Berg- und Talfahrt im Orbit

Der Mitte März gestartete ESA-Satellit GOCE wird zwei Jahre lang am Rande des Atmosphäre das Erdschwerefeld, die Meersspiegel und die Ozeanzirkulation vermessen

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Erst erscheint roter Rauch an der Spitze der Rakete, dann zünden auch schon die Triebwerke. Genau nach Plan startete gestern um 15 Uhr 21 die Rockot-Trägerrakete vom russischen Kosmodrom in Plesezk mit einer kostbaren Fracht an Bord – dem ESA-Satelliten GOCE. Die Abkürzung steht für "Gravity field and steady state Ocean Circulation Explorer". GOCE soll in den nächsten zwei Jahren das Schwerefeld der Erde mit bisher unerreichter Genauigkeit vermessen. Die daraus resultierende globale Gravitationskarte wird nicht nur eine zentimetergenaue Form der Erde – ein sogenanntes Geoid – liefern. Die Daten sollen auch helfen, geologische Prozesse im Erdinneren wie Erdbeben und Vulkanismus besser zu verstehen sowie Meeresströmungen und den Meeresspiegel präzise zu vermessen, um ozeanografische und klimatologische Erkenntnisse zu gewinnen.

Nach dem Start flog die Rakete mit GOCE zunächst nordwärts über die Arktis. Rund 90 Minuten später wurde nach einer Erdumrundung das knapp eine Tonne schwere Raumfahrzeug, das eher dem schnittigen Spaceshuttle als einem gewöhnlichen Satelliten ähnelt, erfolgreich auf einer kreisförmigen Umlaufbahn in 280 km Höhe ausgesetzt. In den kommenden sechs Woche wird GOCE langsam auf eine Höhe von etwa 250 Kilometern herabsinken und gleichsam auf Tuchfühlung mit der Atmosphäre gehen.

In dieser mit Absicht niedrig gewählten Flughöhe soll das Gefährt keiner idealen Umlaufbahn folgen. Stattdessen wird es gleichsam als Probekörper der mal mehr, mal weniger starken Erdanziehungskraft folgen und diese Berg- und Talfahrt millimetergenau vermessen. Ein Ionenantrieb gleicht dabei Bahnabweichungen aus, die nicht durch die Schwerkraft sondern zum Beispiel durch den Luftwiderstand verursacht werden.

Parallel dazu erfasst ein extrem empfindliches Elektrostatisches Gravitations-Gradiometer (EGG) im Inneren von GOCE die Schwankungen im Erdschwerefeld – mit einer räumlichen Auflösung von 100 Kilometern viel genauer, als es mit existierenden Methoden möglich war. Das EGG besteht aus sechs hochsensiblen Beschleunigungsmessern, die paarweise entlang drei senkrechten Achsen auf einer stabilen Struktur aus Kohlefaser-Verbundwerkstoff angeordnet sind. All diese Daten werden von Spezialisten im Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt in eine globale Gravitationskarte übersetzt.

Das Schwerefeld der Erde ist nämlich nicht überall gleich sondern unterliegt Schwankungen. Für diese Unterschiede ist zum einen die Form der Erde verantwortlich: Sie ist nicht genau kugelförmig sondern hat durch die Zentrifugalkräfte, die bei ihrer Rotation entstehen, eine an den Polen abgeflachte Form. So ist Erdoberfläche am Nord- und am Südpol näher am Erdkern und einer stärkeren Anziehungskraft ausgesetzt als die Gebiete am Äquator. Ein zweiter Grund für Unterschiede in der Erdanziehung ist die unebene Erdoberfläche mit ihren hohen Bergen und tiefen Ozeangräben.

Drittens spielt die örtlich variierende Zusammensetzung und Dichte der Gesteine eine Rolle, die zu einer unterschiedlich starken Anziehung der Meere und gleichsam zu "Beulen" und "Dellen" in den Wasseroberflächen führen. So ist der Meeresspiegel nicht überall auf gleicher Höhe: An einigen Stellen ist er bis zu 85 Meter höher als "Normal Null", an anderen wiederum 110 Meter tiefer. GOCE soll deshalb auch ein einheitliches Höhenreferenzsystem liefern, mit dem sich zum Beispiel Höhenmessungen auf verschiedenen Kontinenten oder der Meeresspiegel der Nordsee mit dem des Golfs von Mexiko vergleichen lassen.

Darüber hinaus versprechen sich die Forscher aus der genauen Formbestimmung der Erde ein besseres Verständnis der Meereszirkulation. Diese spielen für den Energiehaushalt und die Klimaregulierung der Erde eine wichtige Rolle – genauere Zirkulationsdaten würden zusammen mit den Änderungen des Meeresspiegel also helfen, präzisere Klimamodelle zu erstellen.

Nach GOCE ist noch eine ganzen Reihe von weiteren Erdforschungssatelliten geplant. Sie sollen die Atmosphäre, die Biosphäre, die Hydrosphäre, die Kryosphäre und schließlich das Inneren der Erde erforschen. Für dieses Jahr sind die Starts von zwei Missionen geplant: im Sommer soll SMOS zur Untersuchung der Bodenfeuchtigkeit und des Salzgehalts der Ozeane startet und im Spätherbst Cryosat 2, um die Dicke der Eisschichten zu vermessen. Darüber hinaus befinden sich folgende Missionen in der Entwicklung: Swarm zur Erforschung der Entwicklung des Magnetfelds (geplanter Start in 2010), ADM-Aeolus zur Erforschung der Dynamik der Atmosphäre (2011) und EarthCARE zur Untersuchung der Strahlungsbilanz der Erde (2013). (vsz)