"Man muss ganz Europa betrachten"

Fraunhofer-Forscher Kurt Rohrig hat bewiesen, dass allein Sonne, Wind und Biogas Deutschland zuverlässig mit Energie versorgen können.

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  • Julia Ockenga

Fraunhofer-Forscher Kurt Rohrig hat bewiesen, dass allein Sonne, Wind und Biogas Deutschland zuverlässig mit Energie versorgen können. Vorausgesetzt, der Markt wird internationaler und die Technik besser.

Dr. Kurt Rohrig vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Kassel befasst sich seit fast 20 Jahren mit der Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen. Seine Forschungsgruppe erarbeitete das regenerative Kombikraftwerk, für das der promovierte Maschinenbau-Ingenieur 2009 als Teamleiter mit dem Klimaschutzpreis der Deut- schen Umwelthilfe ausgezeichnet wurde.

Technology Review: Herr Rohrig, würden Sie Ihrem Gefrierschrank vertrauen, wenn der Strom dafür ausschließlich von einer Windkraftanlage käme?

Kurt Rohrig: Nein, natürlich nicht. Gerade im Sommer und bei Flaute ist das nicht verlässlich.

TR: Das ist ein Hauptargument vieler Gegner erneuerbarer Energien. Sie sagen, jede Flaute kann bewirken, dass die Stromversorgung kurzfristig zusammenbricht.

Rohrig: Ja, diese Meinung herrschte lange vor. Deshalb haben wir bereits Mitte der Neunziger die Einspeisung von Windparks untersucht und dabei gesehen, dass die aus Wind gewonnene Energie ziemlich schwankend ist. Aber das Wetter ist zeitlich und räumlich variabel. Auch der Wind allein kann eine hohe Versorgungssicherheit bieten. Wenn ich an einem Standort keinen Wind habe, habe ich wahrscheinlich an einem anderen genügend davon. Dann muss die Energie nur über Stromnetze von A nach B transportiert werden.

TR: Wahrscheinlich bedeutet nicht sicher...

Rohrig: Als wir gesehen haben, dass die Windenergie schon relativ verlässlich ist und man sie gut vorhersagen kann, haben wir uns gesagt, dass alle Erneuerbaren zusammen eine ziemliche Verlässlichkeit aufweisen müssten. Wenn Sie an einem Standort ein kraftvolles Hoch haben, scheint die Sonne, aber es gibt wenig Wind. Bei einem Tief ist es umgekehrt. Zusammengenommen liefert aber immer einer der Energieträger Strom. Mit dieser Idee sind wir darangegangen, die drei klassischen Erneuerbaren – Wind, Photovoltaik und Biogas – so zu kombinieren, dass wir zu jedem Zeitpunkt genügend Strom zur Verfügung haben. Das konnten wir in unserem Projekt, dem regenerativen Kombikraftwerk, ziemlich perfekt demonstrieren.

TR: Wie funktioniert ein regeneratives Kombikraftwerk?

Rohrig: Wir nutzen Informationen von deutschen Wetterdiensten und berechnen daraus die Wind- und Sonnenenergie, die unsere Anlagen voraussichtlich erzeugen werden. Das ist der Energieanteil, der wenig regelbar ist und den wir als gegeben hinnehmen müssen. Dann ermitteln wir die verbleibende Lücke zwischen dem erwartbaren Strombedarf und der Einspeisung aus Wind- und Photovoltaikstrom. Diese schließen wir dann mithilfe von Biogasanlagen.

Wenn die Lücke damit noch immer nicht geschlossen werden konnte, haben wir ein Pumpspeicherwerk hinzugenommen, um daraus weitere Energie zu bekommen. Dieses diente auch zum Speichern überschüssiger Energieproduktion. Das Pumpspeicherwerk wurde allerdings nur simuliert, alle anderen Anlagen und auch der Stromverbrauch waren echt.

TR: Mit wie vielen Anlagen sind Sie dabei an den Start gegangen?

Rohrig: Wir haben bundesweit drei große Windparks, 26 Photovoltaik-Anlagen und vier Biogasanlagen einbezogen.

TR: Wie konnten Sie die vielen Anlagen koordinieren? Haben Sie in die Betriebsführung der einzelnen Energieerzeuger eingegriffen?

Rohrig: Mithilfe der Prognosen haben wir Fahrpläne für unsere regelbaren Kraftwerke, also die Biogasanlagen, erstellt, so wie das auch die Energiewirtschaft macht. Dadurch wussten die Betreiber der Anlagen, wann sie wie viel Energie bereitstellen müssen. Über einen Soll-Ist-Vergleich wurde immer wieder kontrolliert, wie viel Energie verfügbar ist, und gegebenenfalls wurde ein neues Soll berechnet.

