schimpfen, verteidige ich sie stets, um den eigentlich Schuldigen vorzuführen: die mit Featureitis einhergehende überhöhte Systemkomplexität. Elektronik an sich hat Kraftfahrzeuge deutlich zuverlässiger gemacht als vorherige, hauptsächlich mechanische Regelsysteme das schafften. Wie zum Beleg funktioniert an der C-Klasse alles bis auf den CD-Wechsler, den jemand irgendwann schlicht herausgenommen hat. Das herzerwärmend oldschoolige Briefmarken-LCD-Navi. Der Regensensor. Alle Servos. Die Getriebesteuerung. Die beiden Diebstahlwarnanlagen gegen Einbruch und Abschleppen. Klimaanlagensteuerung. Wenn Unterhaltungselektronik nur halb so zuverlässig wäre wie KFZ-Elektronik, würde das meinen Blutdruck im Alltag erheblich senken.

Entsprechend unauffällig leise und brav fährt der Wagen. Der Vorbesitzer merkte an, dass die Gummilager des linken unteren Querlenkers vorne wahrscheinlich zum nächsten TÜV in knapp zwei Jahren getauscht werden müssen, aber selbst das ist vorausschauende Wartung, denn bisher äußerten sich die Lager noch nicht mit den entsprechenden Geräuschen. Er erkannte es am Tragbild der Vorderreifenoberfläche. Wie so oft zeigt ein altes Auto, woran es bei neuen Autos hapert: an Übersichtlichkeit. Der kastige W202 parkt sich erfreulich einfach. Die Frau, die ja hauptsächlich damit fahren soll, kommt nach kurzer Eingewöhnung sehr gut damit zurecht. Meine Gebete "Lass es bloß keinen Ford C-Max werden!" wurden erhört. In allen diesen Minivans stehen die weit vom Fahrer entfernten A-Säulen immer saublöd genau dort, wo der Blick in Kurven entlang muss.

Dieser W202 gab mir also den Glauben an das Gute im Menschen zurück. Es war das einzige Auto, dessen Preis wie angegeben in der Realität überlebte, weil alle Wartungsarbeiten Laufleistungs-gerecht erledigt wurden. Getriebe gespült. Steuerkettenspanner erneuert. Alle Ölwechsel sowieso. Langjährige Wartungsstaus beheben kostet ansonsten nämlich schnell vierstellig noch im Anschaffungsjahr. Der C 180 bringt uns in eine merkwürdige Situation: Alte C-Klassen werden meist als Alltagshuren geritten, bis die Karosserie vom kaum zerstörbaren Motor fällt. Das Alter unseres C 180, sein Zustand und seine Geschichte lassen in uns jedoch den Plan reifen, dieses Auto weiter zu pflegen wie bisher. Jeder Benz wurde im Kontrast zum Vorgänger verachtet, bis seine H-Kennzeichen-Zeit kam. Dann war er plötzlich toll. "Man könnte diesmal ja den W202 etwas früher schätzen lernen", schrieb das Youngtimer-Blog. Das wollen wir mit unserem gerne tun.