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Zahlen, bitte! 12,7 mm Lochraster für die Ingenieure der Zukunft

Detlef Borchers

Metallbaukästen, wie von Meccano, waren nicht einfach nur Spielzeug: Sie brachten Kindern Technik näher, die manchmal später als Entwickler Karriere machten.

Auf den Tag genau vor 120 Jahren erhielt der Unternehmer und Politiker Frank Hornby das britische Patent 587/1901 auf einen Baukasten mit gestanzten und gelochten Blechen, die mit Muttern und Schrauben stabile Konstruktionen ermöglichten. Unter dem Namen Meccano vertrieben, entwickelten sich die Baukästen zu dem Weihnachtsgeschenkschlager schlechthin, mit dem Jungs aus begüterten Bürgerfamilien ihre Träume als Ingenieur und Erfinder ausleben konnten.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die bekanntesten deutschen Beispiele sind Wernher von Braun [2] und Konrad Zuse [3]. Beide besaßen eine große Sammlung von Meccano/Märklin oder Stabil-Baukästen. Der eine konstruierte mit ihnen seine erste Rakete, der andere eine Rechenmaschine, aus der später der mechanische Computer Z1 hervorging. Noch heute sind Modellbaukästen in der Roboterforschung und der Automation der Fabrik 4.0 gefragte Lernmodelle.

Frank Hornby, britischer Erfinder des Metallbaukastens
* 15. Mai 1863 in Liverpool, England; † 21. September 1936 ebenda

Als Frank Hornby seinen Modellbaukasten ersann, konzipierte er ihn als Spielzeug, um Tunnel, Brücken, oder Gebäude rund um eine Spielzeugeisenbahn zu bauen. Eigentlich hätte er dafür kein Patent bekommen können, denn der deutsche Tüftler Johannes Weiss hatte bereits am 20. Juli 1892 mit der Patentschrift 67599 beim kaiserlichen Patentamt ein Patent für seinen "Brückenbaukasten" erhalten, der 1895 als "Richters Brückenbaukasten" verkauft wurde.

Mit ihm konnte man die für die Industrialisierung so wichtigen Brücken [4] nachbauen. Hornby erweiterte die Idee mit Achsen und (Zahn)Rädern zu einem Mobilbaukasten namens "Mechanics Made Easy", bald abgekürzt zu Meccano.

Die Patentschrift "Improvements in Toy or Educational Devices for Children and Young People" zeigte einen auf Schienen fahrenden Kran zum Be- und Entladen einer Spielzeugeisenbahn. Das lebendige Spiel mit dem Güterumschlag sollte die jungen Ingenieure für Wirtschaft und Technik begeistern und sie davon abhalten, sich "nutzlosen Träumereien" hinzugeben, schrieb Hornby in einer Denkschrift zu seinem Patent. Der spätere konservative Politiker gründete das Meccano Magazine [5], das über viele Jahre hinweg das einflussreichste Technik-Magazin in Großbritannien war und initiierte eine "Meccano-Guild" von Jungen als Gegenstück zu den Pfadfindern.

Vor allem aber "standardisierte" Hornby praktisch die Blechstreifen mit 20 mm Breite und dem Lochraster von einem halben Zoll (12,7 mm): Die Meccano-Baukästen wurden in Deutschland von der Firma Märklin vertrieben, die bald auch als Zulieferer für Bauteile agierte und Federaufzug-Motoren produzierte. Als im Ersten Weltkrieg alle Patente der "Feindmächte" beschlagnahmt wurden, kaufte Märklin die Rechte von Meccano vom kaiserlichen Patentamt und produzierte weiterhin eigene Bauteile mit dem Meccano Lochraster, die damit zu 100 Prozent kompatibel waren. Märklins Weiterentwicklung bestand primär aus Elektromotoren und Treibriemen, die nach dem Krieg auch mit den populären Meccano-Baukästen [6] funktionierten und das Geschäft kräftig ankurbelten.

Waren bis dahin Meccano/Märklin (und Stabilo)-Baukästen etwas für finanzkräftige Haushalte, so kam mit dem Trix-Metallbaukasten im Jahre 1930 ein "Volks-Metallbaukasten" für Arbeiterfamilien auf den Markt. Die noch einfacheren Bleche waren unbehandelt, die Verletzungsgefahr größer, doch sie inspirierten den Tüftler Konrad Zuse bei der Konstruktion der Schaltelemente seiner Z1 [7]. Zuse selbst wuchs mit den Stabilbaukästen von Walther [8] auf Auch im britischen Meccano Magazine [9] freute man sich 1934 über einen Meccano-Analogsrechner, gebaut von Douglas Hartree. Von ihm ist ein Nachbau hier [10] zu sehen.

