Rätselraten um Japans Wiederaufarbeitungsanlage Rokkasho geht weiter

Sie könnte ein Pfeiler für einen nuklearen Brennstoffkreislauf sein. Doch seit 26 Jahren wartet Japans Atomindustrie auf die Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho.

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Die nukleare Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho in der japanischen Präfektur Aomori.

(Bild: Wikimedia Commons / Nife / cc by-sa 3.0)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling

Für Japans atomare Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho soll 2024 ein großes Jahr werden. Bisher halten die Betreiber an ihrem Ziel fest, nun endlich – mit 26 Jahren Verspätung – die Verarbeitung von Atommüll aufzunehmen. Doch Beobachter bezweifeln, dass es dazu kommen wird.

Tatsujiro Suzuki, Professor am Forschungszentrum für nukleare Abrüstung an der Universität Nagasaki, sagt: "Es gibt Grund zu der Annahme, dass dies wieder nur ein frommer Wunsch ist, der in einer weiteren Verschiebung endet." Auch der Energieexperte Yuriy Humber, Gründer von Japan NRG, einer Plattform für Informationen über Japans Energiewirtschaft, will erst an Rokkasho glauben, wenn die Wiederaufbereitungsanlage läuft. "Die Anlage ist noch nicht fertig", sagt er. "Und solange das so ist, hängt das Projekt wie ein Menetekel des Scheiterns über Japans Atomindustrie."

Eine weitere Verschiebung der Inbetriebnahme der Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho käme nicht überraschend, zu oft haben die Japaner falsche Ankündigungen bei einem der ehrgeizigsten Atomprojekte des Landes erlebt. 1993 begann die Betreibergesellschaft Japan Nuclear Fuel (JNFL) mit dem Bau der Anlage. Es war eine kleine Sensation. Denn mit einem Start der Anlage wäre Japan der erste Nicht-Atomwaffenstaat, der seine eigenen Kernbrennstäbe wiederaufbereitet.

Ein nüchterner Blick auf das Projekt zeigt aber: Die Anlage ist bis heute ein (unfertiger) Pfeiler für einen nuklearen Brennstoffkreislauf. Eigentlich sollten in Rokkasho jährlich bis zu 800 Tonnen Atommüll verarbeitet und neuer Brennstoff für Atomkraftwerke hergestellt werden. Der ursprünglich geplante Betriebsbeginn im Jahr 1997 wurde jedoch immer wieder verschoben.

So traten bei Testläufen zwischen 2006 und 2008 technische Probleme mit dem Verglasungsverfahren für die Abfälle aus der Wiederaufarbeitung auf. 2011 stoppte die Reaktorkatastrophe von Fukushima das Projekt, seit 2013 müssen die Betreiber deutlich strengere Sicherheitsstandards erfüllen, die Japan nach der dreifachen Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima 1 erlassen hatte. Daran arbeitet JNFL offenbar noch. Eine Betriebsgenehmigung fehlt bislang.

Atomexperte Suzuki nennt vier weitere Gründe für die Verzögerungen: Erstens habe JNFL nicht die nötige Expertise, um ein solch technologisch komplexes und gefährliches Projekt zu leiten. Statt Experten hätten die neun Stromversorger, denen JNFL gehört, Manager entsandt. Zweitens würde dies die Integration der von verschiedenen Firmen gelieferten Anlagen erschweren. Drittens gebe es wenig Kostendruck, da die Kosten über eine Umlage von den Stromkunden getragen würden. "Viertens fehlt dem Projekt eine unabhängige Kontrolle", sagt Suzuki.

Trotz der Probleme wollen weder die Stromkonzerne noch die Politik das Projekt beenden. Das liegt daran, dass Japans Nuklearstrategie nach wie vor auf Wiederaufarbeitung setzt. Zudem wird die Anlage bereits als Zwischenlager genutzt, während es nach wie vor kein Endlager gibt.

Ein Ende des Traums von der Wiederaufarbeitung könnte daher dazu führen, dass die lokale Regierung darauf besteht, dass die in Rokkasho bereits gelagerten Brennstäbe an die Kraftwerksbetreiber zurückgegeben werden. Das ist eine Horrorvorstellung, denn sie müssen den Widerstand anderer Kommunen gegen die Anlieferung weiteren Atommülls auf dem Gelände der AKWs befürchten.

Dennoch wächst der Druck auf alle Beteiligten, endlich Entscheidungen zu treffen. Japans Zwischenlager sind nach Angaben der Energiebehörde bereits zu 80 Prozent gefüllt. Zwar wollen die Energieversorger die Kapazität von derzeit 24.000 Tonnen auf 30.000 Tonnen im Jahr 2030 erhöhen. Doch die Behörde weist darauf hin, dass dies mit Zustimmung der lokalen Bevölkerung geschehen muss. Und die wehrt sich oft hartnäckig auf dem Rechtsweg.

Der Aufbau eines nuklearen Brennstoffkreislaufs samt Wiederaufbereitungsanlage wird daher weiterhin als Beitrag zur Reduzierung der Atommüllzwischenlagerung gepriesen. Man darf also gespannt sein, ob die JNFL diesmal ihr Versprechen halten kann – oder den Start von Rokkasho ein weiteres Mal verschiebt.

(jle)