Erfinder im Rampenlicht

Im Laufe eines Jahres werden in Europa mehrere Dutzend Innovationspreise ausgelobt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Angela Froitzheim
  • Ulf J. Froitzheim

Im Laufe eines Jahres werden in Europa mehrere Dutzend Innovationspreise ausgelobt. Wer bei den richtigen ausgezeichnet wird, dem winkt neben einem Preisgeld oft viel Wichtigeres – das Interesse von Industriepartnern.

Von München-Perlach, dem Standort der Siemens-Forschungszentrale Corporate Technology, ist es nicht weit bis nach Oberhaching. Dort residieren seit zehn Jahren Bayerns wohl erfolgreichste Siegertypen. Seit Armin Anders, Markus Brehler, Oliver Sczesny, Frank Schmidt und Andreas Schneider den Konzern verließen, um sich mit ihrer EnOcean GmbH selbstständig zu machen, sammelt das Quintett Innovationspreise, als wolle es ins Guinness Buch der Rekorde aufgenommen werden.

Schon 2002, ein Jahr nach der Ausgründung, kassierten die Ex-Siemensianer den mit 100000 Euro dotierten Bayerischen Innovationspreis. 2004 kamen die fünf ins Finale des Hermes Award, mit dem die Hannover Messe ihren innovativsten Aussteller ehrt – so auszeichnungswürdig fand die Jury das kleine Unternehmen EnOcean mit seinen Modulen für batterielose Funksensorik.

Hinter dem abstrakten technischen Begriff verbergen sich Messfühler und Schalter, die an beliebigen Stellen im Gebäude montiert werden können, weil sie weder Stromleitung noch Akku benötigen. Sie versorgen sich und ihren kleinen Datensender per „Energy Harvesting“, beziehen also ihren Energiebedarf komplett aus der Umwelt. In einem Lichtschalter zum Beispiel erzeugt eine Art Kleinst-Dynamo beim Drücken der Taste genug Strom, um das Schaltsignal an die Lampe zu funken.

Danach gab es kein Halten mehr: 2005 wurde EnOcean vom US-Investorenmagazin „Red Herring“ unter Europas Top-100-Unternehmen gewählt, 2006 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos als „Technology Pioneer“ geehrt und später in Deutschland zum „Start-up des Jahres“ gekürt. 2007, 2008 und 2010 wuchs die virtuelle Trophäensammlung um je sieben Auszeichnungen, 2009 sogar um zehn. Gehen dem Elektronik-Unternehmen nicht langsam die Wettbewerbe aus, an denen es teilnehmen könnte?

Andreas Schneider, im Geschäftsführer-Team fürs Marketing zuständig, winkt ab: „Man könnte sich in Europa wöchentlich an einem Preis beteiligen.“ Er hält ständig Ausschau nach Ausschreibungen, die zur „strategischen Positionierung“ der Produkte passen, und zwar weltweit, auch auf Exportmärkten wie China. Allerdings ist er wählerisch: Ihn interessieren nur Preise, die sich in Verkaufserfolge ummünzen lassen – sei es fürs eigene Haus oder für Partnerfirmen, in deren Produkten EnOcean-Technik steckt.

Dass Unternehmen mehrere Preise einheimsen, kommt zwar immer wieder vor. Dass sie dabei derart systematisch vorgehen, ist allerdings selten. Dabei gibt es kaum eine Technik-Branche, in der noch niemand auf die Idee gekommen wäre, einen Innovationspreis auszuloben, und keine Phase in der Entwicklung eines innovativen Unternehmens, in der nicht irgendwo etwas zu holen wäre.

In Europa werden jährlich mehrere Dutzend Preise für zündende technische Ideen ausgelobt, davon allein mehr als 30 in Deutschland. Die Zielgruppen reichen vom Gründer, der mit dem ersten Businessplan eine Prämie als Startkapital ergattern kann, bis zum Großkonzern oder dem Erfinder, der für sein Lebenswerk gewürdigt wird. Manche Preise – wie der Zukunftspreis des Bundespräsidenten – sind hoch dotiert, andere wiederum mit keinem Cent, etwa der Deutsche Innovationspreis. Einige haben internationales Renommee, doch das Gros ist nur Insidern der jeweiligen Branche bekannt, und ein Teil ist obskur oder wirkt gar provinziell.

