Unter der Lupe der Leichenbeschauer

Mehr als 90 Morde konnte ein Krankenpfleger in Niedersachsen begehen, bevor er aufflog. Mit einer neuen, qualitativ besseren Leichenschau will Bremen solche Fälle künftig leichter entdecken.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Inge Wünnenberg

Ein Mann, der so viele Menschen umgebracht hat, dass er sich nicht mehr an jeden einzelnen erinnern kann: 90 Morde können Ermittler der Sonderkommission Kardio, die von der Polizeidirektion Oldenburg eingerichtet worden war, dem ehemaligen Krankenpfleger Niels Högel mittlerweile nachweisen. De facto aber weiß niemand, wie viele Menschen der Mann tatsächlich auf dem Gewissen hat. Schon heute wird ihm der zweifelhafte Ruhm zuteil, für die größte Mordserie eines Einzeltäters in der deutschen Nachkriegsgeschichte verantwortlich zu sein. Laut Soko-Leiter Arne Schmidt begannen die Morde des heute 40-Jährigen im Jahr 2000 am Krankenhaus in Oldenburg. Nachdem Högel 2002 ans Klinikum Delmenhorst gewechselt war, machte er dort mit seinen Tötungen weiter, wie die Süddeutsche Zeitung jetzt berichtet.

Erst 2005 wurde Högel von einer Kollegin erwischt. Als ein Patient im Zusammehang mit Högels Anwesenheit plötzlich schwere Herzrhythmusstörungen entwickelte, entnahm sie eine Blutprobe. Im Blut nachgewiesen wurde das Herzmittel Gilurytmal, dessen Verbrauch am Krankenhaus Delmenhorst in einem Jahr um mehr als 400 Prozent zugenommen hatte. Damals begann die Polizei, gegen Niels Högel zu ermitteln. Es stellte sich heraus, dass er seine Opfer mit insgesamt fünf verschiedenen Medikamenten in einen "reanimationspflichtigen Zustand" brachte, um anschließend jeweils bei der Wiederbelebung seine Fähigkeiten zu demonstrieren.

Natürlich sind diese Vorfälle ungeheuer bestürzend. Gerade weil man davon ausgehen muss, dass Högels Kollegen und Vorgesetzte zum Teil weggeschaut haben. Nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein kann. Trotzdem folgt jetzt auf die Mordserie immerhin eine positive Konsequenz. Denn nach einer mehrjährigen, zum Teil kontroversen deutschlandweiten Debatte hat der Stadtstaat Bremen zum 1. August zwingend die qualifizierte Leichenschau bei jedem im Land verstorbenen Menschen eingeführt, wie die Kassenärztliche Vereinigung Bremen informiert.

Die neue, verbesserte Leichenschau wird von einem besonders qualifizierten Leichenschauarzt des Institutes für Rechtsmedizin (IRM) vorgenommen, in Bremerhaven bis Ende des Jahres von einem Arzt des Gesundheitsamtes. In Zukunft soll allerdings ein Curriculum vorliegen, das jeder Arzt absolvieren und sich damit ebenfalls für die Leichenschau qualifizieren kann.

"Das neue Verfahren wird zu einer genaueren Analyse der Todesursachen und ihrer Hintergründe führen", zitiert die Ärztezeitung die Dienststelle der Bremer Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD). Außerdem werde einem anderen Anliegen der Justizministerkonferenz entsprochen. Denn nun würden eventuell unaufgeklärte Todesfälle, die zuvor meist unentdeckt blieben "einer Entdeckung und Aufklärung der Todesart zugeführt ". Im Klartext heißt das: Die qualifizierte Leichenschau soll helfen, Tötungsdelikte aufzudecken. Wenn die Maßnahme solche Katastrophen wie die Serie des mordenden Krankenpflegers künftig mit verhindern hilft – um so besser.

Einen Nachteil bringt das neue Gesetz allerdings mit sich. Die Angehörigen der Toten müssen nun mehr Geld bezahlen. "Die Gebühr bewegt sich voraussichtlich zwischen 175 und 185 Euro", sagte Christina Selzer, Sprecherin der Bremer Gesundheitssenatorin, der Ärztezeitung. "Bisher betrug sie 114 Euro." Auch auf diesem Gebiet geht mehr Qualität offensichtlich nicht nur mit mehr Aufwand, sondern auch mit größeren Kosten einher.


(inwu)