Wie der Strompreis zustande kommt – und wie er reguliert werden könnte

Gaskrise und Stromkrise haben sich inzwischen zu einer ausgewachsenen Energiekrise entwickelt. Die Politik muss in den Markt eingreifen.

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Pylon

(Bild: pan demin/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Mit stark gestiegenen Strompreisen stehen den Verbraucherinnen und Verbrauchern nach anstehenden Zusatzkosten durch die Gasumlage der nächste Kostenfaktor ins Haus. Hat der Gasmangel mit den hohen Strompreisen zu tun? Nur zum Teil. Erdgas dient in erster Linie zum Heizen, sei es um Glas zu schmelzen oder die Wohnung warm zu bekommen.

Zur Elektrizitätserzeugung trägt Erdgas in Deutschland um die 15 Prozent bei. Allerdings dienen Gaskraftwerke eigentlich als Reserven, um Ausfälle und Produktionsrückgänge bei anderen Erzeugern zu kompensieren. Sie springen in wenigen Minuten an, wenn Sonne, Wind und Wasser nicht genug Strom liefern.

In Deutschland stehen mehr als 90 Gaskraftwerke, die zusammen mehr als 31.000 Megawatt produzieren können, wie aus einer kleinen Anfrage an das Bundeswirtschaftsministerium hervorgeht. Sie sind es jetzt aber, die maßgeblich den Strompreis an der Europäischen Strombörse (EEX) in Leipzig bestimmen. Denn die hohen Gaspreise machen Strom aus Gaskraftwerken aktuell besonders teuer.

Gewinner sind die Öl- und Gasunternehmen und vor allem auch die Anbieter von regenerativ erzeugtem Strom, die Betreiber von Solaranlagen, Windrädern und Wasserkraftwerken. Allein durch die Art und Weise, wie sich auf Börsenmärkten Preise bilden, wurden sie jetzt unfreiwillig zu Krisenprofiteuren.

Strom ist überall dasselbe, austauschbare Produkt, egal ob er von einem Wind- oder aus einem Kernkraftwerk stammt. Muss ein Unternehmen wegen der hoher Gestehungskosten, etwa gestiegener Gaspreise, einen hohen Preis für eine Megawattstunde am Markt verlangen, dann wird natürlich das Unternehmen, das zu einem niedrigeren Preis produzieren kann, genauso viel verlangen, um so seinen Gewinn zu steigern.

Das Prinzip heißt Grenzkosten-Bepreisung, englisch: Marginal Pricing. Grenzkosten sind quasi der Deckungsbeitrag, den ein Unternehmen braucht, um den Strom zu erzeugen und künftige Investitionen zu finanzieren. Dieses Prinzip wird auch als Merit-Order-Modell beschrieben, als eine Reihenfolge der Preise.

Zunächst wird dabei der Strom mit den niedrigsten Grenzkosten berücksichtigt, also der aus regenerativen Quellen. Sukzessive kommen dann Kraftwerke mit höheren Kosten hinzu bis die Nachfrage gedeckt ist. Am Schluss des Handelszeitraums gilt dann der in dieser Zeit für den teuersten Strom gebotene Preis für alle. Diesen teuersten Anbietern, derzeit den Gaskraftwerksbetreibern, bleibt dann nur eine geringe Verdienstmarge, während die Anbieter mit den geringeren Gestehungskosten den Reibach machen. Ursprünglich wollte man damit teuer erzeugten Strom aus dem Markt drängen.

Um diese marktwirtschaftliche Funktionsweise zu durchbrechen, sind politische Regeln nötig. Denn der Markt selbst kennt keine Vorschriften. Genau aus diesem Grund haben sowohl Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich strukturelle Reformen für den Strommarkt angekündigt. "Wir haben immer noch einen Strommarkt, der so gestaltet ist, wie es vor zwanzig Jahren notwendig war, als wir anfingen, die erneuerbaren Energien einzuführen [...] Heute ist der Markt völlig anders und dieses Marktsystem funktioniert nicht mehr", sagte von der Leyen am 8. Juni vor dem Europäischen Parlament.

Dass es nicht funktioniert, liegt einerseits daran, dass die Stromnetze der Länder eng miteinander verflochten sind, dass es technische Probleme bei der Stromerzeugung gibt, und dass der vergangene Sommer viel zu heiß und zu trocken war. Vor allem die technischen Krisen haben sich jetzt mit Extremwetterlagen überschnitten, was wegen der Klimaerwärmung in Zukunft wohl der Fall sein dürfte.

Seit dem vergangenen Winter exportiert Deutschland viel mehr Strom in die Nachbarländer als früher, weil er dort Mangelware ist. So erzeugen in Frankreich von den 56 Atomreaktorblöcken nur noch 32 Elektrizität. Von den aktiven müssen außerdem einige ihre Leistung herunter fahren, weil die Flüsse nicht genügend Wasser führen, um die Anlagen zu kühlen.

Aber auch in der Schweiz und in Österreich fehlt Wasser. Die Talsperren sind zu leer, um in den Wasserkraftwerken ausreichend Strom zu erzeugen.

Wie der Branchenverband Gas vermutet, wird der Export-Strom jetzt offenbar in den Gaskraftwerken produziert. Genau lässt sich das nicht sagen, denn Strom ist schließlich überall derselbe. Um den Strompreis nicht aus dem Ruder laufen zu lassen, gäbe es aber durchaus Maßnahmen.

Die einfachste wäre, einfach die Nachfrage zu reduzieren, also schlicht und einfach Strom zu sparen.

Das Umweltbundesamt (UBA) hat dazu schon im Januar einen umfangreichen Katalog an Sparmaßnahmen für alle Sektoren – Verkehr, Industrie, Gewerbe, Haushalte – zusammengestellt, darunter auch ein altes Hintergrundpapier zum Stromsparen von 2015. Damals stellten die Autoren fest, dass der stetig steigende Stromverbrauch viele Klimaschutzerfolge wieder zunichte mache und wiesen auf enorme Einsparmöglichkeiten in Industrie und Haushalten hin. Dabei setzten sie weniger auf die viel beschworene Energieeffizienz in der Industrie, weil derartige Sparmaßnahmen in der Regel durch Rebound-Effekte, also einen Mehrverbrauch, zunichte gemacht werden. Stattdessen forderten sie mehr Suffizienz ein, also die Nachfrage nach Strom überhaupt zu verringern, etwa durch Konsumänderungen.

Einen interessanten Weg, direkt in den Strommarkt einzugreifen und Gewinne umzuverteilen, geht übrigens Frankreich. Dort bekommen Erzeuger von erneuerbarem Strom ähnlich wie in Deutschland eine Mindestvergütung. Steigt der Strompreis aber über diesen Betrag hinaus, müssen sie die Differenz an den Staat abführen.

Werden derartige Differenzverträge mit allen Marktteilnehmern geschlossen, könnten einerseits die Stromkunden vor extremen Preisanstiegen geschützt werden, andererseits würden sie aber einem schnellen, finanziell risikoarmen Ausbau der Erneuerbaren nicht im Wege stehen, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie nachwies. Damit wären dann auch die staatlichen Mittel vorhanden, ärmere Haushalte finanziell zu unterstützen.

Update, 8.9.2022, 12:45 Uhr: Korrektur der Gesamtleistung aller Gaskraftwerke in Deutschland.

(jle)