Das Spektrum der Stifter umfasst Mäzene und Verbände, Regierungen und sogenannte Nichtregierungsorganisationen, Messegesellschaften und Zeitschriftenverlage, Unternehmensberater und findige Geschäftsleute. Daher geht es neben den klassischen Motiven wie der Förderung eines Wirtschaftsstandorts, des wissenschaftlichen Fortschritts oder des eigenen Ruhms manchmal schlicht ums Geld: Trittbrettfahrer verkau-fen sogar Pseudo-Auszeichnungen, die angeblich werbewirksam sind.

Wer das Thema Innovationspreise strategisch betrachtet, landet schnell bei einer pragmatisch-profanen Kosten-Nutzen-Rechnung.

Die wirklich großen Preise sind Forschern und Entwicklern vorbehalten, die sich nicht selbst bewerben dürfen, allen voran der – oft als technischer Nobelpreis bezeichnete und mit insgesamt 1,1 Millionen Euro dotierte – internationale Millennium Technology Prize, der von der finnischen Regierung und Industrieunternehmen ausgelobt wurde. Bei den weniger spektakulären Wettbewerben dagegen kann der Erfinder oder Unternehmer einiges tun, um seine Chancen zu verbessern.

Für Andreas Schneider besteht die Kunst also darin, Zeit nur in solche Preise zu investieren, die den Sieger wirklich weiterbringen, sei es durch Geld oder durch geldwerte Vorteile wie die Aufmerksamkeit von Kunden, Medien von Fachpresse bis Fernsehen, Geschäftspartnern und Investoren. Denn viel Arbeit macht es fast immer, die Juroren für sich einzunehmen. Der EnOcean-Marketingchef geht dabei im Prinzip nicht anders vor als bei einem Verkaufsgespräch. So stellt er nicht ingenieurmäßig die Technologie in den Mittelpunkt, sondern den konkreten Nutzen in der Anwendung: „Wir sprechen nicht von einem Energiegenerator in Verbindung mit einem Funkmodul, sondern von einem Lichtschalter, der flexibel im Gebäude positioniert werden kann, oder einem Sensor, der zu Energieeinsparungen im Gebäude führt.“

Mit dieser Methode ist der Münchner bisher immer gut gefahren. Schon beim Bayerischen Innovationspreis erwies sich, dass Argumente, die für die Jury überzeugend sind, auch für die Medienarbeit taugen. Das Newcomer-Unternehmen kam damals schlagartig bundesweit in die Zeitungen und ins Fernsehen, denn die Neuheit war nicht nur für die eigentlichen Adressaten aus der Elektroindustrie attraktiv, die Schalterserien mit Innenleben aus dem Hause EnOcean herstellen sollten, sondern auch für Endkunden. „Der Innovationspreis hat über die gesamte Wertschöpfungskette gewirkt“, erinnert sich Schneider und vergleicht den Effekt mit dem Label „Intel inside“: Der Konsument greift zu, weil er weiß, was drinsteckt.

Das Geld, selbst eine sechsstellige Summe, kann für den Sieger eines solchen Preises von sekundärer Bedeutung sein. Diese Erfahrung machte auch der Mechatronik-Experte Bernd Gombert aus Seefeld am oberbayrischen Pilsensee. Zwar freute er sich über die 100000 Euro, die ihm vor ein paar Jahren der Hermes Award für seine elektronische Keilbremse einbrachte. Dieser Betrag habe aber nur den Personalkosten entsprochen, die bei ihm in eineinhalb Monaten anfielen, relativiert Gombert, damals im Jahr 2004 Inhaber eines Start-ups namens E-Stop, dessen Entwicklung ähnlich funktioniert wie eine Pferdekutschenbremse, bei der ein Keil das Rad verlangsamt. Dabei verstärkt sich die Bremskraft ohne zusätzlichen Energieaufwand, weil die rotierende Bremsscheibe den Keil zwischen sich und den Bremssattel zieht; die Elektronik regelt die Dosierung der Bremskraft und verhindert, dass der Keil blockiert.

„Das Preisgeld ist ja ganz nett“, sagt der Unternehmer, der mit seiner unorthodoxen Erfindung die Großen der Autozulieferbranche herausgefordert hat. Die setzten weiter auf Scheibenbremsen und nahmen ihn nicht ernst. „Aber Geld allein hilft Ihnen auch nicht weiter, wenn Sie niemanden finden, der sich an Ihr Thema herantraut.“ Damals suchte Gombert, der als Forscher am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Weßling gearbeitet hatte, händeringend nach einem finanzkräftigen Industriepartner. Aus eigener Kraft hätte er die neue Autobremse nie zur Serienreife bringen können.

