Zahlen, bitte! Ariane 5 – die europäische Schwerlastrakete und ihre letzte Reise

Jahrzehntelang war die Ariane 5 Zugpferd der europäischen Raumfahrt. Ursprünglich sollte sie sogar Menschen ins All bringen. Nun tritt sie ihre letzte Reise an.

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Inhaltsverzeichnis

Die Ariane 5 war über zwei Jahrzehnte lang die stärkste Rakete der europäischen Raumfahrtorganisation ESA, um Satelliten und Raumsonden in den Orbit zu bringen. Als größter Erfolg gilt der bilderbuchmäßige Start des Weltraumteleskops James Webb. In dieser Woche die Rakete, die mit Höhen und Tiefen zu kämpfen hatte, zum letzten Mal starten.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die Ariane 4, die von 1988 bis 2003 Nutzlasten ins All brachte, konnte nur mühsam mit den immer größer werdenden Nutzlasten schritthalten, sodass im November 1987 beim Treffen des ESA-Ministerrats in La Hague grünes Licht für die Finanzierung eines Nachfolgers namens Ariane 5 gegeben wurde.

Die Planer hatten mit ihr neben kommerziellen Satellitenstarts auch noch etwas anderes im Sinn: Ariane 5 sollte einen europäischen Raumgleiter namens Hermes, den die französische Raumfahrtagentur CNES seit 1977 plante, ins All befördern und damit einen bemannten europäischen Zugang ins All sicherstellen.

Künstlerische Darstellung eines Hermes Raumschiffs auf der Ariane 5.

(Bild: ESA)

Der Raumgleiter Hermes sollte vier bis sechs Personen und etwa 4500 Kilogramm Nutzlast bei einer Gesamtmasse von 15 Tonnen durch die Ariane 5 in den erdnahen Orbit (Low Earth Orbit - LEO) bringen. Wie das Space Shuttle sollte es dann Ziele, wie die damals in der Planung befindliche US-Raumstation Freedom ansteuern. Da die Kosten ausuferten, wurde ebenfalls 1987 die Weiterentwicklung von Hermes in die Hände der ESA übergeben, um die Weiterentwicklung auf mehrere Schultern zu verteilen.

Letztlich bedeutete der vorgesehene Transport von Menschen, dass die Rakete hohen Standards genügen musste, was sich im Design widerspiegelte: Mit weniger Triebwerken konnten auch nur weniger ausfallen, was die Zuverlässigkeit erhöhen sollte. Gleichzeitig wollte man durch neue Fertigungstechniken mehr Nutzlast ins All bringen und die Kosten pro Start senken.

Der Hermes-Raumgleiter - Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde das Projekt eingestellt.

(Bild: ESA)

Die Challenger-Katastrophe sorgte für einen ersten Dämpfer der Hermes-Pläne: Statt 6 sollten nur noch 3 Astronauten mitfliegen, und das Rettungssystem mit dem Start begrenzte die Nutzlast auf drei Tonnen bei 21 Tonnen Gesamtmasse. Dabei wurde die Nutzlastklappe wegrationalisiert, was die Einsatzmöglichkeiten weiter einschränkte.

Der Todesstoß für den europäischen Raumgleiter war neben technischer Probleme und den galoppierenden Kosten auch der Fall des Eisernen Vorhangs Anfang der 1990er: Mit Russland war nun neben dem Space Shuttle eine weitere Alternative vorhanden, um Europäer ins All und zur Raumstation zu bringen. Daher wurde 1992 die Entwicklung eingestellt. Die Starts von Satelliten wurden nun zur Priorität.

Ariane 5 Version 5G 5G+ 5GS 5ES 5ECA 5ME
Entwicklungszeitraum 1987-1996 1995-2003 1995-2005 1995-2007 1995-2002 1995-2016
Länge 54 m 54 m 54 m 59 m 59 m 62 m
Durchmesser 5,4 m 5,4 m 5,4 m 5,4 m 5,4 m 5,4 m
Startmasse 750 t 750 t 753 t 775 t 777 t 798 t
Startschub 11.500 kN 11.500 kN 11.629 kN 11.800 kN 11.800 kN 11.800 kN
Max. LEO-Nutzlast 18.000 kg 19.000 kg 20.000 kg 20.000 kg 16.000 kg 21.000 kg
Max. GTO-Nutzlast 6.100 kg 6.300 kg 6.500 kg 8.000 kg 9.700 kg 11.200 kg
Stufen 2 2 2 2 2 2
Booster 2 2 2 2 2 2
Erster Start 04.06.96 02.03.04 11.08.05 09.03.08 11.12.02 gestrichen
Letzter Start 27.09.03 18.12.04 18.12.09 25.06.18 04.07.23 -
Flüge 16 3 6 8 74 -
Fehlstarts 1 + 2 Teilerfolge 0 0 0 1+1 Teilerfolg -
Zuverlässigkeit 81,20% 100% 100% 100% 97% -

Zur Entwicklung kam mit Ariane 5 ein System, welches Dank Doppelstartvorrichtung bis zu zwei größere Satelliten oder mehrere kleine Satelliten in den erdnahen Orbit (Low Earth Orbit - LEO) oder zur Transferbahn zum Geostationären Orbit (GTO) bringen konnte.

