Die USA hat keine Ahnung, wie sie die Covid-19-Testdaten verwalten soll

Die Bundesstaaten entscheiden selbst, wie sie Testergebnisse melden. Das Resultat ist ein chaotisches System, das die Pandemiebewältigung bremst.

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Die USA hat keine Ahnung, wie sie die Covid-19-Testdaten verwalten soll

(Bild: RossHelen / Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Neel V. Patel

Stellen Sie sich vor, Sie sind Epidemiologe oder Experte für öffentliche Gesundheit in den USA während der aktuellen Krise. Hochrangige gewählte Beamte haben Sie gerade kontaktiert, um Sie um Rat zu fragen, ob es sicher ist, einige Lockdown-Beschränkungen zu lockern. Für Ihre Antwort müssen Sie sich genauer anschauen, was die Covid-19-Testdaten aussagen.

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Sie benötigen also aktuelle Daten von der Website des Gesundheitsministeriums der jeweiligen Gerichtsbarkeit (und auch der benachbarten). Möglicherweise müssen Sie sich sogar direkt an die Abteilungen wenden und eine spezielle Anfrage stellen. Der gesamte Prozess ist eine langwierige, frustrierende Angelegenheit. Und am Ende bekommen Sie vielleicht nicht einmal, was Sie wollen, weil die öffentliche Gesundheit in den USA ein dezentrales System ist.

Zunächst meldet jedes staatliche Gesundheitsamt die Anzahl der positiven und negativen Tests. Danach gibt es allerdings keine einheitliche Datenhandhabung mehr. Die Staaten können etwa wählen, ob sie die Zahlen geografisch etwa nach Postleitzahl aufteilen, ob sie wiedergenesene Fälle und Todesfälle (weiter unterteilt in bestätigt und wahrscheinlich) melden, Krankenhausaufenthalte und Faktoren wie Beatmung oder Behandlung auf der Intensivstation aufzeigen, und ob sie demografische Informationen wie ethnische Zugehörigkeit, Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen der Patienten angeben.

Neue antikörperbasierte Testplattformen werden diese Probleme weiter verschärfen. Und es gibt keine Garantie dafür, dass die Ergebnisse von Heimtests an den Staat gemeldet werden. Es sei denn, dass jeder, der einen durchgeführt hat, alles in Bewegung setzt, um mit dem Gesundheitssystem in Kontakt zu kommen. Hinzu kommt, dass durch die unterschiedliche Genauigkeit dieser Tests nicht alle Ergebnisse das gleiche Gewicht haben – und folglich nicht auf die gleiche Weise gezählt werden sollten.

Wie aber lösen wir dieses Durcheinander? Die gute Nachricht ist, dass wir nichts Neues erfinden müssen, sondern nur die bereits vorhandenen Lösungen ausweiten müssen. Viele Gesundheitssysteme verwenden bereits einen Standard für die Verwaltung und Präsentation von Gesundheitsdaten, die sogenannten „Fast Interoperability Resources“ (FHIR). Die Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) in den USA verfügen über ein neues FHIR-basiertes Werkzeug, das aus neuen Testergebnissen und elektronischen Patientenakten automatisch Covid-19-Fallberichte erstellen kann. Anschließend kann es diese Berichte selbstständig an die Gesundheitsabteilungen senden. Die erste Version ist bereits verfügbar.

Erich Huang, stellvertretender Dekan für biomedizinische Informatik an der Duke University School of Medicine, hält es für entscheidend, dass die verschiedenen Computersysteme im Gesundheitswesen zusammenarbeiten können. Genau das soll die von der gemeinnützigen Organisation Logica entwickelte Open-Source-Interoperabilitätsplattform leisten, die das Sammeln und Organisieren aller Covid-19-bezogenen klinischen Daten für alle Gesundheitssysteme vereinfacht. „Ich finde, die Menschen sollten dafür offen sein und ihre Daten in dieses Format abbilden“, sagt Huang.

Andere Lösungen sind noch einfacher. Donald Thea, Professor für globale Gesundheit an der Boston University, schlägt vor, dass man theoretisch intelligente Geräte dafür einsetzen könnte, um die Durchführung aller PCR-basierten Tests zu erfassen und die Ergebnisse direkt an das lokale oder staatliche Gesundheitsamt zu senden, sobald sie vorliegen. Zudem sollten alle Kliniken, die noch keine Cloud-basierten elektronischen Patientenakten eingeführt haben, genau das tun. Wenn sie eine solch drastische Änderung in einer so chaotischen Zeit nervös mache, könnten sie die Akten auf Covid-19 beschränken.

Eric Perakslis, ein Rubenstein-Stipendiat an der Duke University, leitete 2014 und 2015 Bemühungen in Westafrika zur Bekämpfung des Ebola-Ausbruchs. Die größte Lektion, die er gelernt habe, war, dass „es wertvoller ist, schneller mit etwas Kleinerem loszulegen, als auf etwas Größeres zu warten“. Selbst wenn einem nichts anderes übrigbleibe, als zu versuchen, Testdaten mit Stift und Papier und nur wenigen Personen zu standardisieren, sei das besser, als darauf zu warten, dass eine „Killer-App“ in einigen Monaten auf den Markt kommt.

Die meisten Experten sind sich einig, dass in einer idealen Situation die US-Bundesregierung die Verwaltung von Daten zur öffentlichen Gesundheit in eine Krise wie diese leiten würde. Dass das passiert, ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Trotzdem sei es angesichts der Tatsache, dass einige Modelle Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie bis 2022 für nötig halten, nicht zu spät, um eine nationale Initiative voranzutreiben, sagt Aaron Miri. Dem Chief Information Officer der Dell Medical School an der University of Texas in Austin zufolge geht darum, Bekämpfungsmaßnahmen zu finanzieren und die Bundesstaaten davon zu überzeugen, mehr Kontrolle zu übernehmen. Das ist nicht immer einfach zu verkaufen. Aber die Auswirkungen der Pandemie haben die Staatsbeamten möglicherweise etwas empfänglicher gemacht. (vsz)