Autoexperte hält chinesische E-Autos für besser als erste Teslas

Die Pandemie hat lange den Vormarsch chinesischer Autohersteller verdeckt. Nun bestätigen Messen und Experten, dass einige Firmen zu Challengern geworden sind.

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Kein Tesla Model 3, sondern ein ET5 von Nio aus China.

(Bild: Nio)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling

Spätestens nach der diesjährigen Automesse IAA Mobility in München war auch dem letzten Autofan klar, dass Chinas Elektroauto-Offensive auch in Europa Chancen hat. Gleich mehrere Marken präsentierten strombetriebene Gefährte, die auch deutsche Ingenieure ernst nehmen mussten. Der chinesische Marktführer BYD (Build Your Dreams) kündigte sogar an, Marktführer in Europa werden zu wollen. Dennoch gab es Stimmen wie im Handelsblatt, die erklärten, "warum die Angst vor den chinesischen Autobauern übertrieben ist".

Dazu passt der Vorstoß der Europäischen Union, chinesische Elektroautohersteller wegen überhöhter Subventionen zu untersuchen. Es ist aber gefährlich, die Welle von Elektroautos aus dem Reich der Mitte kleinzureden. Denn die Hersteller haben den Umstieg auf die Elektromobilität genutzt, um nicht nur bei der Batterietechnik in die Weltspitze aufzuschließen, sondern auch in der Qualität und vor allem neuen, preiswerteren Produktionsprozessen.

So kamen die Analysten der Schweizer Bank UBS nach einer Demontage von einem BYD-Modell namens Seal zu dem Schluss, dass es einen Kostenvorteil von 25 Prozent gegenüber den Modellen europäischer Hersteller hätte, "selbst wenn er lokal auf dem Kontinent produziert würde".

Auch Asienkenner sind alarmiert. Die europäischen und japanischen Autohersteller müssten sehr aufpassen, warnt der Japan-Chef eines deutschen Zulieferers. Autoexperte Peter Fintl von Capgemini pflichtet ihm bei. Die Chinesen entwickelten Autos nicht nur sehr schnell, sondern auch "erstaunlich gut und konkurrenzfähig". Selbst Toyota, der weltgrößte Autohersteller, nimmt die Chinesen ernst. Die Japaner haben BYD zum Maßstab für ihre eigenen Elektroautos gemacht.

Fintl kann das aus eigener Erfahrung nachvollziehen. Er hat früher selbst in der Zulieferindustrie in China und Japan gearbeitet. Die ersten Fahrversuche, die China zu exportieren versuchte, seien vielleicht noch "ausbaufähig" gewesen, erinnert sich Fintl, der heute bei Capgemini die Abteilung Forschung und Insights leitet. "Aber jetzt mit der Covid-Pause hat sich in China unglaublich viel getan."

Viele Modelle seien ordentlich konstruiert, sogar besser als die anderer "Early Adopters" der Elektroautoindustrie, meint Fintl. Damit dürfte Tesla gemeint sein, dessen Modelle oft sehr unterschiedliche Fugenbreiten, im Fachjargon Spaltmaße, aufwiesen. Bei vielen chinesischen Modellen seien die Spaltmaße "1A" und die Anmutung des Innenraums sehr gut, sagt der Autoexperte.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Fintls Fazit: "Die haben da viel von der deutschen Industrie gelernt und versuchen aufzuholen." Hinzu komme ein starker Fokus auf Software, vor allem im Entertainmentbereich. "Damit haben sie eine Mischung geschaffen, die nicht nur in China Erfolg verspricht."

Dazu kommen die Kostenvorteile. Laut der UBS-Analyse rühren die zum Teil vom Verbau einfacherer Komponenten her. Den Großteil des Wettbewerbsvorteils führen die Analysten jedoch auf die hohe Integration von Fahrzeugkomponenten zurück. So stellt BYD 75 Prozent der Komponenten selbst her, darunter Batterien und Halbleiter.

Toyotas Ingenieure beobachten aber auch, dass BYD schneller und flexibler entwickelt. Das mag daran liegen, dass es bei der Entwicklung der Komponenten weniger Qualitätsschritte gibt als bei Toyota. Dafür kommen die BYD-Modelle mit modernerer und preiswerterer Technik auf den Markt als die über lange Zeit erprobten japanischen Autos.

Aber geht das wirklich auf Kosten der Qualität? Bei europäischen Crashtests erhielt der Atto 3 von BYD fünf Sterne. Und auch bei der Umweltverträglichkeit liegen die Chinesen vorn. Green NCAP, ein Konsortium europäischer Automobilclubs und Zertifizierungsorganisationen, vergab vergangene Woche die Höchstzahl von fünf Sternen an den Atto 3 von BYD und den Ora Funky Cat von Great Wall, einem weiteren chinesischen Hersteller.

Green NCAP bewertet, wie sauber und effizient die jeweiligen Modelle fahren. Ob die Autos nun im Dauerbetrieb auch Europäer in Qualität und Fahrspaß zufrieden stellen werden, muss sich noch zeigen. Aber das Autoteam von UBS sagt mit Blick auf Chinas Autobranche voraus, dass chinesische Marken ihren Weltmarktanteil bis 2030 auf 33 Prozent verdoppeln und in Europa von drei auf 20 Prozent erhöhen werden.

(jle)