Der Schein der Moleküle

In Dresden wollen Firmen und Forscher mit organischen Leuchtdioden die Beleuchtungsindustrie umkrempeln.

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In Dresden wollen Firmen und Forscher mit organischen Leuchtdioden die Beleuchtungsindustrie umkrempeln.

Die gediegenen, holzvertäfelten Türen im Beyer-Bau der TU Dresden lassen nicht vermuten, dass hinter ihnen eine Revolution vorbereitet wird: In dem altertümlichen Backsteingebäude mit seinem Dach-Observatorium betreibt das Institut für Angewandte Photophysik (IAPP) eine Anlage zur Herstellung von organischen Leuchtdioden (OLEDs). Und wenn es nach dem dort arbeitenden Physiker Sebastian Reinecke geht, kann man Energiesparlampen und Halogenstrahler, ja selbst LEDs in wenigen Jahren vergessen. An ihre Stelle treten dann OLEDs: Folien, die tagsüber transparent sind und nachts in allen denkbaren Farben leuchten; hauchzarte, sanft glühende Globen und fluoreszierende Tapeten.

Wie zum Beweis solch kühner Thesen zeigt Reinecke ein zollbreites Glasplättchen vor, das er gerade durch zig Hochvakuumkammern geschleust hat, um es mit einem guten Dutzend Molekülsorten zu berieseln. Die Oberfläche des Plättchens schimmert milchig-weiß. Als er an die Fläche eine elektrische Spannung anlegt, strahlt sie gleichmäßig warmweißes Licht ab.

Dass spezielle Polymere sich wie Halbleiter verhalten müssten, hat der Chemiker Herbert Naarmann bereits 1969 in einem wissenschaftlichen Aufsatz postuliert. 21 Jahre später schufen Jeremy Burroughes und seine Kollegen aus der Forschergruppe von Richard Friend und Donald Bradley an den Cavendish-Laboratorien in Cambridge erstmals eine Leuchtdiode aus Kunststoff-Polymeren. Das Prinzip war denkbar simpel: Die Kunststoffpaste wurde auf einem Trägermaterial verstrichen und härtete dort aus. Legte man eine hinreichend große Spannung an das Material an, leuchtet der Film gelb-grün auf. Der Erfolg beflügelte die Fantasie der Industrie: Kunststoff ist sehr viel leichter zu verarbeiten als übliche Halbleitermaterialien – und vor allem billiger.

Doch Effizienz und Lebensdauer der OLEDs blieben jahrelang weit hinter der Konkurrenz zurück, denn ganz so einfach, wie die Pioniere der OLED-Forschung sich die Produktion vorgestellt hatten, funktioniert es eben doch nicht: Die Polymere aus der Anfangszeit wurden durch kleine organische Moleküle ersetzt, die mehr Licht aussenden. Da außerdem jede Verunreinigung die Lebensdauer herabsetzt, werden die OLEDs mittlerweile – genauso wie anorganische Halbleiterbauelemente – in Reinräumen hergestellt: Jedes kleinste Staubkörnchen könnte beim anschließenden Beschichten mit den bis zu zwölf teils nur wenige Nanometer dicken Halbleiter-Lagen die Struktur zerstören. Auch der Aufbau wurde immer komplizierter: Um möglichst viele der Ladungsträger zur richtigen Zeit am richtigen Ort im Bauteil zu haben, wurden immer mehr Schichten eingeführt. Und schließlich müssen die OLEDs vollständig gegen Sauerstoff und Luftfeuchtigkeit gekapselt werden.