Während des Zweiten Weltkrieges war die Produktion von Metallbaukästen weitgehend stillgelegt, wurden die Stanzen doch für kriegswichtige Arbeiten benötigt. So entstanden sich unter dem Namen Stokys [11] 1942 eine Reihe von Metallbaukästen in der neutralen Schweiz. Auch sie waren im Lochraster und den Schrauben 100 Prozent kompatibel zu den Meccano- und Märklin-Baukästen. Nach dem Krieg wurde die Produktion in beiden deutschen Staaten wieder aufgenommen, doch die große Zeit der Modellbaukästen war vorbei, auch in Übersee.

Patent GB190100587A
Der Ursprung des Meccano-Baukastens

Dort waren Erector-Baukästen [12] weit verbreitet. Claude Shannon benutzte sie für den Bau von Modellen für seine wissenschaftlichen Arbeiten. Ein berühmter Nutzer dieser US-amerikanischen Baukästen war Arnold Spielberg [13], der für General Electrics Computer baute. Sein Sohn Steven brauchte später Rechner, um Dinosaurier zum Leben zu erwecken. So entstanden aus den Computern aus den Spielzeugläden [14] die Alpträume von morgen.

Eine interessante Linie entwickelte sich in Nachkriegszeiten in der DDR, wo eine Reihe von Baukästen mit pneumatischen Steuerungssystemen auf den Markt kamen. Besonders interessant war der Baukasten PO3 [15], der mit einer Computersteuerung verbunden werden sollte. Er wurde 1987 konstruiert und sollte die spielerische Beschäftigung mit Industrierobotern fördern, die als Lösung des Produktivitätsproblems gesehen wurden. Von dem Kasten wurden offenbar nur ein paar Vorserienmodelle produziert.

In genau dieser Robotik lebt heute noch die große Tradition der alten Metallbaukästen fort. Niemand anderes als die Nachfolge-Firma von Meccano stellte 2015 mit dem Meccanoid G15 KS [16] einen Selbstbau-Roborter vor, der allerdings aus Polycarbonat-Bauteilen zusammengebaut wird. Das bringt uns zu der Generation von Baukästen, die Mitte der 60er-Jahre den Metallbau ablösten.

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Mit den zahlreichen Baukästen von Fischertechnik [18] entstand ausgehend von der Idee eines Weihnachtsgeschenkes für die Kinder von Kunden ein Sortiment, das vom angehenden Ingenieur bis zum Computerfreak (ab 1985) die Bauphantasien beschäftigte. Heute umfasst es die Gebiete Bionik und erneuerbare Energien, die die Ingenieure von morgen beherrschen müssen. Ob sie sich wohl für den bis dato größten Bausatz für die Fabrik 4.0 [19] interessieren, der, mit Sperrgutzuschlag geliefert, kaum unter den Weihnachtsbaum passt?

(mawi [20])


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[2] https://www.heise.de/hintergrund/Science-Fiction-ins-Faktische-lenken-1935026.html
[3] https://www.heise.de/news/Teufel-Teufel-diese-Computer-Konrad-Zuse-zum-20-Todestag-3046781.html
[4] https://www.heise.de/hintergrund/Zahlen-bitte-30-Meter-fuer-die-industrielle-Revolution-4771284.html
[5] https://www.cambridge.org/core/journals/bjhs-themes/article/meccano-magazine-boys-toys-and-the-popularization-of-science-in-early-twentiethcentury-britain/2A15FBD05B6FB697BFC1C12456B10FB9
[6] http://meccano-hornby.co.uk/page1.html
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Z1_(Rechner)
[8] https://www.heise.de/tp/features/Konrad-Zuse-War-der-Erfinder-des-Computers-doch-kein-Musterschueler-3443413.html
[9] http://meccano.magazines.free.fr/img/1934/3406/34060442.jpg
[10] http://journal.sciencemuseum.ac.uk/browse/issue-10/ventriloquised-voices/
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Stokys
[12] https://en.wikipedia.org/wiki/Erector_Set
[13] https://www.ge.com/news/reports/happy-birthday-mr-spielberg-computer-pioneer-helped-design-ges-first-computers-turns-100-monday
[14] https://blog.hnf.de/computer-aus-dem-spielzeugladen/
[15] http://www.baukastensammler.de/php/dbartikzeig.php?bkmenue=ja&aktzeile=Modelltechnik%20P01%20nach...&katnr=M-KC10%%2&listrpr=
[16] https://www.heise.de/news/CES-Grosse-Robotik-zum-kleinen-Preis-Meccanoid-G15-KS-2513196.html
[17] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Fischertechnik
[19] https://www.conrad.de/de/p/fischertechnik-education-lernfabrik-4-0-24-v-trainings-und-simulationsmodell-2273807.html
[20] mailto:mawi@heise.de