Simulierte Geschichte

Computer-Spiele können Studenten beim Lernen über historische Ereignisse helfen. In Zukunft könnten sie sogar dazu genutzt werden, Zusammenhänge zu verstehen und unerwünschte Entwicklungen zu verhindern.

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Eine der Besonderheiten von Computer-Modellierungstechniken ist, dass man mit ihnen verschiedene Phänomene der realen Welt unglaublich detailliert simulieren kann. So gibt es bereits Computerspiele mit Simulationen von früheren Ereignissen, die Spielern die Möglichkeit geben, die dabei wirkenden Kräfte zu verstehen und alternative Historien zu erkunden.

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Könnte diese Art von computerisierter Geschichte verändern, wie wir die Vergangenheit und die Lehren verstehen, die sie für uns bereithält?

Mit dieser Frage haben sich jetzt Mehmet Sükrü Kuran an der Adullah Gul Universität in der Türkei und Kollegen beschäftigt. Zusammen haben sie einen Einführungskurs in Geschichte entwickelt, bei dem Studenten das Thema mit Hilfe von historischen Computerspielen nahegebracht wird.

Die Vorlesung deckt drei Zeitalter in der Geschichte ab: das Mittelalter mit dem Schwerpunkt auf der großen Spaltung im Christentum und der Trennung zwischen Sunni und Shia im Islam, die frühe Neuzeit mit der industriellen Revolution und die Moderne, in diesem Fall vor allem die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert.

Kuran und Kollegen experimentierten mit einer Reihe von Spielen, unter anderem der Civilization-Reihe von Firaxis Games, der Serie Total Wars von Creative Assembly und mit großen Strategie-Spielen wie Crusader Kings II, Europa Universalis IV sowie Hearts of Iron IV von Paradox Interactive.

Jedes Modul des Kurses beginnt mit einer Lern- und Diskussionsphase, gefolgt von einer Einführung in das gewählte Spiel. Den Studenten wurden dann bestimmte Ziele vorgegeben, die sie in ihrem Spiel erreichen sollten, anschließend sollten sie aufschreiben, wie ihre Erfahrung dabei verglichen mit anderen Quellen für historische Informationen war.

Nach zwei Jahren entschied das Team, dass eine der Spiel-Reihen für Lernzwecke eindeutig besser geeignet ist als die anderen. „Die Spiele der Serie Grand Strategy boten aufgrund ihres Detailliertheitsgrades, der hohen historischen Korrektheit und der Flexibilität für die Modellierung unterschiedlicher Kulturen und Nationen die umfassendste Erfahrung“, schreiben die Forscher.

Nach jeder Sitzung mussten die Studenten einen Blog-Beitrag mit 500 Worten über ihre Erfahrung schreiben. Anschließend wählten sie ein Zeitalter als Spezialisierung aus und schrieben ein Essay mit 3000 Worten über die Nachforschungen, die sie darin anstellten.

Kuran und Kollegen nennen eine lange Liste von Vorteilen für die Studenten bei dieser Art des Lernens. Zum Beispiel brachte es ein viel besseres Verständnis von globaler Geografie und ihren politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf Handelswege und militärische Versorgungsketten.

Außerdem lernten die Studenten durch die Spiele über die komplexen Interaktionen zwischen wirtschaftlichen, religiösen, technologischen, politischen und kulturellen Faktoren, die in allen Gesellschaften eine entscheidende Rolle spielen. Insbesondere wurde ihnen klar, inwiefern frühere Gesellschaften anders waren und wie sich das auf die Ergebnisse auswirkte. Der Wechsel von der Betrachtung von Ereignissen aus moderner Sicht zu einer aus historischer Sicht ist von großer Bedeutung: „Dieser Perspektiven-Wechsel ermöglicht ein deutlich besseres Verständnis von entscheidenden historischen Ereignissen“, schreiben die Forscher.

Eindeutig sind sie davon überzeugt, dass Spiele eine wichtige Rolle für das Verstehen von Geschichte spielen können. „Es bedeutet zwar einigen Aufwand, eine solche Vorlesung zur Weltgeschichte vorzubereiten, doch nach unseren Beobachtungen überwiegen die Vorteile die Herausforderungen und ermöglichen eine tiefere und immersivere Lernerfahrung“, heißt es in ihrem Fachaufsatz dazu.

Dass Studenten einen solchen Ansatz gut finden und davon profitieren könnten, ist leicht zu erkennen. Aber er ist eindeutig nur der Anfang. Die Fähigkeit, die Vergangenheit immer detaillierter zu simulieren, könnte auch für Historiker von enormem Wert sein. Historische Datenpunkte sind oft rar und ungenau, sodass Historiker die Lücken füllen müssen. Computer-Modelle sind ideal, um Hypothesen zu testen und zu prüfen, ob sie zu den bekannten Fakten passen.

Natürlich gibt es riesige Unterschiede zwischen Spiele-Serien wie Civilization und Grand Strategy und echten wissenschaftlichen Simulationen. Nicht zuletzt gibt es das Problem, dass Spiele im Prinzip „black boxes“ sind, die wenig oder nichts darüber verraten, wie sie intern funktionieren oder Ereignisse simulieren.

Ein gutes Modell muss Forschern die Möglichkeit geben, die Parameter hinter einer Simulation zu kontrollieren. Nur dann lässt es sich optimieren, und man kann deutlich erkennen, wie die eingegebenen Daten verarbeitet werden.

Wenn das der Fall ist, haben gute Modelle riesiges Potenzial. So wie Klima-Modelle Wissenschaftler in die Lage versetzen, unterschiedliche Möglichkeiten zur Beeinflussung des Klimas zu erkunden, könnten gute Historien-Modelle Historikern dabei helfen, alternative Ergebnisse zu untersuchen.

Eine interessante Idee in diesem Zusammenhang ist, dass es bestimmte Punkte in der Geschichte gibt, an denen die Umstände dafür sorgten, dass es nur ein Ergebnis geben konnte, unabhängig vom Verhalten der relevanten Akteure. So geht man weithin davon aus, dass die Welt im Jahr 1914 am Rand eines Krieges stand. Damit würde der angenommene Auslöser für den Konflikt – das Attentat auf Erzherzog Ferdinand in Sarajevo – letztlich gar nicht die entscheidende Rolle gespielt haben. Denn zu dieser Zeit hätte fast jeder Akt mit internationaler Bedeutung Europa in den Krieg stoßen können.

Aber stimmt das auch? Mit Computer-Modellen müsste es möglich sein, diese Hypothese zu überprüfen. Und wenn sie korrekt ist, stellt sich die Frage, wie oft in der Geschichte die Umstände so waren, dass keine anderen Entwicklungen möglich waren. Und natürlich: Wie können wir dieses Wissen nutzen, um zu verhindern, dass es in Zukunft zu ähnlichen Umständen kommt?

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