Kommentar: Das Beste an Threads ist, dass man bald ausziehen kann

Threads ist ein Riesenerfolg, Millionen probieren die App aus. Das Beste an der Twitter-Alternative ist aber noch nicht verfügbar, kommentiert Martin Holland.

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Threads-App und Umzugskartons

(Bild: rafapress/New Africa/Shutterstock.com/heise online)

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Lesezeit: 4 Min.

Hinweis: Dieser Kommentar wurde anlässlich der Freigabe von Threads Anfang Juli veröffentlicht.

Mit der rasant wachsenden Twitter-Alternative Threads scheint es Meta nach vielen erfolglosen Versuchen geglückt, ein neues soziales Netzwerk zu etablieren. Für Twitter könnte die Plattform den Todesstoß darstellen, aber langfristig wird ein bislang noch nicht umgesetzter Aspekt soziale Medien insgesamt verändern – zum Vorteil der Nutzerschaft. Weil Threads auf dem Protokoll ActivityPub basiert, sollen bald nicht nur Verbindungen aus Threads heraus zu anderen Plattformen möglich werden. Explizit versprochen ist außerdem die Möglichkeit, das eigene Profil, inklusive aller Follower zu einer anderen Plattform mitnehmen zu können. Das ist eine immense Chance.

Ein Kommentar von Martin Holland

Martin Holland schreibt seit 2012 für heise online und c't. Lange Zeit beschäftigte er sich vor allem mit den NSA-Enthüllungen des Edward Snowden und deren Folgen. Nachdem die längst Geschichte sind, haben sich neben weiteren IT-Themen, vor allem auch zu gesellschaftlichen Folgen von Internet, Social Media, Künstlicher Intelligenz & Co. schließlich Astronomie und Raumfahrt als wichtige Schwerpunkte etabliert.

Bislang sind die meisten sozialen Netzwerke und alle richtig großen hermetisch abgeschlossen. Auf Facebook kann man nicht mit Accounts auf Twitter oder TikTok kommunizieren, nicht einmal zur Meta-App Instagram gibt es eine Verbindung. Anders sieht es im Fediverse aus, dank ActivityPub kann man mit einem Account bei der Twitter-Alternative Mastodon Beiträge bei der Instagram-Alternative Pixelfed kommentieren und sich sogar an Diskussionen bei der Reddit-Alternative Lemmy beteiligen. Die dem zugrundeliegende Basis ActivityPub ermöglicht es zudem, einen Account zwischen den Plattformen umzuziehen und das Publikum mitzunehmen. Follower bemerken unter Umständen gar nicht, dass die Beiträge, die sie sehen, nicht mehr aus Mastodon, sondern Pixelfed kommen.

"Eines Tages" werde man es ermöglichen, den Auszug aus Threads zu ermöglichen, versichert Mosseri.

Dass das auch auf Threads möglich sein soll, hat Instagram-Chef Adam Mosseri explizit mit dem Wunsch von Urhebern begründet, nicht mehr nur von einer Plattform abhängig zu sein. Man habe sich vielfach gewünscht, mehr Kontrolle über das eigene Publikum zu haben. Dahinter dürfte die Erfahrung stecken, dass der neue Twitter-Chef Elon Musk der Kurznachrichtendienst innerhalb weniger Monate drastisch verändert hat. Wer das nicht gutheißt, hatte keine Möglichkeit, die Plattform zu verlassen, ohne die dort angesammelte Followerschaft mindestens mehrheitlich aufzugeben. Indem Threads das nun ändern will, leitet die neue Plattform einen Paradigmenwechsel ein.

Wenn Threads die Anbindung an ActivityPub aktiviert und die Verbindung zum Fediverse herstellt, dürfte das erst einmal ziemlich einseitige Folgen haben. Threads mit seinen Dutzenden Millionen Konten wird auf einen Schlag zur größten Plattform im Fediverse und das dominieren. Auf Threads selbst wird man wohl erst einmal wenig aus dem Fediverse und von Mastodon mitbekommen, aber das wird sich ändern. Immer mehr Accounts auf Threads werden mit der Vielfalt im Fediverse konfrontiert und auf die Möglichkeit zum Umzug aufmerksam gemacht werden. Interessant wird es spätestens, wenn die erste Unzufriedenheit mit Threads auftaucht. Das könnte infolge eines Skandals bei Meta passieren – wie etwa mit Cambridge Analytica –, oder auch weil dort in Zukunft Werbung einziehen wird, die es im Fediverse bisher nicht gibt.

Wenn erste Accounts von der Umzugsmöglichkeit Gebrauch machen und ins Fediverse – womöglich gar auf einen selbst gehosteten Server – umziehen, ohne dass sie ihre Follower auf Threads verlieren, wird das für Aufmerksamkeit sorgen. Egal, ob viele dem folgen oder nicht, bei Threads und Meta wird man sich dessen bewusst sein und muss anders als bisher mit den Nutzern umgehen. Bei Facebook konnte man sich sicher sein, dass sich der Großteil der Nutzer und Nutzerinnen wegen des damit verbundenen Verlusts der geknüpften Kontakte nicht verabschieden werden. Dass das bei Threads anders sein wird, kann für Nutzer nur gut sein. Sollte dort wirklich ActivityPub aktiver werden, wird das soziale Netzwerke verändern und eine erste Mauer der Walled Gardens einreißen.

(mho)