Die Signale haben wir dann an die Biogasanlagen geschickt und die Einspeisung entsprechend kontrolliert. Die Biogasanlagen wurden also wirklich von uns gesteuert. Die Windkraftanlagen wurden nur regulativ beeinflusst. Das heißt, wir haben gezeigt, dass man sie zur Not auch abregeln kann, wenn zu viel Wind da ist – das sollte man jedoch eigentlich nicht machen.

TR: Sind bei dieser Methode nicht die Biogasproduzenten benachteiligt, die immer nur die Ausgleichsenergie liefern können?

Rohrig: Nicht, wenn die Ausgleichsenergie entsprechend vergütet wird. Wir haben es leider in der letzten Legislaturperiode nicht geschafft, noch einen entsprechenden Passus in das Erneuer-bare-Energien-Gesetz einzubringen. Aber wir brauchen ganz klar finanzielle Anreize dafür, solche Kombikraftwerke zu betreiben.

TR: In Ihrem Kombikraftwerk haben Sie eine bestimmte Mischung aus Windenergie, Photovoltaik und Biogasanlagen genutzt. Würde Ihr System auch eine andere Zusammensetzung zulassen? Zum Beispiel ohne Biogas?

Rohrig: Der Mix ist schon so konzipiert, dass die Versorgungssicherheit sehr hoch ist. Wenn man das anders ausgestaltet – mehr Wind, weniger Photovoltaik und weniger Biogasanlagen –, dann ist diese Sicherheit zunächst geringer. Wenn man das Netz jedoch weiter aufspannt, wird auch Windenergie wieder zuverlässiger. Also gibt es mehrere Parameter, die man verändern kann, um an das optimale Ergebnis zu kommen.

Da unser Kombikraftwerk auf Deutschland begrenzt war, mussten wir mehr auf regelbare Energie, also Biogas und Wasserkraft, setzen. Anders als in Norwegen oder Schweden sind Pumpspeicherwerke hier ganz klar das begrenzende Element. Wenn man Anlagen europaweit vernetzt, ist aber weniger Ausgleichsenergie nötig, da man dann mehr gesicherte Leistung aus den fluktuierenden Energiequellen hat.

TR: Ist das so zu verstehen, dass sich auch private Betreiber von kleinen Windkraft- oder Photovoltaikanlagen an einem Kombikraftwerk beteiligen sollen?

Rohrig: Nein, es geht um größere Maßstäbe. Natürlich ist es wünschenswert, wenn Familien oder kleine Gruppen sich so weit wie möglich selbst versorgen. Um den gesamten Energiehunger zu stillen, muss man aber großtechnische Anlagen einsetzen. Das kann man nicht ausschließlich mit Photovoltaik auf Hausdächern lösen.

TR: Wie sähe das in der Praxis aus? Würden sich die Betreiber großer Anlagen zu Kombikraftwerken zusammenschließen, oder denken Sie eher daran, die gesamte regenerative Stromerzeugung in Deutschland durch ein einziges Kombikraftwerk zu regeln?

Rohrig: Die Energieversorgung ist so aufgebaut, dass immer genauso viel Strom erzeugt wird, wie wir verbrauchen, sonst wird das ganze System instabil. Konventionelle Kraftwerke, die regelbar sind, stimmen sich deshalb untereinander ab. Das werden in Zukunft auch die Erneuerbaren machen müssen. Diese gemeinsame Organisation gibt es teilweise schon. Ob diese Aufgabe später eine einzige große Steuerzentrale übernimmt, wage ich zu bezweifeln. Aber es wird sicher Anbieter geben, die aus regenerativen Kombikraftwerken Energie bereitstellen.

TR: Welche Grenzen hat das System?

Rohrig: Unser Kombikraftwerk war auf Deutschland beschränkt. Aber eigentlich ist es technisch und ökonomisch nicht sinnvoll, hier Halt zu machen, weil die erneuerbaren Energien sich nach der Großwetterlage richten. Je weiter man ein Kombikraftwerk vernetzt, desto sicherer ist die Energieversorgung. Deshalb muss man ganz Europa betrachten. Grenzen sehe ich da, wo mit den Übertragungsleitungen die erzeugte Energiemenge gar nicht mehr transportiert werden kann. Denn je mehr fluktuierende Energieerzeuger dazukommen, desto weiter muss das Netz aufgespannt werden und desto mehr Strom muss über weite Strecken transportiert werden. Dieses Problem muss noch gelöst werden.

