Unterwegs im Toyota Mirai

Prius' Bruder

Der Toyota Mirai nutzt viele Komponenten des kommenden Prius. Den Strom für den 113 kW (155 PS) starken Elektromotor produziert eine wasserstoffbetriebene Brennstoffzelle. Wir fuhren ein Vorserienexemplar des Mirai erstmals in Deutschland ausführlich Probe

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Brennstoffzellenantrieb, alternative Antriebe, Hybridantrieb 14 Bilder
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Hamburg, 26. Juni 2015 – Hartnäckig hält sich das Gerücht, auf der IAA werde die vierte Generation des Toyota Prius vorgestellt. Die permanente Evolution zum Besseren, japanisch Kaizen, wird das Symbol der Hybridautos bei allen Parametern ein Stück fortschrittlicher erscheinen lassen. Sparsamer, moderner, mit mehr Hilfselektronik. Einen Sprung dagegen wagt Toyota mit dem Mirai. Um die Kosten dauerhaft zu senken, nutzt er viele Komponenten des kommenden Prius. Nur der Verbrennungsmotor fliegt raus. Stattdessen produziert eine mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle Strom für den 113 kW (155 PS) starken Elektromotor. Wir fuhren ein Vorserienexemplar des Mirai erstmals in Deutschland ausführlich Probe.

Der Eindruck dabei ist, wenn das Wort erlaubt ist, sehr toyotig. Das, was die Marke an den Verkaufszahlen gemessen zur weltweiten Nummer Eins macht, verkörpert auch der Mirai. Er wirkt solide und brav, und selbst das Design, das anfangs auf den Pressefotos polarisierte, ist in der Wirklichkeit unspektakulär und fließend. Die Tugenden der Bescheidenheit und der Alltagstauglichkeit haben Toyota international groß gemacht; der Name steht für die zuverlässige Fortbewegung von A nach B.

Im Detail ist die Lenkung gegenüber den aktuellen Hybridmodellen präziser geworden. Die Rückmeldung ist besser, ohne dass der Kraftaufwand zu sehr gestiegen wäre. Die Fahrwerksabstimmung ist, wie sie von einer 4,89 Meter langen Limousine erwartet werden darf, nämlich komfortabel sowie ohne übertriebenen Sportsgeist. Und der Fahrspaß hat, so forderte Firmenpräsident Akio Toyoda es mehrfach, im Vergleich zu anderen Konzernautos zugenommen, aber ein BMW ist das hier natürlich immer noch nicht.

Reichweite bis zu 658 Kilometer, Tankzeit drei Minuten

Kern der Sache ist das Antriebskonzept. Mit fünf Kilogramm Wasserstoff kommt der Mirai laut Normverbrauch (760 Gramm pro 100 Kilometer) auf 658 Kilometer Reichweite. Unser Wert lag bei einem Kilogramm, was ungefähr 500 Kilometern entspricht. Entscheidend ist das Gefühl: Der rudimentären Infrastruktur zum Trotz ist der Toyota Mirai die perfekte Kombination aus der Flexibilität des Verbrennungsmotors und kraftvollem Leisetreten der E-Maschine. Kein Gedanke kommt auf, wo denn die nächste Schnellladesäule steht und welche Zwangspause eingeplant werden muss.

Welcher Wert diese scharfe Abgrenzung zu den batterieelektrischen Fahrzeugen für die Kunden darstellt, ist entscheidend für Erfolg oder Misserfolg aller Brennstoffzellenautos. Das Ziel von Toyota jedenfalls sind die Massen. Man kalkuliert grundsätzlich, ob sich die Kosten eines Systems bei mehreren Hunderttausend Exemplaren pro Jahr ausreichend senken lassen, um im Ergebnis wirklich viele Käufer zu erreichen. Toyota sagt für die Fuel Cell: Ja, das können wir. Denn technische Neuentwicklungen am Mirai sind lediglich der Stack sowie die Drucktanks. Der Rest ist kostengünstige Ware aus der Hybrid-Massenproduktion. Selbst die konservative Pufferbatterie kommt wieder zum Einsatz.

Toyotas Ziel sind die Massen

Auf die Frage, ob man denn nicht an Fortschritt und Revolution der Batterien glaube, reagiert man bei Toyota gelassen. Niemals würde man sich hinstellen und den elektrochemischen Speicher schlecht machen. Stattdessen verweist man auf die über 200 Millionen Zellen, die man pro Jahr für die Hybridautos fertigt, dass das ein wichtiger Erfahrungsschatz sei und dass man batterieelektrisches Fahren im Stadtbereich wie beim dreirädrigen „i-Road“ für eine sinnvolle Lösung halte.

