Kommentar zum Ukraine-Krieg: Make Windelpakete, not Cyberwar

Die Ukraine in Anonymous-Manier mit Hacker-Know-how verteidigen? Ganz schlechte Idee, findet der Sicherheitsforscher David Fuhr.

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(Bild: Tomas Ragina/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • David Fuhr

Es wäre so einfach gewesen: Die mutmaßliche Cyber-Großmacht Russland führt, wenn sie schon irgendwo einmarschieren muss, den ersten echten hybriden Krieg weitgehend im Cyberraum. Dann hätten wir Techies nämlich die Welt retten können, und das vom Schreibtisch aus. Mutig hätten wir aus der Ferne die Panzer weggecybert und die Drohnen gezähmt. Aber nichts da.

Bisher tröpfeln von russischer Seite nur vereinzelte DDoSen ein. Dafür werden thermobarische Raketenwerfer aufgefahren. Verunsichert fragen wir uns: Haben wir uns – und die Macht des Digitalen – überschätzt? Sollten wir nun erst recht zum Gegenschlag ausholen und gemeinsam mit von wem auch immer orchestrierten "Anonymous" russische Kraftwerke und Staudämme hacken?

Kolumne: Patch me if you can

Er hat eine Schwachstelle für Risiken und Über-Cyber-Schreiben: Im Hauptberuf Cofounder und CTO der intcube GmbH, tobt und lässt David Fuhr sich in dieser Kolumne über aktuelle Vorfälle und allgemeingültige Wahrheiten der Informationssicherheit aus.

Das wäre nicht nur töricht, sondern auch gefährlich. Weniger für uns; aber für alle kritischen Infrastrukturen zwischen Wanne-Eickel und Moskau. Ein Hackback wird nicht dadurch unproblematischer, dass Russland seinen Krieg lieber konventionell bestreitet.

Sind wir mit all unseren technischen Kompetenzen also dazu verdammt, Pakete mit Windeln und Hygieneartikeln zu packen und Gebete zu schicken? Nein! Es gibt sogar mehrere Wege, wie wir als Computerbranche helfen können – wenn wir unsere Allmachtsphantasien erst einmal hinuntergeschluckt haben.

Wir könnten erstens unsere Fähigkeiten einsetzen, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen. Ja, richtig gelesen. Und es dann zielgerichtet spenden, an kleine Organisationen, die direkt vor Ort wirken. Effizienter geht nicht, Arbeitsteilung halt.

Wir könnten uns in den anderen, schon seit Jahren tobenden Informationskrieg einmischen und den Kampf gegen Trolle, Fake News und "Psyops" im Internet aufnehmen. Wenn im Krieg die Wahrheit das erste Opfer ist, ist deren Reanimation erste Netzbürgerpflicht. Das Zeitalter der Open Source Intelligence in der Hand der Zivilgesellschaft hat dabei gerade erst begonnen.

Wir könnten schließlich mithelfen, dass langfristig Gesellschaften wie die russische, die saudische, die chinesische – und auch die unsere – resilienter gegen die Feinde der Wahrheit, der Aufklärung und der Demokratie werden. Dafür braucht es Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ohne Backdoors, Technik, die die Privatsphäre schützt, kluge Regulierung und auf dem Weg dahin smarten politischen Lobbyismus international wie zu Hause.

Für eine neue Energiepolitik scheint Putins Angriff auf die Ukraine ein Weckruf zu sein. Wir sollten die schmerzhafte Erkenntnis, wie abhängig wir von "den Russen" sind – und zwar nicht nur vom Gas, sondern vor allem davon, wie lange sie brauchen, um ihren Despoten zum Teufel zu jagen – in Energie ummünzen, um den Gedanken der Freiheit und die Technik für die Freiheit überall zu stärken.

Pakete mit Windeln packen ist übrigens trotzdem erlaubt und geboten.

(odi)