Biogasanlagen: Wie es die USA nun auf Lebensmittelabfälle abgesehen haben

Essensreste landen meist auf Deponien, wo bei ihrem Verrotten das Klimagas Methan entweicht. Nun wollen auch die USA die Reste zur Energiegewinnung nutzen.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 35 Kommentare lesen
Rewe verdient im Internet noch kein Geld
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Casey Crownhart
Inhaltsverzeichnis

Manche Leute sehen in den Mülltonnen von Lebensmittelgeschäften einfach nur Müll. Aber andere sehen darin ein Geschäft. Bisher werden die Abfälle meist auf Deponien geschüttet, wo bei ihrem Verrotten das Treibhausgas Methan in die Atmosphäre entweicht. Doch nun entstehen in den USA immer mehr Biogasanlagen, in denen Mikroben Lebensmittelabfälle gezielt zu Methan und Kohlendioxid abbauen und das gereinigte Biogas zur Energiequelle wird.

Anfang März gab das Unternehmen Divert eine Finanzierungsvereinbarung mit dem Energieinfrastrukturunternehmen Enbridge in Höhe von einer Milliarde Dollar bekannt. Damit soll der Einsatz dieser Technologie weiter ausgebaut werden. Läuft alles nach Plan, könnte Divert bis zum Ende des Jahrzehnts insgesamt fünf Prozent der Lebensmittelabfälle in den USA verarbeiten, sagt Geschäftsführer und Mitgründer Ryan Begin.

Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums fallen allein in den USA jedes Jahr rund 60 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle an. Das entspricht etwa 30 Prozent des gesamten Lebensmittelangebots. Weltweit entstehen pro Jahr fast eine Milliarde Tonne Lebensmittelabfälle. Viele Deponien haben zwar Systeme installiert, um die entstehenden Gase aufzufangen, können aber laut der US-Umweltbehörde EPA oft nur 60 Prozent des emittierten Methans bewältigen.

"Wir müssen irgendwie mit diesem Abfall umgehen", sagt Meltem Urgun Demirtas, Leiter der Gruppe für Bioprozesse und reaktive Trennungen am Argonne National Laboratory. Die richtige Verarbeitung der Lebensmittelabfälle hilft nicht Methanemissionen zu vermeiden, sondern kann sogar Energie und Produkte wie Düngemittel erzeugen.

Eine dieser Möglichkeiten ist eben die anaerobe Vergärung durch Bakterien, die in Kläranlagen bereits auf der ganzen Welt zum Einsatz kommt. Immer öfter wird sie aber auch für andere Abfälle eingesetzt, zum Beispiel für die Gülleverwertung in landwirtschaftlichen Betrieben oder für weggeworfene Lebensmittel. Deutschland ist weltweit führend bei anaeroben Vergärungsanlagen: Es betreibt heute etwa 10.000 solcher Reaktoren. In den USA gibt es nur etwas mehr als 2.000, und nur ein paar Hundert nutzen Lebensmittelabfälle.

Die Technologie funktioniert so: Wenn Unternehmen Lebensmittelabfälle von Lebensmittelgeschäften oder -händlern erhalten, verflüssigen sie diese und verwandeln sie in einen "Abfallbrei", nennt es Divert-Geschäftsführer Begin. Nichtorganische Müllanteile wie Gummibänder, Aufkleber und Plastikverpackungen werden entfernt, und der Brei dann durch den Rest des Prozesses geschleust. Der Star des Ganzen ist die Gemeinschaft der Mikroben im Reaktor, die ähnlich wie ein Sauerteigstarter funktionieren. Sie verschlingen die Lebensmittelabfälle und verwandeln das wässrige Gemisch in die Endprodukte: Biogas und feste Gärreste, die dem Boden zugeführt werden können.

"Wir sind tatsächlich Mikrobenzüchter", sagt Shawn Kreloff, Geschäftsführer von Bioenergy DevCo, das ebenfalls anaerobe Vergärungsanlagen baut und betreibt. Um die Mikroben bei Laune zu halten, müssen die Anlagen für genau die richtigen Bedingungen sorgen. Das bedeutet einen engen Temperatur- und Säuregradbereich. "Außerdem mögen sie es nicht, wenn ihre Nahrung zu salzig ist", sagt Christine McKiernan, Chief Engineering and Construction Officer bei Bioenergy DevCo.