Das Risiko, das Toyota mit dieser Strategie eingeht, ist gering, und die Chance ist groß. Finanziell müssten die Japaner im schlimmsten Fall die Investitionen in Brennstoffzelle, Tanks und Fahrzeug abschreiben. Ob der Imageschaden signifikant wäre, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls gibt es genug japanische Zulieferer von Panasonic bis GS Yuasa, die jederzeit ein Umschwenken auf die Batterie ermöglichen – die Hybridplattform mit den durchweg elektrifizierten Nebenaggregaten würde auch das jederzeit hergeben.

Zum Preis von 78.540 Euro addieren sich beim Mirai keine weiteren Positionen. Die Vollausstattung ist inklusive. Nur die Farbe variiert, außen stehen sechs zur Auswahl, innen zwei. Alternativ kann der Mirai für 1219 Euro im Monat im Full-Service-Leasing bestellt werden. Das Vorserienexemplar hatte im Innenraum noch nicht die finalen Oberflächen. Viele Plastikteile waren lediglich Platzhalter. Dennoch war die Verarbeitung bereits hochwertig, und die Karosserie ist steif. Malus: Die Rückbank ist nicht umklappbar, und der für den Heimatmarkt wichtige Chademo-Ausgang für die Notstromversorgung eines Hauses fehlt in Europa.

Beim Gas geben – hier stimmt der Ausdruck wieder – hört man ein leises Hintergrundrauschen des Kompressors, der Luft in die Brennstoffzelle drückt. Insgesamt reagiert der Toyota direkter und giftiger auf Fahrbefehle als der eher behäbige Hyundai iX35 FCEV, den wir im letzten Sommer gefahren haben.

Den Verbrennungsmotor im Visier

Die Konkurrenz aber ist nicht das SUV von Hyundai. Der Mirai hat die Verbrennungsmotoren im Visier, die turbogeladenen Benzin- und Dieseldirekteinspritzer. Der Vergleich zu batterieelektrischen Fahrzeugen oder Plug-In-Hybriden findet nur im Kopf statt. Sobald man im Auto sitzt, ist das passé, und gerade Menschen, die sich nicht im Geringsten für Technik interessieren, fragen, warum das nicht alle so machen wie Toyota. Wasserstoff in drei Minuten an der bekannten Tankstelle reinpressen, und tschüss, das erklärt sich von selbst.

Die Kritik am System ist bekannt. Für eine flächendeckende Infrastruktur müssen drei bis fünf Milliarden Euro in die Hand genommen werden – unvorstellbar viel Geld für den Einzelnen, wenig im Vergleich zu den 70 Milliarden Euro, die jedes Jahr in Form von Benzin und Dieselkraftstoff in die Pkw-Tanks gefüllt werden.

Darüber hinaus liegt der Wirkungsgrad eines Brennstoffzellensystems niedriger als bei den Lithium-Ionen-Zellen heutiger Bauart. Ein Argument, das wertvoll werden kann, falls es sich im Fahrenergiepreis niederschlägt. Es sei daran erinnert: Der Verbrennungsmotor hat eine vernichtend geringe Effizienz, und von den 44 Millionen Autohaltern in Deutschland sind bisher wenig Klagen dazu zu hören.

Symbolische Preise

Am Ende geht es also ums Geld – und hier lässt sich noch kein seriöser Vergleich anstellen, da der Kilopreis von rund neun Euro für den Wasserstoff genauso symbolisch ist wie der Verkaufspreis des Mirai. Wer glaubt, dass Toyota sich mit der Initiative ruiniert, muss ernsthaft die Gegenfrage stellen und durchdenken, ob das Management verrückt geworden ist oder ob es vielmehr alle Trümpfe in der Hand hat: Die Option, über den Brennstoffzellenantrieb große Fahrzeuge über lange Strecken mit einem Maximum an Convenience zu betreiben. Und zugleich jederzeit auf den Batteriebetrieb wechseln zu können.

Zum Abschluss fiel uns die Verpackung einer Warnweste in der Türablage auf. Sie trug das BMW-Logo, ein sichtbares Zeugnis der Kooperation zwischen den beiden Herstellern. Wir dürfen also gespannt sein, was auf uns zukommt. Das Rennen um den Antrieb der Zukunft ist weiterhin offen.