Kommentar zum E-Rezept-Stopp: Unpopulär, aber richtig – Lauterbach lässt hoffen

In letzter Sekunde stoppte das BMG den Start des E-Rezepts. Der Schritt wirkt wie ein Schnellschuss – und lässt dennoch hoffen, kommentiert Jonas Volkert.

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(Bild: In Green/Shutterstock.com)

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Lauterbach packt an: Mit der Entscheidung, dem E-Rezept kurz vor dem Start den Stecker zu ziehen und das Produkt erst einmal intensiver zu testen, zeigt der neue Gesundheitsminister, dass er keine Angst von unpopulären Entscheidungen hat. Endlich scheint ein Macher an der Spitze des Gesundheitsministeriums zu stehen, der anders als sein Vorgänger keine digitalisierten Luftschlösser mit Versprechungen baut, die er dann sowieso nicht einhalten kann.

Ein Kommentar von Jonas Volkert

(Bild: 

Moritz Förster

)

Jonas Volkert ist Redakteur bei iX und schreibt auch für heise online. Er betreut hauptsächlich die Bereiche Karriere, E-Health und E-Government.

Auch wenn der Stopp des E-Rezepts nur knapp zwei Wochen vor dem Pflichtstart wie ein überstürzter Schnellschuss anmuten mag: Es war die einzig richtige Entscheidung – und eine, die Jens Spahn wohl nicht getroffen hätte. Nachtreten ist freilich keine feine Sache. Aber wenn die Verfehlungen eines Ministers auch nach geräumtem Posten noch derart laut scheppern, sei es an dieser Stelle doch hoffentlich erlaubt.

Natürlich klingen die Vorzüge des E-Rezepts verlockend: weniger Papiermüll, eine verbesserte Kommunikation zwischen medizinischen Einrichtungen und Apotheken und ein detaillierter Überblick über die verschriebenen Medikamente der Patientinnen und Patienten. Und einen generellen Stopp fordert ja auch (fast) niemand. Nur: Die nun abgewendete Zwangs-Einführung, die das ohnehin angeschlagene Gesundheitssystem zum Erliegen zu bringen drohte, wäre das bisschen mehr Komfort doch wirklich nicht wert gewesen, oder?

Spahn hielt lange an seinem Vorhaben fest, an seinem Prestige-Projekt: "Erst das elektronische Rezept macht Telemedizin zu einem Erfolgsprojekt", erklärte er im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schon 2018. Das lässt durchblicken: Das E-Rezept war in Wahrheit also der letzte verzweifelte Versuch eines gescheiterten Reform-Ministers, doch noch eines seiner Digitalisierungsvorhaben durchzudrücken. Der Versuch, seiner Amtszeit abseits der Corona-Krise einen Sinn zu verleihen.

Lang ist die Liste der E-Health-e-Projekte, die während Spahns Amtszeit in den Sand gesetzt wurden: eAU (elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung), ePA (elektronische Patientenakte), eMP (elektronischer Medikationsplan) und zum krönenden Abschluss das E-Rezept. Termingerecht präsentierte das BMG unter Spahn dann aber kaum eines dieser Vorhaben. Und wenn sie dann doch das Licht der Welt erblickten, wollte sie keiner mehr haben, weil entweder kaum Krankenkassen mitmachten oder schlicht die Akzeptanz in der Bevölkerung fehlte. Der Minister versprach viel und erfüllte wenig. Das war oft enttäuschend und aus Security-Sicht nicht selten auch gefährlich.

Beim E-Rezept aber drohte der Ego-Trip im Fiasko zu enden. Als schlecht vorbereitetes Konstrukt, gegen das sich Medizinerinnen und Mediziner hierzulande wiederholt mit aller Gewalt, aber doch erfolglos sträubten, hatte es echtes Apokalypsen-Potenzial. Weder software- noch hardwareseitig war man in deutschen Praxen zum Jahreswechsel für den drastischen Schritt bereit. Auch organisatorisch verlief das Vorhaben gewohnt chaotisch: Immer wieder verschoben sich die Termine für den Pflichtstart des E-Rezepts und der vorgeschalteten Testphasen. Dass Letztere dann wegen der ausbleibenden Akzeptanz des elektronischen Rezepts ohne ausreichende Erkenntnisse blieben, wunderte schon niemanden mehr so recht.

So möchte man Spahn einen alten Tocotronic-Text hinterherrufen: Jens, die Idee ist gut, doch die (Medizin)-Welt noch nicht bereit. Diese Erkenntnis galt indes eigentlich bei all seinen Vorhaben, die sich als nicht erfüllbare Luftschlößer herausstellten. Dabei lag die Lösung doch eigentlich immer auf der Hand: Einfach mal mit den Betroffenen sprechen, bevor man der Bevölkerung ausschweifende Versprechungen macht.

Mit seinem Kommunikationsproblem ist der Ex-Minister freilich nicht allein. Es ist die Krux der meisten Digitalisierungsvorhaben in Deutschland. Das befreit ihn aber trotzdem nicht von seiner Schuld. Gerade, weil Lauterbach nun auf die Medizin-Welt hört und zeigt, dass es auch anders geht. Das hatten sich nicht wenige erhofft, die ihn schon während der Amtszeit seines letztlich gescheiterten Vorgängers im Ministerium gesehen hätten. Zumindest beim E-Rezept scheint er dieses Versprechen nun einzulösen.

Vielleicht gelingt es ihm tatsächlich, den Austausch mit denjenigen zu intensivieren, für die er als Gesundheitsminister zuständig ist: Es wäre letztlich uns allen zu wünschen. Ein Gesundheitsminister, der erstmal mit dem medizinischen Personal spricht, das die Entscheidungen ausbaden muss, anstatt über seine Köpfe hinweg zu entscheiden, das wäre doch was. Gesehen hat man sowas zuletzt ja selten. Und wer weiß, vielleicht klappt's ja so dann doch noch mit dem E-Rezept, der Telematik und der Reformierung des Gesundheitswesens. Wunder gibt es immer wieder.

(jvo)