Der Hermes Award erfüllte just diesen Zweck. Gombert, der sich nur einen bescheidenen Schub erhofft hatte, fühlte sich „regelrecht in den Orbit geschossen“. Plötzlich genoss er die Aufmerksamkeit der richtigen Leute, hatte Kontakte, die man nicht für Geld kaufen kann: „Noch am selben Abend saß ich an einem Tisch mit Siemens-Vorstand Heinrich von Pierer, Ekkehard Schulz von Thyssen und Ministerpräsident Christian Wulff.“ Das Gala-Dinner in Hannover wurde für Gombert zur Restaurant-Variante des berühmten Elevator Pitch, bei dem man sich zu einem Topmanager in den Fahrstuhl drängt, um ihm auf dem Weg nach oben seine Idee zu verkaufen. Der Seefelder Unternehmer verkaufte dem damaligen Siemens-Hierarchen an diesem Tag die bereits von der Jury vorgeadelte Idee – und kurz darauf seine Firma mit sich selbst an der Spitze: E-Stop wurde zur Tochter von Siemens VDO.

Auch Andreas Schneider von EnOcean, dessen Firma einst beim Bayerischen Innovationspreis den gleichen Betrag als Siegprämie erhielt, hätte eher auf das Geld verzichtet als auf die vermeintliche Nebenwirkung der öffentlichen Ehrung: „Der Innovationspreis hat dazu geführt, dass wir viele Anfragen von Interessenten aus der Industrie bekommen haben, das hatte für uns mit Sicherheit einen höheren Wert als 100000 Euro.“

Bernd Gombert unterteilt Innovationspreise inzwischen in verschiedene Kategorien: „Anerkennungspreise streicheln die Seele, bestimmte Branchenpreise sind gut, um in einem sehr konservativen Umfeld überhaupt mal eine Innovation loszutreten, und Preise wie der Hermes Award verhelfen einem zum Durchbruch.“ Daneben gibt es Preise, die mehreres auf einmal sein können – Lob für den einen, ein PR-Ereignis für die anderen.

So empfand Andreas Bräuer, ein erfahrener Forscher vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF) in Jena, den Deutschen Zukunftspreis 2007 einfach als „Sahnehäubchen meiner sehr erfreulichen beruflichen Laufbahn“. Welches Understatement: Dieser von Industrieunternehmen und Stiftungen finanzierte Preis wird in feierlichem Rahmen vom Bundespräsidenten überreicht und hat für einen deutschen Laureaten ein ähnliches Prestige wie der viel höher dotierte internationale Millennium Prize.

Bräuer – ausgezeichnet für seinen Beitrag zur Entwicklung besonders heller LED-Leuchten – hegt mit seinen 59 Jahren allerdings weder weitere Karriere-Ambitionen, noch hat ihn der Gewinn reich gemacht: Zuerst teilte er sich die 250000 Euro mit zwei Osram-Forschern, dann seinen Anteil mit seinem fünfköpfigen Team. Auch seine Mitstreiter aus der Industrie suchten nicht das Rampenlicht. Den Imagegewinn erntete ihr Arbeitgeber fast allein: Osram konnte die Innovation PR-mäßig ausschlachten.

Dass eine hohe Siegprämie in die Privatschatulle des Innovators fließt, ist ohnehin eher die Ausnahme. Meist kommt das Geld seinem Unternehmen zugute, das damit in der Stadt, im Bundesland oder zumindest in Deutschland Arbeitsplätze schaffen oder sichern soll. Bei einigen – wie dem Innovationspreis des Landes Nordrhein-Westfalen – werden die Bewerber sogar ausdrücklich auf die Zweckbindung hingewiesen. In aller Regel sind nur 10000 bis 15000 Euro für den ersten Sieger reserviert.

Der Beliebtheit der Wettbewerbe tut das keinen Abbruch. Gründer wissen auch Ausschreibungen zu schätzen, bei denen kaum oder gar keine finanziellen Leistungen locken. Der höher bewertete ideelle Wert kann bei Gründerwettbewerben der Kontakt zu einem Business Angel sein oder das Angebot, ein Jahr lang mietfrei Büros oder Arbeitsräume nutzen zu dürfen, wie bei „Plug & Work“, einem „Gründungs- und Ansiedlungswettbewerb für Zukunftsbranchen“ in Hannover.

Beim Gründerpreis der „Wirtschaftswoche“ spart der Sieger theoretisch 300000 Euro, weil er nicht nur von Gründungstrainern gecoacht wird, sondern auch prominente Rechts-, PR- und Personalberater für sich einspannen darf, die sich im Gegenzug mit diesem Sponsoring schmücken. So gehört etwa bei dem mit 50000 Euro dotierten Gründerwettbewerb „enable2start“, den die „Financial Times Deutschland“ organisiert, die Berichterstattung in einem auflagenstarken Wirtschaftsmedium zum Deal.

