Wir oder die?

Die künstliche Intelligenz wird einer der nächsten großen Treiber bei Computerspielen. Spieleentwickler haben allerdings spezielle Vorstellungen von Intelligenz

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Von
  • Boris Hänßler

Die künstliche Intelligenz wird einer der nächsten großen Treiber bei Computerspielen. Spieleentwickler haben allerdings spezielle Vorstellungen von Intelligenz.

Das Independent-Spiel "Third Eye Crime" erzählt seine Geschichte im Stil des Film noir: Zwielichtige Männer mit Hüten, eine Femme fatale, viel Regen, Zigarettenrauch und Jazzmusik. Der Spieler übernimmt die Rolle des Einbrechers Rothko, der im Auftrag einer geheimnisvollen Frau ein schwer bewachtes Gemälde klauen soll. Dazu muss er sich in einem Pacman-ähnlichen Labyrinth an Wächtern vorbeischleichen. Doch die haben es in sich: Sie gehen bei der Suche nach dem Eindringling systematisch vor und überlegen, wo er sich nach der letzten Sichtung aufhalten könnte. Eine Karte gibt dem Spieler Einblick in deren Denken: Eine blaue Fläche zeigt das aktuelle Blickfeld der Wächter; eine rote Färbung, wo die Aufpasser den Einbrecher vermuten. Je intensiver das Rot, desto stärker der Verdacht.

Das Verfahren dahinter nennt sich "Occupancy Grid Mapping" und stammt aus der Robotik. Mit solchen Algorithmen berechnen bewegliche Roboter ihre Positionen voraus und machen sich ein Bild von ihrer Umgebung. "Bislang gab es für nicht spielbare Charaktere zwei Möglichkeiten, sobald der Dieb sich versteckt hat: Sie suchten die Umwelt ab – gesteuert vom Zufall –, oder sie gingen zurück auf ihren Posten", sagt Damian Isla, einer der Entwickler des Spiels. Mit Occupancy Maps würden nun auch solche Figuren, die der Spieler nicht aktiv steuern kann, glaubwürdig agieren. Ihr Suchverhalten ergebe endlich einen Sinn.

Authentisch – so wünschen sich Computerspieler ihre virtuellen Feinde. Ihnen fällt es dann leichter, sich mit ihrem Helden zu identifizieren, denn dadurch wirken auch dessen Aktionen glaubwürdiger. Allerdings haben sich die Entwickler seit Erscheinen der ersten Computerspiele in erster Linie auf eine immer bessere Grafik konzentriert. Die nicht spielbaren Charaktere stolpern in vielen Spielen noch immer recht dümmlich durch die Welten, gesteuert vom Zufall oder einem unflexiblen Drehbuch. In dem Spiel "Space Invaders" etwa schießen die feindlichen Aliens völlig beliebig herum, als wären sie blind.

Erste Fortschritte gab es in den neunziger Jahren mit dem Fantasy-Rollenspiel "Dragons Quest IV": Dank der künstlichen Intelligenz (KI) konnte der Spieler den rechnergesteuerten Charakteren seines Teams bestimmte Eigenschaften zuschreiben – beispielsweise ob sie eher kämpfen oder heilen sollen. Innerhalb dieser Vorgaben handelten die Charaktere eigenständig. Mitte der Neunziger erschien mit dem Spiel "Creatures" eine Art Tamagotchi für Erwachsene. Mittels Lob und Strafe erzieht der Spieler kleine Monster, sodass sie nach und nach immer klüger werden. Ihre neu erworbenen Fähigkeiten können sie auf den Nachwuchs vererben. Ziel war, durch Evolution eine intelligentere Gesellschaft zu schaffen.

Dabei handelte es sich jedoch um Einzelfälle. Erst in den letzten Jahren schleicht sich KI zunehmend in Mainstream-Spiele ein. "Das bekamen die Spieler zunächst gar nicht mit. Doch die KI ermöglicht inzwischen detailliertere Welten, komplexere Szenen und Interaktionen", sagt Alex J. Champandard. Der Programmierer war an der Entwicklung der "Rockstar Advanced Game Engine" (RAGE) beteiligt, auf der zum Beispiel das populäre Konsolenspiel "Grand Theft Auto V" beruht.

