Funktioniert "Waldbaden" auch in der virtuellen Realität?

Können Wälder aus dem Computer Menschen genauso physiologisch berühren wie echte? Ein Forschungsprojekt will es herausfinden.

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Ein Wald in VR.

(Bild: LUKÁŠ HEJTMÁNEK)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Charlie Metcalfe

Das japanische Konzept des "Waldbadens", auch shinrin-­yoku genannt, wird seit Langem für seine gesundheitlichen Vorteile gelobt, die es angeblich bietet. Mittlerweile gibt es sogar zahlreiche wissenschaftliche Studien, die nahe legen, dass es die geistige Gesundheit und die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern kann. Außerdem senkt es anscheinend den Blutdruck und soll bei der Behandlung von Depressionen und Angstzuständen helfen. Das Problem: In einer Welt, in der bis zum Jahr 2030 bis zu 5 Milliarden Menschen in städtischen Gebieten leben könnten, sind Wälder immer schwieriger zu erreichen oder für manche sogar völlig unzugänglich. Einige Forscher glauben deshalb, dass die virtuelle Realität hier Abhilfe schaffen könnte. Denn VR wurde bereits erfolgreich eingesetzt, um Kinder bei medizinischen Eingriffen abzulenken. Eisige virtuelle Landschaften konnten die Schmerzen von Brandopfern lindern. Könnten virtuelle Wälder also die gleichen physiologischen Reaktionen hervorrufen wie reale Wälder?

Ein Forscherteam der Tschechischen Universität für Biowissenschaften – beteiligt waren sowohl ein Psychologe als auch mehrere Angehörige des Fachbereichs Forstwissenschaft – hat diese Hypothese nun getestet. Dazu brachte sie eine Gruppe von 15 Probanden für jeweils 30-minütige Waldbadesitzungen in das Naturschutzgebiet Roztocký háj in der Nähe von Prag. Anschließend entwickelten sie mit Hilfe von Laserscannern einen "virtuellen Zwilling" desselben Waldgebiets, der mit Original-Audioaufnahmen ergänzt wurde. Zwanzig Teilnehmer, darunter 10, die den echten Wald besucht hatten, verbrachten schließlich 30 Minuten im virtuellen Wald. Und siehe da: Fragebögen zur Bewertung des emotionalen Zustands der Teilnehmer zeigten keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Erfahrungen (Journal "Frontiers in Virtual Reality"). Martin Hůla, ein an dem Projekt beteiligter Forstwissenschaftler, meint: "Mir war bewusst, dass der Wald nicht real war. Die Erfahrung war jedoch sehr intensiv, und es fiel mir leicht zu vergessen, dass ich mich nur in einem Testraum befand."

Eine andere Gruppe von Wissenschaftlern untersuchte das virtuelle Waldbaden in einer kürzlich in der wissenschaftlichen Zeitschrift "Forests" veröffentlichten Arbeit. Dabei entwickelten die Wissenschaftler ein Spiel für die Teilnehmer, das auf realen Methoden der sogenannten geführten Waldtherapie im Freien basierte. Zu den Aufgaben gehörten das Fotografieren mit einer virtuellen Kamera, das Sammeln verschiedener Gegenstände und die Teilnahme an einem einfachen Fitnessprogramm, das den Spielern ein Gefühl von Abenteuer vermitteln sollte. Die acht an der Studie beteiligten Personen stellten fest, dass ihre Depressionen, Wutzustände und ihre Müdigkeit nach dem Spiel insgesamt abnahmen.

Über die Mechanismen des Waldbadens selbst – also der realen Version – ist sich die Forschung noch uneins. Einige Wissenschaftler glauben an die von Edward O. Wilson in den 1980er-Jahren verbreitete "Biophilie-Theorie", die besagt, dass der Mensch die Interaktion mit der Natur braucht, weil er selbst Teil von ihr ist. Eine andere Theorie, die sogenannte Attention Restoration Theory, besagt, dass natürliche Umgebungen wie Wälder dem Menschen die Möglichkeit bieten, sich von den ermüdenden Aufgaben des Alltags in der technisierten Welt zu erholen. Beide Theorien könnten auch auf virtuelle Wälder zutreffen.

Natürlich gibt es Grenzen. Da die Rechenleistung von Computern noch endlich ist, haben virtuelle Wälder physisch-virtuelle Grenzen. Einige Teilnehmer der tschechischen Studie sagten, sie fühlten sich "eingesperrt", als sie auf die zunächst unsichtbaren Waldränder stießen. Die technischen Beschränkungen bedeuten auch, dass der Computer kleine Details wie Pilze oder Insekten nicht perfekt simulieren kann. Auch können virtuelle Umgebungen nicht alle Sinneseindrücke eines echten Waldes – wie den Geruch von feuchtem Laub – imitieren. In einem Beitrag wurde vorgeschlagen, dieses Problem zu lösen, indem man Blätter auf dem Boden des Testraums ausbreitet. Die Nachahmung anderer Sinneseindrücke, wie z. B. das Gefühl des Windes, würde sich jedoch als komplizierter erweisen.

Virtuelle Umgebungen können auch zur sogenannten Cyber-Sickness führen, wenn also die Augen Bewegungen wahrnehmen, der Körper aber nicht. Psychologen, Forstexperten und Informatiker hoffen, dass weitere Forschungen mit größeren Teilnehmergruppen dazu beitragen werden, diese Einschränkungen zu überwinden. Und auch die zunehmend besser werdende Technik.

(jle)