Wer viele Details über sein Unternehmen verraten will und ausschließlich auf Öffentlichkeitsarbeit und Marktingunterstützung Wert legt, kann sich auch um den etwas fragwürdigen „Industriepreis“ des Unternehmens United News Network (ehemals Huber Verlag für Neue Medien) aus Karlsruhe bewerben, das die PR-Dienste „Life PR“ und „Presse Box“ betreibt. Auf die Gewinner warten Naturalien im angeblichen Wert von 200000 Euro. Und wenn es nicht klappt, bietet Chef Rainer Kölmel gegen 699 Euro Gebühr den Eintrag in eine „Industrie-Bestenliste“ an.

Wer da skeptisch wird, findet wohl die Bedingungen des Wettbewerbs „Top 100 – die innovativsten Unternehmen im Mittelstand“ attraktiver. Die veranstaltende Agentur Compamedia aus Überlingen am Bodensee erhebt zwar von allen Kandidaten Teilnahmegebühren, dafür prüft aber ein Experte der Wirtschaftsuniversität Wien die Innovationsmanagement-Prozesse im Unternehmen des Bewerbers anhand eines Fragebogens. Für die Seriosität des Angebots bürgen renommierte Namen. Lothar Späth hält als „Mentor“ seinen Kopf dafür hin, als offizielle Partner fungieren unter anderen das Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft (RKW), die Fraunhofer-Gesellschaft, der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW), der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) und die „Süddeutsche Zeitung“.

Die Beträge, die Compamedia nach dem Verursacherprinzip in Rechnung stellt, beginnen bei 600 Euro netto fürs Auswerten des Fragebogens und enden für die 100 Auserkorenen mit der höchsten Punktzahl mit dem Hinblättern weiterer 4900 Euro, die ein Jahr lang das Top-100-Logo für ihre Werbe- und Marketingaktivitäten nutzen dürfen. Als Lohn für diese „Investition“ (O-Ton Compamedia) erhalten sie einen detaillierten Benchmarking-Bericht, ein Top-100-Buch und die Belobigung durch Mentor Späth. Wer dann noch ein paar Tausend Euro übrig hat, kann darüber hinaus seine Qualitäten als Arbeitgeber bewerten lassen und sich mit dem von Ex-Arbeitsminister Wolfgang Clement mentorierten „Top Job“-Siegel schmücken.

Obwohl solche Etiketten für technologie-orientierte Start-ups eher von sekundärer Bedeutung sind, steht „Top Job“ ebenso in der Liste der Auszeichnungen, derer sich EnOcean für 2007 rühmt, wie der Einzug der Trophäensammler in die Endrunde des prestigeträchtigen Innovationspreises der Deutschen Wirtschaft. Der Veranstalter, der Wirtschaftsclub Rhein-Main, kann sich erlauben, die Sieger allein mit einer Urkunde zu ehren, denn es handelt sich laut den Organisatoren um den ältesten Innovationspreis der Welt.

Zu diesem pilgert traditionell die Prominenz aus Politik und Industrie – allein schon, weil neben Newcomern immer auch der alte Adel der Wirtschaft für Neuheiten gewürdigt wird. Aufstrebende Debütanten finden in Frankfurt außer Medienresonanz genau das, was Bernd Gombert in Hannover mehr faszinierte als 100000 Euro Preisgeld: Kontakte. Und die Nachfrage von Bewerbern in Deutschland reicht offensichtlich aus, um noch mehr Preise dieser Sorte zu tragen.

Der Verlag der „Wirtschaftswoche“, bis 2009 in Frankfurt dabei, stieg im vorigen Jahr aus und lud gemeinsam mit der Unternehmensberatung Accenture sowie den Industriesponsoren EnBW und Evonik zu einer Konkurrenzveranstaltung, dem Deutschen Innovationspreis. Die große Gala fand in München statt – eine Hommage an Deutschlands selbsternannte Hightech-Hauptstadt. Die kann den Glamour der Zugereisten gut gebrauchen: Die klamme bayerische Staatsregierung unter Horst Seehofer hat ihren traditionellen Innovationspreis aus Kostengründen vorerst auf Eis gelegt.

Eine Übersicht über die Innovationspreise samt Stiftern, Preisgeldern und Ausschreibungsfristen gibt es hier. (nbo)