In Zukunft werden die Figuren noch lebensechter: Sie erhalten eine eigene kognitive Architektur mit Lang- und Kurzzeitgedächtnis, mit eigenen Trieben und Sehnsüchten. Im Ansatz ist dieser Trend schon sichtbar. In dem von "Herr der Ringe" inspirierten Spiel "Mittelerde: Mordors Schatten" entwickeln sich die bösartigen Uruks je nach Spielverlauf individuell weiter: Wer von ihnen gegen den vom Spieler gesteuerten Waldläufer Talion gewinnt, bekommt mehr Selbstvertrauen, fordert manchmal sogar seinen Anführer heraus, tötet ihn und wird selbst zum Oberhaupt.

Allerdings achten die Entwickler darauf, dass die künstlichen Gegner nicht zu intelligent werden. Glaubwürdig sollen sie zwar sein, aber nicht unschlagbar. "Einen Feind mit einem komplexen, unberechenbaren Verhalten betrachten Spieler als fehlerhaft. Sie frustrieren ihn", sagt Champandard. In dem Klassiker "Civilization" etwa tritt ein Spieler mit seiner Zivilisation gegen andere, computergesteuerte Völker an. Sid Meier, der das Spiel 1991 erschuf, unterband dabei Allianzen zwischen ihnen. Und zwar schlicht deswegen, weil der Computer dann unschlagbar würde. Die Spieler hätten sonst das Gefühl, übers Ohr gehauen zu werden.

Die Entwickler müssen also einen Kompromiss finden. Nach Ansicht von Champandard ist dies in "Alien: Isolation", im vergangenen Jahr von der britischen Spielefirma Creative Assembly herausgebracht, hervorragend gelungen. Das Spiel basiert auf der "Aliens"-Filmreihe und schickt den Spieler auf die Jagd nach einem gerissenen außerirdischen Monster. Doch der Verfolger kann jederzeit selbst zum Verfolgten werden. Chefentwickler Gary Napper verrät nicht, wie das Monster genau funktioniert. Nur so viel: Es nutzt seine Sinne, kann hören und sehen, auf Bewegungen und Licht reagieren. Zunächst war der Alien so intelligent angelegt, dass er den Spieler überall sofort aufspürte, sagte Napper in einem Interview. "Das war nicht sehr witzig." Er musste ihn abschwächen, gleichzeitig aber sollte der Alien nach wie vor flexibel handeln. Statt sofort zuzuschlagen, zögert er nun eine Weile – Zeit für den Spieler, sich neue Strategien zu überlegen.

Das britische Studio Hello Games geht mit seinem noch unveröffentlichten Independent-Spiel "No Man's Sky" (siehe TR 11/2014, S. 36) einen Schritt weiter: Das Programm kreiert während des Spielens Planeten mit kompletten Ökosystemen. Dabei sind Milliarden unterschiedlicher Welten möglich – je nachdem, welche Entscheidungen die Spieler treffen. Hätten die Entwickler die Planeten vorab geschaffen, wären sie rasch ans Ende der Speicherkapazität gelangt.

Dies sind erst die Anfänge. "KI wird in Zukunft großen Einfluss haben auf befreundete Charaktere, auf das Verhalten der Feinde, auf Taktik und Strategie", sagt Champandard. Sie werde aber vor allem die Art und Weise revolutionieren, wie Spiele gemacht werden: von noch komplexeren, sich selbst erschaffenden Welten über das bessere Verkuppeln gleich starker Spieler bis hin zur intelligenten Level-Anpassung, bei der sich die virtuellen Gegner noch besser an den Stärken und Schwächen der Spieler orientieren. "All das wird passieren, aber der Spieler erkennt es nur, wenn er genau hinguckt." (bsc)