"Häufigster auslösender Faktor für E-Scooter-Unfälle ist infrastrukturbedingt"

US-Forscher haben den bislang größten Datensatz mit Fahrdaten von E-Scootern erstellt – und können jetzt sagen, wo sie unfallträchtig sind und wo nicht.

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(Bild: Peeradontax/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.

Miet-E-Scooter sind eigentlich durchdigitalisiert: Sie enthalten Sensoren, eine ständige Internetverbindung per Mobilfunk und nutzen GPS, um zu erfassen, wo sie sich befinden. Doch wirklich große unabhängige Datensätze mit Verkehrsinformationen der Roller, die mittlerweile in fast allen Großstädten herumfahren, gab es bislang nicht.

Das Virginia Tech Transportation Institute (VTTI) an der Hochschule Virginia Tech im amerikanischen Blacksburg hat dies nun geändert. 200.000 Fahrten über 14.500 Kilometer wurden von Mobilitätsforschern erfasst. Programmmanagerin Elizabeth White spricht im Interview mit MIT Technology Review über das Projekt – und gibt Tipps, wie man sichererer unterwegs sein kann.

Frau White, wie ist Ihre Gruppe auf die Idee gekommen, einen derart großen Datensatz zum Thema E-Scooter-Verkehr zu erstellen?

Elizabeth White: Das VTTI hat eine lange Tradition bei der Durchführung solcher naturalistischer Verkehrsdatenerhebungen. Normalerweise machen wir das mit Personenkraftwagen, Lastkraftwagen und dergleichen. Uns fiel auf, dass es so etwas für E-Scooter noch nicht gab. Die Universitätsleitung wollte zur gleichen Zeit außerdem E-Scooter auf dem Campus einführen – und natürlich wissen, ob und wie das funktioniert. Daraus ergab sich dann die Idee.

Wie hat man sich die Datenerfassung vorzustellen?

Wir haben dazu mit der Firma Spin zusammengearbeitet, die damals noch zu Ford gehörte. Ford hatte den Rolleranbieter Spin zu der Zeit erworben und wollte in diesem Bereich forschen und mit der Autofirma hat das VTTI lange Forschungsbeziehungen. Spin war dann auch das Unternehmen, welches uns die Roller zur Verfügung gestellt hat. Und wir haben unser Datenerfassungssystem auf einer Teilmenge der Flotte installiert, die sowieso auf dem Campus eingesetzt wurde.

Welche Technik haben Sie verbaut?

Es war eine Kombination aus einer nach vorne gerichteten Kamera und verschiedenen Sensoren. Wurde der Roller entriegelt und bewegte sich, konnten wir bei 50 von rund 300 der E-Scooter erfassen, was der Fahrer sah. Daneben wurden GPS-Sensoren und Beschleunigungsmesser eingebaut beziehungsweise mitgenutzt, sodass wir Beschleunigung und Verlangsamung sowie Fahrtrichtung verstehen konnten. All die Daten wurden dann per maschinellem Lernen ausgewertet.

Die E-Scooter waren dann aber nicht auf öffentlichen Straßen unterwegs.

Nein, die Flotte blieb auf die Straßen, Bürgersteige und andere Fahrflächen auf dem Campus beschränkt. Die umliegenden Ortschaften wollten nämlich nicht, dass der E-Scooter-Service auf ihren Straßen zugelassen wird. Verließ man das Gelände, deaktivierten die E-Scooter sich. Unser Campus ist aber mit 30.000 Studenten [auf rund 1000 Hektar, Anm. d. Red.] ausreichend groß, um realistische Daten zu generieren. Die Fahrzeuge verlangten außerdem eine Aktivierungsgebühr und wurden pro Minute bezahlt, wie man das auch aus Städten kennt.

Wer fuhr mit den E-Scootern, mit denen die Daten erfasst wurden?

Jeder, der sich für einen E-Scooter entschied, hatte die Möglichkeit, einen mit unserem Datenerfassungssystem zu wählen. Wir hatten die Menschen auf dem Campus vorher über verschiedene Wege darüber informiert, dass diese Studie läuft. In erster Linie bestand die Fahrerschaft aus Studenten, aber wir haben auch festgestellt, dass einige Dozenten und Mitarbeiter sowie Besucher des Campus die Fahrzeuge benutzen.

Die größte Kritik an E-Scootern ist stets ihre Verkehrssicherheit.

Wir haben unsere Sensoren und die Videoaufnahmen genutzt, um zu verstehen, wann es zu Stürzen kam. Und wir waren in der Lage, diese aus den gesammelten Daten herauszufiltern. Dann analysierten wir die Unfallursachen und gingen die Daten durch, um herauszufinden, ob sie mit der Infrastruktur oder dem Verhalten zusammenhingen und welche weiteren auslösenden Faktoren es noch gab.

