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Jahrhundertwerk​: 100 Jahre BMW Motorrad, Teil drei

Ingo Gach
BMW K 1200 S

BMW K 1200 S mit quer eingebautem Motor von 2004

(Bild: BMW)

Anfang der 90er wird das Festhalten am Ur-Konzept belohnt: Nach ca. 700.000 Boxer-Modellen rettet mit der R 1100 GS erneut ein Boxer die BMW-Motorradsparte.

Es wäre folgerichtig gewesen, dass die moderne K-Baureihe die R-Baureihe ablösen würde, doch der Boxer erfreute sich weiterhin großer Beliebtheit. Schließlich sollte sie sogar die K-Modelle überdauern. Zwar verkauften sich die K 100-Vierzylinder bis zu ihrem Produktionsende 1993 etwa 140.000-Mal, bevor sie von der K 1100 mit 1092 cm3 abgelöst wurden, doch schon 1987 musste die Geschäftsführung feststellen, dass die K-Modelle sich nicht in den geplanten Stückzahlen verkaufen ließen.

Erneut ging bei BMW das Gespenst der Schließung der Motorradsparte um und die Münchner setzten ihre Hoffnung auf einen modernen Boxermotor. Die Entwicklung dauerte länger als geplant, doch als die R 1100 RS im Jahr 1993 endlich auf den Markt kam, glich sie einer Revolution bei BMW. Sie beendete die Ära der Zweiventil-Boxer, die seit 1923 auf exakt 684.830 Exemplare gekommen waren. Der neue, 90 PS starke Motor mit 1085 cm3 trug einen Vierventil-Zylinderkopf und die R 1100 RS konnte mit noch einer Innovation glänzen: Eine "Telelever" genannte Vorderradaufhängung trennte Federung und Dämpfung von der Radführung.

Zunächst blieb der Verkauf hinter den Erwartungen zurück: Von der R 1100 RS wurden im ersten Jahr weltweit nur rund 10.000 Stück verkauft – zu wenig, um die teuren Entwicklungskosten wieder reinzuholen und die Zukunft von BMW Motorrad zu sichern. Das änderte sich jedoch mit der R 1100 GS, die 1994 herauskam. Für einen besseren Drehmomentverlauf wurde die Höchstleistung zwar auf 80 PS zurückgenommen, was aber den Motor geschmeidiger wirken ließ. Die GS bekam ebenfalls die Telelever-Aufhängung [1] und vor allem über lange Federwege für den Geländeeinsatz. Ihr 25-Liter-Tank sicherte dem Fahrer eine große Reichweite und machte sie bei Tourenfahrern sehr beliebt.

Bilderstrecke 100 Jahre BMW Motorrad 3 (0 Bilder) [2]

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Hatte BMW von der Zweiventil-GS zwischen 1980 und 1994 rund 62.000 Exemplare verkauft (der letzte Zweiventil-Boxer verließ als Sondermodell R 80 GS Basic am 19. Dezember 1996 das Werk in Berlin), rettete erst die R 1100 GS die Motorradsparte von BMW: Von ihr wurden in fünf Jahren exakt 39.842 Stück produziert. Auch die R 1100 R und die R 1100 RT wurden von den Boxer-Fans angenommen. Schon 1997 ging es BMW Motorrad finanziell deutlich besser.

BMW hatte die Geländeaffinität seiner Kunden längst registriert und wollte deshalb eine günstige Einsteiger-Enduro anbieten. Um Kosten zu sparen, baute die Entwicklungsabteilung das neue Modell auf der Aprilia Pegaso 650 auf. BMW übernahm den flüssigkeitsgekühlten, 652 cm3 großen Einzylindermotor von Rotax, allerdings mit Vierventil-, statt Fünfventil-Zylinderkopf und Doppelzündung. Der Rahmen bestand nicht aus Aluminium, sondern aus Stahl und die Showa-Federung bekam eher moderate Arbeitswege.

Das F 650 Funduro getaufte Modell wurde 1994 zwar von BMW-Fans zunächst kritisch beäugt, war sie doch die erste BMW mit Kettenantrieb zum Hinterrad und wurde auch noch in Noale bei Aprilia gefertigt, doch der Verkaufserfolg stellte sich bald ein, schon im ersten Baujahr kam sie auf rund 10.000 Stück. Im Gelände mochte die F 650 nicht so ganz überzeugen, aber das 48 PS starke Bike glänzte mit problemloser Alltagstauglichkeit und wieselflinkem Handling in Kurven. Bis zum Produktionsende im Jahr 2000 fand sie 50.990 Käufer.

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Dass aus der K-Baureihe mit ihrem schweren Motor- und Getriebelayout kein echter Sportler mehr werden würde, war BMW bewusst, deshalb präsentierte sie 1997 die K 1200 RS als Sporttourer mit 1171 cm3. Trotz ihrer üppigen 285 kg lieferte sie, dank 130 PS, beachtliche Fahrleistungen. Zwei Jahre später landete der Antrieb auch im Luxustourer K 1200 LT. Um auf dem von Harley-Davidson beherrschten US-Markt mit einem Cruiser Fuß zu fassen, entwickelte BMW 1998 die R 1200 C. Ihr auf 1171 cm3 aufgebohrter Boxer steckte in einem neuen Chassis mit langer Monoleverschwinge. Beim europäischen Publikum kam das Design der R 1200 C allerdings nicht sonderlich gut an und in Amerika störten sich die Cruiserfahrer daran, dass sie ihre Füße nicht wie gewohnt weit vorne parken konnten – die Zylinder des Boxermotors waren im Weg.

