Hoffnungsschimmer für Querschnittsgelähmte

US-Forscher konnten Muskellähmungen bei Affen mit dem Signal einer einzelnen Nervenzelle aufheben.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Eine einzelne Nervenzelle könnte ausreichen, um gelähmten Muskeln ihre Bewegungsfähigkeit wiederzugeben. Das legen Versuche von Chet Moritz, Steve Perlmutter und Eberhard Fetz von der University of Washington nahe. Die drei Forscher beschreiben in der aktuellen Online-Ausgabe von Nature, wie sie bei Versuchsaffen den Ausfall von Handnerven überbrückt haben, indem sie einzelne motorische Nervenzellen im Gehirn mit Unterarmmuskeln neu verbanden. Die Ergebnisse könnten weit reichende Bedeutung für die Heilung von Nervenschäden und Querschnittslähmungen haben.

Bei früheren Versuchen mit Gehirn-Computer-Schnittstellen war es mehreren Wissenschaftlergruppen gelungen, Affen beizubringen, Kraft ihrer Gedanken einen Roboterarm zu bewegen oder gar einen Roboter auf einem Laufband zu bewegen. Dafür musste allerdings immer die Aktivität vieler Nervenzellen mit komplizierten Algorithmen entschlüsselt und in Steuersignale umgewandelt werden. Die Forscher in Washington hingegen brachten zwei Affen mit Hilfe eines einfachen Biofeedback-Computerspiels bei, einen Cursor mit der Aktivität einer einzelnen Nervenzelle zu steuern.

Dafür pflanzten sie in einer Hirnhälfte Mikroelektroden in den Teil der motorischen Hirnrinde (Cortex) ein, der die Muskeln des Handgelenks steuert. Jede Elektrode detektierte die elektrischen Signale einer einzelnen Nervenzelle. Ein Computerchip wandelte die abgeleiteten Signale von jeweils einer Nervenzelle auf einmal in Cursorbewegungen auf einem Bildschirm um: feuerte die Zelle oberhalb eines Grenzwertes, bewegte sich der Cursor auf ein Ziel am Bildschirmrand zu; eine niedrige Feuerrate bewegte ihn zur Bildschirmmitte. Die Wissenschaftler belohnten die Affen, wenn der Cursor die zufällig präsentierten Ziele erreichte. Durch diese operante Konditionierung lernten die Tiere, die Signale einer einzelnen Nervenzelle zu verstärken und abzuschwächen.

Im nächsten Schritt schalteten die Forscher mit einem Betäubungsmittel die vom motorischen Kortex zur Hand führenden Armnerven aus, so dass die Tiere für die Dauer der Anästhesie ihr Handgelenk nicht bewegen konnten. Dann wurden die Nervenzellsignale vom Chip in geeignete Stimulationsreize umgewandelt und zu den gelähmten Unterarmmuskeln weitergeleitet, die durch diese Überbrückung wieder bewegt werden konnten. Die Tiere lernten rasch, durch Steigerung und Senkung der Feuerrate ihr Handgelenk zu drehen oder ruhig zu halten – und auf diese Weise den Cursor zu den Bildschirmzielen zu steuern. Das schafften sie sogar dann, wenn die Forscher nicht motorische Nervenzellen sondern solche aus anderen Gehirngebieten als Signalquelle auswählten.

Die Ergebnisse könnten Menschen mit verschiedenen Lähmungen eines Tages dazu verhelfen, die ausgefallenen Körperteile ohne externe Steuergeräte einfach Kraft ihrer Gedanken wieder zu bewegen. "Eine kleine Gruppe von Nervenzellen könnte vielleicht reichen, damit jemand seine Hand wieder schließen und Gegenstände aufheben kann. Für eine ganze Extremität bräuchte man nur genügend Nervenzellen, um alle Freiheitsgrade abzudecken", sagt Forscher Chet Moritz. Etwa 100 Nervenzellen könnten reichen, um durch Redundanz den Ausfall von einzelnen Verbindungen ausgleichen zu können.

Bis es soweit ist, sind allerdings noch einige Hürden zu meistern. "Das war erst der Beweis, dass es überhaupt geht. Von klinischen Versuchen mit Menschen sind wir wahrscheinlich noch Jahrzehnte entfernt", sagt Moritz' Kollege Eberhard Fetz. Als nächsten Schritt planen sie Versuche, in denen Affen lernen sollen, mehr Muskeln auf einmal zu steuern und komplexere Bewegungen auszuführen. Die Forscher wollen die Kabel auch implantierbar machen, um die Gefahr von Entzündungen auszuschließen, die an den Austrittsstellen der Kabel entstehen können.

Das hehre Ziel ist aber, mit Hilfe der Nervensignale auch Nervenschäden bei Querschnittslähmungen überbrücken. Laut Moritz ist es denkbar, statt Muskeln direkt das Rückenmark zu stimulieren und dort so genannte Mustergeneratoren anzuregen, ganze Muskelgruppen für bestimmte Bewegungen – wie etwa das Laufen – zu aktivieren. (bsc)