Doch trotz all dieser Schwierigkeiten – in den letzten Jahren konnten die leuchtenden Kunststoffe aufholen: Mit im Schnitt rund 20 Lumen pro Watt (lm/W) sind warmweiße OLEDs zwar nicht so effizient wie Halogenstrahler (24 lm/W) und von der oft verhassten Energiesparlampe (65 bis 85 lm/W) noch weit entfernt. Doch die Glühbirne (14 lm/W) haben sie längst abgehängt, und Steigerungspotenzial ist zweifellos vorhanden: 2009 hat das IAPP einen reinweißen OLED-Flächenstrahler mit einer Effizienz von 90 lm/W vorgestellt. Die EU peilt mit ihrem Förderprogramm "OLED100" eine Effizienz von 100 Lumen pro Watt, eine Lebensdauer von 100000 Stunden, 100 mal 100 Zentimeter große Flächen und auf 100 Euro pro Quadratmeter reduzierte Kosten an. Einen Zeithorizont für diese ehrgeizigen Ziele nennt das Projekt vorsichtshalber aber nicht.

Doch mit der Technologie lässt sich bereits Geld verdienen – zumindest in Dresden. Das Unternehmen Novaled, 2001 als Spin-off der TU Dresden und des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme (IPMS) gegründet und seit 2003 aktiv am Markt, hat sich innerhalb weniger Jahre zum Weltmarktführer bei der Entwicklung von Strukturen und Material für OLEDs gemausert. Für 2010/11 peilt das Unternehmen einen Umsatz von rund 20 Millionen Euro an. Die Mitarbeiterzahl liegt derzeit bei 110.

Dreh und Angelpunkt dieses Erfolges sind die Leuchtstoffe, die in Dresden entwickelt wurden. Denn im Unterschied zu den ersten, noch simplen Modellen sind die aktuellen OLEDs weitaus komplizierter aufgebaut: Zwischen Anode und Kathode liegen heute mehrere sogenannte Leitungsschichten und eine mit Farbstoffen versetzte Emitterschicht – manchmal sind es bis zu zehn verschiedene, nur Nanometer dünne Halbleiterschichten. In die Emitterschicht werden die den Lichtfarben entsprechenden Farbstoffe eingebettet: Sie bestehen aus Kohlenstoff-Ringstrukturen, in die ein metallisches "Zentralatom" eingeschleust wurde. Die Farbe des Leuchtstoffs wird durch das zentrale Element – etwa Iridium, Germanium oder Platin – bestimmt. Anders als bei anorganischen LEDs wird weißes Licht durch Mischen der Grundfarben erzeugt – eine weiß strahlende OLED enthält einen roten, blauen und grünen Emitter.

Die Idee mit dem Metallatom ist Novaleds größter Schatz. Das Unternehmen besitzt Hunderte von Patenten auf innova-tive Materialien. An Erfindungsreichtum mangelt es nicht, aber es besteht auch noch erheblicher Forschungsbedarf – zum Beispiel bei der Feinstruktur der Emitterschichten und bei den verwendeten Blautönen. Blau ist die Achillesferse der weißen OLED – dieser Farbstoff ist am kurzlebigsten. Und außerhalb Dresdens steht schon die Konkurrenz in den Startlöchern: Anfang 2009 hat Philips mit der maßgeschneiderten Designer-OLED "Lumiblade" erstmals den Markteintritt angekündigt. Doch bislang stehen die Panels lediglich für Entwickler und Designer zur Verfügung, die faszinierende Ausstellungsstücke damit entwickeln. Anfang 2010 zog Siemens-Osram mit dem Flächenstrahler "Orbeos" nach – die wabenförmige, extrem dünne Lichtkachel mit 79 Millimeter Durchmesser ist nur in begrenzten Stückzahlen lieferbar und kostet pro Exemplar satte 251 Euro. Novaled-Chef Gildas Sorin sieht darin keinen Grund zur Sorge: "Es ist gut, wenn so etwas auf den Markt kommt – um zu zeigen, dass es geht. Aber ehrlich gesagt sind das präindustrielle Produkte."

Dass die Marktreife noch auf sich warten lässt, sieht Forscher Reinecke vor allem als Problem der Wirtschaft an. Die Technik sei da, die Großproduktion aber bislang noch schlicht zu teuer. "Das kann noch fünf Jahre dauern", glaubt der Forscher. Wenn es losgeht, ist er jedenfalls schon am richtigen Ort. (bsc)