Buchbesprechung: Der Kandidat – Sie zielen auf dein Innerstes

Mit seinem Tech-Thriller entführt uns der Wissenschaftsjournalist und Autor Christian Meier in die zwiespältige Welt der künstlichen Intelligenz.

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Buchbesprechung: Apache Kafka

(Bild: roibu/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Gerhard Samulat
Inhaltsverzeichnis

Christian J. Meier
Der Kandidat – Sie zielen auf dein Innerstes
dpunkt.verlag/Polarise, November 2021
416 Seiten, ab 9,99 € (digital und Print)
ISBN: 978-3-947619-61-0

Ein Blick in eine gar nicht so ferne Zukunft: Die Protagonistin Sophie König hat im Jahr 2041 eine Software namens "Carin" entwickelt, die einen digitalen Zwilling eines Menschen anfertigen kann, mit all seinen Ängsten, Träumen und Widersprüchen. Das weckt die Begehrlichkeit des undurchsichtigen Andy Neville, dessen Firma "Berlin Smart Communications" nicht nur seriöse Wirtschaftsunternehmen als Kunden hat – was König anfänglich aber nicht weiß. Da die Firma ihr Entwicklungsmöglichkeiten und Finanzmittel bietet, die sie an der Universität nicht bekommt, heuert sie dort an.

Mit diesem Plot entführt uns der Wissenschaftsjournalist und Buchautor Christian Meier in seinem Tech-Thriller "Der Kandidat – Sie zielen auf dein Innerstes" in die von künstlicher Intelligenz, dem Klimawandel und Pandemien geprägte Zukunft des Jahres 2041.

(Bild: dpunkt.verlag/Polarise)

Nach ihrem Einstieg bei Berlin Smart Communications erkennt Sophie König schnell, dass das Gebaren dieser Firma stark an Unternehmen aus ihrer Vergangenheit erinnert, wie etwa Cambridge Analytica. Mit Hilfe von "Carin" soll aus den persönlichen Daten aus dem Netz offenbar ein passgenaues Bild von Menschen gezeichnet werden, um sie durch "Microtargeting" zu gewünschten Wahlentscheidungen zu bewegen. Solche Methoden, die auch mit Deep Fakes arbeiten, sind im Jahr 2041 zwar strikt verboten – zumindest in Europa –, aber davon lassen sich einige zwielichtige Gestalten nicht abschrecken. Sie finden Mittel und Wege. Als Sophie König das erkennt, will sie es verhindern. Daraus entwickelt sich ein spannender Thriller.

Christian Meier fantasiert sich hier nicht einfach etwas zusammen. Er weiß genau, worüber er schreibt. Als langjähriger Wissenschaftsjournalist und RiffReporter (einer Genossenschaft für freien Journalismus) schreibt er regelmäßig über Chancen, Fallstricke und Abgründe der künstlichen Intelligenz. Durch seine journalistische Arbeit geht er in Forschungslaboratorien ein und aus. Das, was er dort zu sehen bekommt, hat er in diesen Thriller einfließen lassen – und ein Stückchen weitergedreht, ohne ins Utopische abzudriften. So, wie in dem Buch beschrieben, kann man sich die Zukunft in der Tat vorstellen.

Dabei beschränkt sich der Autor nicht nur auf Aspekte der künstlichen Intelligenz. Er greift zahlreiche heute brandaktuelle Themen auf. Beispielsweise geht es im Buch durchweg um die Einschränkungen des (zukünftigen) Lebens durch immer neue Varianten ansteckender Viren, und darum wie der menschengemachte Klimawandel Deutschland und insbesondere Berlin, wo der Thriller hauptsächlich spielt, zu tropischen Orten macht. Auch nationalstaatliche Tendenzen und die Gefahr eines Rechtsrutsches als Gegenbewegung gegen die Beschränkungen durch die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemien und des Klimawandels thematisiert Meier. Die Querdenken-Bewegung lässt hier grüßen. Über all dem schwebt das Thema Digitalisierung und Künstliche Intelligenz.

So will Sophie König einmal zu einem Treffen fahren und fragt sich, ob das die Kilometer wert ist, die von ihrem persönlichen Mobilitätskonto deswegen abgezogen werden. Kaum hat sie sich für die Reise entschieden, schlägt ihr persönlicher, digitaler Assistent unaufgefordert vor, doch einen Umweg zu fahren, weil auf der zwar etwas längeren Strecke weniger Menschen unterwegs sind und sich damit für sie die Ansteckungsgefahr verringert, sich mit einer neu ausgebrochenen Virusvariante zu infizieren.

Das Geschick, mit dem der Autor diese aktuellen Themen im besten Sinne des Wortes "weiterspinnt", machen das Buch ungemein lesenswert. Aber auch seine Sprache beeindruckt. Durch das gesamte Werk zieht sich eine Eloquenz, die man von einem Wissenschaftsjournalisten nicht unbedingt erwarten darf. Trotz des insgesamt eher technischen Grundrauschens finden sich keine komplizierten Ausdrücke und keine Schachtelsätze. Christian Meier bedient sich einer wohltuend einfachen und klaren Sprache. Spaßeshalber habe ich einen Textausschnitt aus seinem Buch von einem – vermutlich KI-basierten – Textanalysetool aus dem Internet analysieren lassen: Meiers Text schnitt deutlich besser ab als diese Rezension.

Gefällig ist ebenfalls die klare Struktur des Buchs: Die einzelnen Kapitel sind relativ kurzgehalten, sodass man vor dem Schlafengehen leicht ein, zwei oder auch drei Kapitel lesen kann.

Für alle, denen das Genre Sci-Fi-Thriller zusagt, ist "Der Kandidat" daher eine klare Leseempfehlung! Aber auch, wer nur mal eine Ahnung davon bekommen möchte, wie unsere Zukunft möglicherweise aussehen könnte, sollte den kurzweilig geschriebenen Thriller zur Hand nehmen. Den gewünschten Thrill liefert ein Hauch an Sexappeal und Brutalität.

Beim Lesen habe ich mich überdies immer wieder bei dem Gedanken ertappt, dass man dieses Buch eines Tages gut verfilmen könnte. Mich würde es zumindest nicht wundern.

Gerhard Samulat
ist Vorstandsreferent Presse bei der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG)

[Anmerkung d. Red.: Der dpunkt.verlag als Herausgeber des Buchs ist Teil der Heise Gruppe]

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