Je nach Konfiguration variierte die Gesamtmasse. Die Hauptstufe ist 30,5 Meter hoch und 5,4 Meter im Durchmesser. Es fasst 158 Tonnen Treibstoff aus flüssigen Wasserstoff sowie flüssigem Sauerstoff. Dabei ist sie nur 12,5 Tonnen schwer und die Materialwände so dünn, dass sie ohne den Befüllung der Tanks unter ihrem Gewicht zusammenbrechen würde. Das Vulcain-Triebwerk arbeitet bis zu 605 Sekunden lang und liefert einen Schub von bis zu 1180 kN. In jeder Sekunde verbrennen 235 Kilogramm des Sauerstoff-Wasserstoff-Gemischs.

Start der Ariane 5 ECA im Jahr 2013 mit dem Telekommunikationssatelliten Alphasat an Bord.

(Bild: ESA)

Da das Haupttriebwerk bei Weitem noch nicht den Schub aufbietet, um eine bis zu 750 Tonnen schwere Rakete zum Abheben zu bringen, arbeiten ähnlich dem Space-Shuttle-Prinzip zusätzlich zwei Feststoffbooster. Die 31 Meter langen Booster haben einen Durchmesser von drei Metern und beherbergen jeweils 238 Tonnen Festtreibstoff und liefern 92 % des Anfangsschubs. Sie brennen etwa 140 Sekunden und können dabei bis zu 7080 kN Maximalschub leisten, wobei das Leistungsprofil unterschiedlich ist: Unmittelbar nach Zündung liefert ein Booster 5400 kN. 40 Sekunden lang verringert sich die Leistung auf das Minimum, um nach weiteren 50 Sekunden auf das Maximum von 7080 kN zu erreichen, bevor sie nach 140 Sekunden ausgebrannt sind und abgesprengt werden.

Die Booster werden erst 7 Sekunden nach der Zündung des Vulcain-Haupttriebwerks aktiviert, um einen Abbruch gewährleisten zu können, falls am Haupttriebwerk irgendwas nicht stimmt. Die Booster brennen nämlich – einmal gezündet – wie Silvesterraketen ab und können, im Gegensatz zum Haupttriebwerk, nicht vorzeitig gestoppt werden.

Am 4. Juni 1996 war es so weit. Per Flug Ariane V88 sollte eine Ariane 5G vom Centre Spatial Guyanais in Kourou, Französisch-Guayana aus vier Cluster-Forschungssatelliten mit einer Gesamtmasse von 4681 Kilogramm ins All bringen. Wegen ungünstiger Sichtbedingungen wurde der Start zunächst um etwa eine Stunde verschoben.

36 Sekunden nach dem Start kam es in der Navigationssoftware aufgrund eines Softwarefehlers zu einem Steuerungsüberlauf. Da die Software des Reservesystems identisch war, trat hier ebenfalls der Fehler auf und beide Systeme sendeten keine Navigationssignale mehr. Der Bordcomputer wiederum hielt es irrtümlicherweise für eine enorme Flugbahnabweichung und versuchte die scheinbare Abweichung zu korrigieren, was zu einer Schwenkung jenseits der 30 Grad führte. Die aerodynamischen Kräfte, die auf die Rakete einwirkten, waren zu stark und sie begann auseinanderzubrechen. Das Sicherheitssystem sprengte die Rakete daraufhin in 3400 Metern Höhe automatisch – der folgende Befehl von der Bodenstation griff ins Leere, da die Rakete bereits zerstört war. Immerhin kam niemand zu Schaden, aber der Rückschlag war perfekt.

Auch der zweite Start verlief nicht perfekt, auch wenn diesmal kein kompletter Fehlschlag: Die Rakete begann zu rotieren, weshalb die Unterstufe 6,5 Sekunden zu früh abschaltete. Erst mit der dritte Start einer Testladung verlief einwandfrei, sodass von 1999 an der Regelbetrieb beginnen konnte. Weitere Varianten wurden mit der Zeit entwickelt: 5G+ und 5GS unterschieden sich geringfügig von der Erstversion 5G. 5ES und 5ECA konnten hingegen deutlich massereichere Nutzlasten ins All bringen. Eine noch stärke Version namens 5ME wurde geplant, aber nicht fertig entwickelt.

Der Erstflug der Ariane 5ECA am 11. Dezember 2002 scheiterte ebenfalls: Risse in der Düse brachten die Rakete nach 178 Sekunden zur Explosion. Daraufhin wurde das Vulcain-Triebwerk verbessert und das Programm-Management neu organisiert und entzerrt. Mit einem guten Ergebnis: weitere 73 Starts verliefen erfolgreich, dabei ein Teilerfolg.

Die verschiedenen Varianten transportierten neben Kommunikationssatelliten auch Raumsonden wie Rosetta oder ATV-Versorgungssonden zur Raumstation ISS. Die wohl wertvollste Fracht transportierte die Ariane 5 mit dem James-Webb-Weltraumteleskop ins All. Der Start verlief so reibungslos und perfekt, dass das Teleskop die Bahn kaum korrigieren musste und damit mehr Treibstoff für seinen eigentlichen Zweck als Weltraumteleskop verwenden kann.

In dieser Woche startet die Ariane 5 zum 115. und letzten Flug. Nach dem holprigen Anfängen blickt sie auf eine erfolgreiche Geschichte zurück. Sie soll von der Ariane 6 abgelöst werden. Ob die eine ähnliche Erfolgsgeschichte wird, liegt angesichts der großen internationalen Konkurrenz – wie SpaceX – buchstäblich in den Sternen.

(mawi)