TR: Was würden Sie empfehlen?

Rohrig: Ich arbeite auf europäischer Ebene in Gremien mit, in denen genau diese Fragen erörtert werden. Es sind immer drei Punkte, um die es da geht: Erstens muss die Anlagentechnik verbessert werden. Je mehr Erneuerbare in die Stromnetze eingespeist werden, desto mehr Konventionelle werden verdrängt und desto mehr Systemdienstleistungen müssen von Erneuerbaren bereitgestellt werden. Die Frequenz- und die Spannungsregelung müssen zum Beispiel irgendwann von den regenerativen Anlagen übernommen werden.

Das bedeutet, diese Anlagen müssen wirklich verlässlich Strom produzieren und das System selbst stützen. Zweitens muss ein europäischer Markt geschaffen werden, der mit erneuerbarer Energie handelt. Ein Beispiel: Wenn in Spanien viel Windenergie zur Verfügung steht und es einen Überschuss gibt, interessiert das bislang nur den spanischen Netzbetreiber, und er muss zusehen, wie er überschüssige Energie loswird. Wenn zugleich eine Flaute in Deutschland herrscht, wäre es ja ideal, Überschüsse nach Deutschland zu verkaufen. Das ist natürlich eine technische Frage, aber der Markt dafür muss auch vorhanden sein.

TR: Aber da stößt das europäische Stromnetz doch, wie Sie selbst sagen, an Kapazitätsgrenzen.

Rohrig: Genau. Und das ist der dritte Punkt. Das Netz muss weiter ausgebaut werden – und zwar intelligent. Nicht, wie es im Offshore-Sektor anfangs überlegt wurde, nach dem Prinzip "Ein Windpark, ein Kabel". Das muss europaweit besser organisiert werden.

TR: Warum funktioniert das Prinzip "Ein Windpark, ein Kabel" nicht?

Rohrig: Es ist einfach nicht ökonomisch, für jeden Windpark ein Kabel zu verlegen, wenn der Windpark umgerechnet nur 3000 oder 4000 Stunden im Jahr seine volle Leistung abgibt. Die Offshore-Windparks sollten untereinander vernetzt und insgesamt in die europäischen Stromnetze integriert sein. Die Ausnutzung der Leitungen muss besser organisiert werden. Stromtransport über weite Strecken war bislang gar nicht gefragt. Dafür müssen nun aber die Netze ertüchtigt werden.

TR: Und wie erreicht man das?

Rohrig: Zum Beispiel durch ein Overlay-Netz. Das bedeutet, dass große Energiemengen über weite Distanz nicht bei der bisherigen Spannung von 380 Kilovolt transportiert werden, sondern dafür eine noch höhere Spannungsebene installiert wird. In China gibt es zum Beispiel Gleichstromleitungen mit 800 Kilovolt für weite Strecken. Mit Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung können die Energieverluste über große Distanzen gering gehalten werden.

TR: Werden regenerative Kombikraftwerke den Energiemarkt verändern?

Rohrig: Ich glaube, die Akteure werden dieselben sein. Man merkt jetzt schon, dass die Betreiber von großen regenerativen Anlagen aus dem Kreis der großen Energieversorger kommen. Beim Offshore-Windpark Alpha Ventus heißen die Betreiber E.on, EWE und Vattenfall.

TR: Böse Zungen behaupten, dass die großen Energieversorger sich nur engagiert haben, weil es dafür Fördergelder vom Staat gibt und sie beweisen wollen, dass die Technik nicht funktioniert.

Rohrig: Ja, böse Zungen behaupten das. Man kann durchaus auf diese Idee kommen, wenn man die aktuelle Diskussion um den Atomausstieg auf der einen Seite und die zögerliche Offshore-Entwicklung auf der anderen Seite sieht. Ich vermute aber, es liegt eher daran, dass die technischen Probleme noch nicht ganz gelöst sind. Man schaut also erst mal, was da jetzt bei Alpha Ventus passiert, und möchte wissen, welche Risiken existieren, bevor man den nächsten Schritt macht.

TR: Wie sehen Ihre eigenen Aktivitäten nun aus? Ist das Thema Kombikraftwerk für Sie weiter aktuell?

Rohrig: Auf europäischer Ebene arbeiten wir an einem großen Projekt mit, bei dem ein regeneratives Kombikraftwerk für ganz Europa aufgezogen werden soll. Mehrere Tausend Anlagen sind dabei. Es ist allerdings kein Forschungsprojekt, in dem etwas Neues entwickelt wird. Das Projekt soll vor allem zeigen, was mit der heutigen Technik schon möglich ist. (mpi)