Die Kompostierung ist vielleicht ein bekannteres Verfahren für den Umgang mit Lebensmittelabfällen. Dabei erzeugen Mikroben ebenfalls ein festes, nährstoffreiches Material. Der große Unterschied besteht jedoch darin, dass die Kompostierung in Anwesenheit von Sauerstoff erfolgt, also aerob, sodass die Mikroben die Abfälle zu Erde zersetzen und dabei hauptsächlich Kohlendioxid freisetzen.

Ist ein Komposthaufen aber nicht ausreichend durchmischt, wird den Mikroben der Sauerstoff entzogen. Der Kompost wird dann auf natürliche Weise anaerob, also sauerstofffrei, und es entsteht Methan. Das ist dann eine schlechte Nachricht für Kompostieranlagen und den Planeten, weil die Anlagen oft offen sind. Über kurze Zeiträume ist Methan als Treibhausgas etwa achtzigmal schädlicher als Kohlendioxid.

Bei der anaeroben Vergärung ist die Erzeugung von Methan jedoch das Ziel. Da diese Anlagen versiegelt sind, kann das von Mikroben produzierte Gemisch aus Methan und Kohlendioxid, das sogenannte Biogas, aufgefangen und zu Biomethan gereinigt und als Ersatz für Erdgas eingesetzt werden.

Einige Erzeuger verwenden dieses Biomethan, das auch erneuerbares Erdgas genannt wird, oder das ungereinigte Biogas vor Ort und verbrennen es zur Energieversorgung ihrer Anlagen. Andere verkaufen es an Versorgungsunternehmen, damit es in bestehende Erdgasleitungen eingespeist und zur Stromerzeugung in Kraftwerken oder zum Heizen und Kochen in Haushalten verwendet werden kann.

Im Großen und Ganzen könnte die anaerobe Vergärung einen Nutzen für das Klima haben, aber wie stark der Prozess die Emissionen reduziert, hängt stark von den Details ab, sagt Troy Hawkins vom Argonne National Laboratory, der die Umweltauswirkungen von Energiesystemen untersucht.

Divert arbeitet mit über 5.000 Einzelhandelsgeschäften in den USA zusammen, um Lebensmittelabfälle zu sammeln und durch anaerobe Vergärung zu verarbeiten. Das Unternehmen betreibt derzeit zehn Fermenter-Standorte in den USA und versucht mithilfe von Nachverfolgungssystemen zu verstehen, warum bestimmte Lebensmittel überhaupt verschwendet werden, fügt Begin hinzu.

Der Einsatz von anaeroben Fermentern ist nicht billig: Eine Anlage in voller Größe kann Dutzende oder Hunderte von Millionen Dollar kosten. Die Planung neuer Anlagen nimmt auch viel Zeit in Anspruch, da die meisten für bestimmte Verarbeitungsaufgaben maßgeschneidert sind. Eine Anlage für eine Speiseeisfabrik kann anders aussehen als eine, die Abfälle aus Lebensmittelgeschäften wie abgelaufene Tiefkühlpizzen und alte Äpfel bis hin zu gebrauchten Speiseölen aus Restaurants aufnehmen kann, sagt McKiernan von Bioenergy DevCo.

Laut einem 2014 erschienenen Bericht der US-Bundesbehörden sind über 11.000 weitere Standorte in den USA reif für den Einsatz anaerober Fermenter, von Abwasseranlagen bis hin zu Standorten für Lebensmittelabfälle. Wenn all diese Anlagen gebaut würden, könnten sie genug Energie erzeugen, um drei Millionen Haushalte zu versorgen. Der Branchenverband American Biogas Council schätzt die Zahl der Anlagen auf 15.000, deren Bau insgesamt etwa 45 Milliarden Dollar erfordern würde.

Es wird nicht billig sein und es wird nicht schnell gehen, aber anaerobe Fermenter könnten in Zukunft ein wichtiges Ziel für Lebensmittelabfälle sein und dazu beitragen, die Tischabfälle der einen in Energie der anderen zu verwandeln.

(vsz)