Erreger in Reihe 7

Eine Studie der MITRE Corporation untersucht, wie sich Viren im Kabineninnern von Flugzeugen ausbreiten und eine Gefahr rechtzeitig festgestellt werden könnte.

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Von
  • Brittany Sauser

Bis heute sind die USA eine Nation von Vielfliegern. Pro Jahr kreuzen 600 Millionen Passagiere durch die Lüfte zwischen New York und Hawaii. Davon sind nach Angaben des US-Amtes für Verkehrsstatistik rund 350.000 internationale Reisende. Dieses Flugaufkommen macht die Vereinigten Staaten natürlich besonders anfällig für die schnelle Verbreitung von Krankheitserregern aus dem In- und Ausland. Ein Forschungsteam der MITRE Corporation hat nun erstmals untersucht, wie diese sich, einmal ausgeatmet, an Bord verteilen und mit welcher Sensorik sie entdeckt werden könnten, die Viren enthalten. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich auf der IEEE Conference on Technologies for Homeland Security vorgestellt.

„Entscheidend dabei ist, dass man Biosensoren hat, die einzelne Partikel in der Luft registrieren können“, sagt Grace Hwang, die die MITRE-Studie leitete. Die meisten auf dem Markt verfügbaren Sensoren könnten erst bei einer Menge von 10 Millionen Viren zuverlässig Alarm schlagen, sagt die Spezialistin für Biosensoren. Die anschließende Diagnose, um welchen Typ es sich handelt, dauere dann drei bis vier Stunden. Die meisten Viren werden aber nur in niedrigen Konzentrationen ausgeatmet, und viele Flüge dauern nicht länger als 90 Minuten.

Hinzu kommt, dass die meisten Schwebeteilchen in den Gängen eines Flugzeugs in der Luft verharren. Deshalb solle man sicherheitshalber Fensterplätze buchen, rät MITRE-Wissenschaftler Michael Harkin, der an der Studie mitgearbeitet hat. Die Partikel bewegen sich zudem nicht weit aus der Sitzreihe heraus, in der die infizierte Person sitzt, und wenn doch, dann längs zu den Sitzen. Bisher war man davon ausgegangen, dass sie über die Reihen hinweg wandern. „Die Exposition in der jeweiligen Vorderreihe ist minimal“, sagt Harkin. Er und seine Kollegen empfehlen daher, über jeder vierten Reihe Biosensoren in der Kabinendecke zu befestigen .

„Unser Ziel ist, Infektionsfälle auf dem Weg in die USA zu entdecken, noch bevor die Passagiere erste Symptome zeigen“, erklärt Grace Hwang. „Damit gewinnen wir Zeit, um uns vor einer eventuellen Epidemie zu schützen.“ Das sei auch wirtschaftlich äußerst sinnvoll. Wie nötig Biosensoren in Flugzeugen sind, zeigte der Ausbruch von SARS 2003. Er nahm seinen Anfang in einem Flug von Hongkong nach Peking. Das Virus breitete sich später in 18 Ländern aus und tötete 774 Menschen. Der wirtschaftliche Schaden für Asien belief sich damals auf 11 Milliarden Dollar.

„Mit einer geeigneten Sensorik an Bord sind wir dagegen gewappnet“, sagt Byron Jones von der Kansas State University. „Wir haben ja jetzt gesehen, wie sich die Schweinegrippe ausbreitet. Sie hat sich zwar als eher milde Krankheit heraussgestellt, aber bei einer so ansteckenden und tödlichen Krankheit wie Typhus etwa könnte das Bild ganz anders aussehen.“ Jones untersucht mit anderen am Air Transport Center for Excellence, welchen Einfluss Flugzeugkonstruktionen auf die Gesundheit haben.

Seit der erste Fall des H1N1-Virus im April gemeldet wurde, hat es in Nordamerika etwa 80.000 Flugbewegungen gegeben – mit bislang nur einem untersuchten Fall während der Flugreise. Das Risiko, sich an Bord mit H1N1 anzustecken, sei zwar gering, aber nach wie vor real, sagt Mark Gendreau, ein Notfallarzt an der Lahey Clinic in Burlington, Massachusetts, der auch an de Tufts University in Boston lehrt.

Das MITRE-Forschungsteam setzte für seine Untersuchungen ein Rechenmodell aus der Fluiddynamik ein. In dem Modell wurde angenommen, dass sich sieben „Super-Verbreiter“ an Bord befinden – als solche werden Menschen bezeichnet, die bis zu 50 Mal pro Stunde niesen. Das Programm modellierte – wie vorherige Studien auch – die Luftströme im Innern einer Boeing 767, um die optimale Platzierung von Sensoren herauszufinden.

Damit erfahre man aber noch nichts über die Anzahl der ausgeatmeten Partikel, erläutert Hwang. Deshalb ermittelten sie und ihre Mitarbeiter zunächst das Speichelvolumen eines Menschen und teilten es durch die Anzahl der Teilchen, die beim Niesen oder Husten ausgestoßen werden. Daraus erhielten sie dann eine Partikelverteilung. Kombiniert mit der Luftströmungssimulation ließ sich dann die Anzahl der überhaupt nachweisbaren Teilchen errechnen, sagt Hwang.

Ein Ergebnis war, dass die Kontamination durch Niesen weiträumiger erfolgt als durch Husten. Teilchen, die von Passagieren auf Fensterplätzen ausgestoßen wurden, verschwanden schneller als alle anderen in der Bordlüftung, zirkulierten also nur wenig im Kabineninnern. Dagegen hielten sich Partikel, die in der Mittelreihe (zwischen den Gängen) ausgestoßen wurden, relativ lange. Die Verweildauer auf den Gangplätzen der beiden Außenreihen lag dazwischen.

Die Forscher gingen in ihrer Studie von einer Flugzeit von 90 Minuten aus. Das entspricht der Verbindung Vancouver – San Francisco, auf der auch oft Passagiere von Asienflügen reisen. Trotz der ausgefeilten Modellierung bleibt eine Schwachstelle: die Super-Verbreiter. „Wir wissen noch nicht so recht, wie wir sie im Modell charaktisieren sollen“, sagt Mark Gendreau.

Die größte Herausforderung werden künftig aber geeignete Biosensoren sein, die auch einzelne Partikel erkennen können. Grace Hwang entwickelt derzeit mit Wissenschaftlern der Universität von Kalifornien in San Diego ein Gerät, das mit einer Gold-Oberfläche mit Nanometer großen Löchern arbeitet. In jedem von ihnen sitzen Glycoproteine. Binden Viren wie der Schweinegrippen-Erreger H1N1 daran, ändert sich die so genannte Plasmonen-Resonanz, die Lichtteilchen erzeugen, wenn sie die Nanolöcher passieren. Im Labor hat die Konstruktion bereits bei Einzelmolekülen angeschlagen. (nbo)