Wesentlich erfolgreicher war da ab 2000 die R 1150 GS. Auch wenn die Optik ihrer beiden asymmetrischen Scheinwerfer sehr gewöhnungsbedürftig waren, konnte ihr 1130 cm3 großer Motor ebenso überzeugen wie ihre überragende Tourentauglichkeit. Bei Geländeeinsätzen musste der Fahrer in Anbetracht von über fünf Zentnern Gewicht Vorsicht walten lassen, aber sie sollte sich innerhalb von vier Jahren mit 58.023 Exemplaren (inklusive der R 1150 GS Adventure mit 30-Liter-Tank) sogar noch besser verkaufen als ihre Vorgängerin.

Bilderstrecke 100 Jahre BMW Motorrad 3 1 (6 Bilder) [17]

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Erst 2004 hatte BMW endlich ein Einsehen und baute seinen Reihenvierzylindermotor nicht mehr längs, sondern quer zur Fahrtrichtung ein. Die K 1200 S besaß 1157 cm3 Hubraum und entwickelte 167 PS. Der Motor war für einen niedrigen Schwerpunkt um 55 Grad nach vorne gekippt und am Vorderrad kam eine neue Duolever-Aufhängung zum Einsatz. Die K 1200 S war das erste Serienmotorrad der Welt mit einer elektronisch einstellbaren Fahrwerksabstimmung.
(Bild: BMW)

Ebenfalls im Jahr 2000 präsentierte BMW die Nachfolgerin ihrer Einzylinder-Enduro in Gestalt der F 650 GS. Es traf sich gut, dass Richard Sainct im Jahr zuvor mit dem Prototyp F 650 RR die Rallye Paris-Dakar gewonnen hatte. Die Produktion der F[ ]650[ ]GS [19] wurde von Noale nach Berlin verlagert. Den Motor lieferte weiterhin Rotax – jetzt mit Kat und E-Gas –, der Rahmen wurde geringfügig und das Chassis gründlich überarbeitet. Der Tank wanderte ins Heck unter die Sitzbank, das Design wirkte moderner und ein 21-Zoll-Vorderrad war den Anforderungen im Gelände besser gewachsen.

Ihr wurde die F 650 GS Dakar zur Seite gestellt, die zwar keinen größeren Tank, aber dafür längere Federwege und einen höheren Windschild bekam. Die Einzylinder-Enduro wurde auf Anhieb zum Bestseller im BMW-Programm, bis zum Sommer 2001 wurden über 30.000 Einheiten verkauft. Als weniger beliebt erwies sich 2002 der Straßenableger F 650 CS mit seinem ungewöhnlichen Design und Zahnriemenantrieb zum Hinterrad – die CS wurde nach nur drei Jahren eingestellt.

Das erfolgreichste BMW-Modell aller Zeiten kam 2004 auf den Markt: die R 1200 GS. Sie ist inzwischen das meistverkaufte Motorrad über 600 cm3 weltweit. Allein bis zu ihrem Facelift 2007 wurden 90.142 der R 1200 GS und R 1200 GS Adventure produziert. Die Reiseenduro zeigte sich leichter und agiler als ihre Vorgängerin. Der 1170-cm3-Boxer war neu konstruiert worden und leistete zunächst 98 PS, bis zum Ende seiner Bauzeit 2018 steigerte er sich auf 125 PS. Wer ohnehin nur auf Asphalt unterwegs sein wollte, orderte sie mit Gussfelgen, Geländefahrer hingegen mit Kreuzspeichenfelgen. Die R[ ]1200[ ]GS [20] überzeugte mit sattem Durchzug, guter Handlichkeit und viel Komfort, dazu bot BMW umfassendes Zubehör an.

Versuche von BMW, radikalere Enduros zu bauen, waren nur kurze Bauzeiten beschert. Die HP2 Enduro (HP für High Performance) kam 2006 deutlich erleichtert mit nur 195 kg Gewicht, einer Upside-down-Gabel und luftgefedertem Heck auf den Markt. Sie schlug sich vor allem bei den Baja-Rennen in Amerika beachtlich. Nach nur zwei Jahren und 2910 Exemplaren wurde die sehr teure HP2 Enduro eingestellt. Auch ihrem Supermoto-Ableger HP2 Megamoto mit 17-Zoll-Straßenrädern erging es 2007 nicht besser.

2008 wollte BMW ernsthaft an Enduro-Wettbewerben teilnehmen und präsentierte die G 450 X mit 449 cm3 und 52 PS. Die Sportenduro wog vollgetankt 121 kg und ihre die koaxiale Anordnung von Schwingendrehpunkt und Kettenritzel ermöglicht eine längere Schwinge für bessere Traktion. Sie war durchaus erfolgreich im Wettbewerb, fand aber keinen größeren Kundenkreis. Ihre Produktion lief nach drei Jahren aus.

Wir greifen ein paar Jahre vor, zur noch aktuellen R 1250 GS, die das meistverkaufte Motorrad in Europa geblieben ist. Mit Spannung wurde die Nachfolgerin R 1300 GS erwartet, die zum 100. Geburtstag von BMW Motorrad am 28. September präsentiert wurde. Die neue Boxer-Enduro erhält 1300 cm3 Hubraum und die Leistung steigt auf 145 PS. Vor allem aber soll sie mit 237 immerhin 12 kg leichter als die Vorgängerin werden. Die R 1300 GS bekommt zwar einen völlig neuen Rahmen, behält aber Tele- und Paralever. Zudem werden zwei neue Varianten aufgelegt: die M 1300 GS als noch besser geländegeeignete Enduro und die M 1400 GS als Nachfolgerin der Adventure mit Riesentank und serienmäßig viel Ausstattung für Touren. Die R 1300 GS hat das Zeug, erneut ein Bestseller zu werden.

(fpi [21])


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