Und was waren Ihre Ergebnisse dabei?

Der größte und häufigste auslösende Faktor für E-Scooter-Unfälle ist infrastrukturbedingt. Wir haben festgestellt, dass es vor allem dann zu Unfällen kam, wenn die Fahrer die Wegefläche wechseln und hier insbesondere von Rasen auf Asphalt. Das war das größte Problem. Es wurde mit der Zeit allerdings besser, weil wir verschiedene E-Scooter-Modelle hatten, die wir im Laufe der Studie einsetzten. Die neueren Fahrzeuge scheinen sicherer gewesen zu sein, um diese Flächenübergänge besser zu bewältigen.

Was sind Ihre zentralen Tipps, damit es zu weniger Unfällen kommt?

Zunächst sollten die Fahrzeuge so gewählt werden, dass sie mit verschiedenen Wegeflächen zurechtkommen. Besser ist aber etwas anderes: Ich würde sehr empfehlen, dass die Leute versuchen, auf einem einheitlichen Oberflächentyp zu bleiben. Gras, Schotter oder Sand sind ungeeignet. Wir haben festgestellt, dass das nicht so sicher ist wie eine feste, glatte Oberfläche. Und ich denke, man sollte stets auf die Geschwindigkeit achten, wenn man mit anderen Verkehrsteilnehmern zusammentrifft, seien es Fußgänger oder größere Fahrzeuge, natürlich auch Radfahrer – und je mehr Fußgänger in der Nähe sind, desto eher sollte man die Geschwindigkeit reduzieren.

Die Verwendung von E-Scootern durch zwei Personen war sicher auch ein Unfallauslöser?

Wir haben festgestellt, dass das in einigen Fällen passiert ist. Also ja, ich würde auf jeden Fall empfehlen, dass nur ein Fahrer pro E-Scooter mitfährt.

Hat sich die Rate der Unfälle über die Studie, die ja 18 Monate lang lief, verändert?

Sie war relativ konstant.

E-Stehroller im öffentlichen Verkehr (76 Bilder)

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(Bild: Lime)

Sollten Städte ähnliche Studien wie die Ihre durchführen?

Ich würde es empfehlen. Die meisten Untersuchungen im Zusammenhang mit E-Scootern, soweit wir das bei unserer Forschung feststellen konnten, betreffen in erster Linie die gesundheitlichen Auswirkungen. Man hat sich also Unfälle angeschaut und wer mit E-Scooter-typischen Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Das ist nicht ganz so detailliert, wie wir es mit unseren Datenerfassungssystemen sammeln konnten. Wir waren also in der Lage, Unfälle und andere Umstände herauszufiltern, denen E-Scooter-Fahrer ausgesetzt sind, und die man nicht unbedingt nur aus den Krankenakten allein ersehen würde, weil man natürlich nur die schwereren Unfälle und Verletzungen in den Krankenhäusern sehen wird.

Gäbe es technische Möglichkeiten, E-Scooter sicherer zu machen?

Das kommt auf den Anbieter an. Aber in unserer Studie haben wir zumindest sichergestellt, dass die Geschwindigkeit auf dem Campus auf 20 Kilometer pro Stunde begrenzt wird. Und wir hatten sogar reduzierte Geschwindigkeiten in bestimmten Bereichen mit vielen Fußgängern, um Zwischenfälle mit Fußgängern und E-Scootern zu vermeiden. Das war technisch so implementiert.

Auch das ungeliebte Abstellen auf Bürgersteigen ließe sich mittels Geofencing beheben.

Spin und andere E-Scooter-Firmen haben bereits ein Gehweg-Erkennungssystem an Bord ihrer Fahrzeuge entwickelt. Dazu braucht es nicht einmal GPS, sondern man kann das über die Beschleunigungssenoren herausfinden. Wenn es in einer Stadt verboten ist, auf Bürgersteigen zu fahren, könnten die E-Scooter dies einfach erkennen und sich dann abschalten.

Ein anderes Unfallrisiko ist stets das Abbiegen.

Wir konnten aufgrund der erfassten Daten leider nicht sehen, wie die Menschen mit den E-Scootern genau signalisieren, wenn sie die Richtung ändern wollten. Die Spin-Fahrzeuge hatten allerdings keinen integrierten Blinker. Und genau das ist schlecht: Ich würde nicht empfehlen, sehr lange mit nur einer Hand am Lenker zu fahren.

(bsc)