"Nachhaltig bauen, nicht verpacken"

Der Architekt Christoph Mäckler über Fehler in der Fassadendämmung, unnötige Haustechnik und die Tücken des Plusenergiehauses.

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Von
  • Uwe Herzog

Die größte Energie- und Emissionsschleuder der westlichen Zivilisation sind Gebäude. In den Industrienationen verursachen sie rund 40 Prozent aller Treibhausgasemissionen. Deshalb ist längst klar: Energieeffizienz und Klimaschutz sind auch eine Frage der Architektur. Für Christoph Mäckler, Professor am Lehrstuhl für Entwerfen und Städtebau der Technischen Universität Dortmund und Gründer des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst, ist klar, dass die bisherigen Architekturen nur unzureichende Antworten geben. Technology Review sprach mit Mäckler über Fehler in der Fassadendämmung, unnötige Haustechnik und die Tücken des Plusenergiehauses, die sich nur mit einem ganzheitlichen Städtebau überwinden lassen.

Technology Review: Was sind für Sie die größten energetischen Bausünden der letzten Jahre?

Christoph Mäckler: Viele von der Öffentlichkeit bestaunte Hochhäuser der letzten Zeit sind das Ergebnis einer aufwendigen 3D-Computersimulation, um immer schwieriger zu bauende Gebäudeformen zu generieren. Dabei werden oft nicht einmal die klimatischen Verhältnisse der jeweiligen Standorte berücksichtigt. In Wüstengebieten entstehen Glastürme, die energieaufwendig gekühlt werden müssen. In unseren Breiten werden die gleichen Glastürme errichtet, die im Sommer ebenfalls Kälte benötigen und zusätzlich im Winter erheblich mehr Heizenergie verbrauchen als ein vergleichbares Gebäude mit weniger Fensterfläche.

Der Opernturm in Frankfurt am Main.

(Bild: Adornix/Wikipedia)

Mit dem Opernturm in Frankfurt konnten wir nachweisen, dass bei einer zu 50 Prozent geschlossenen Fassade im Vergleich zu einer Ganzglasfassade 20 Prozent weniger Energie für die Kühlung der Büros eingesetzt werden muss.

TR: Das Deutsche Institut für Stadtbaukunst, dem Sie als Direktor vorstehen, hat „Zehn Grundsätze zur Stadtbaukunst heute“ herausgegeben. Einer davon lautet „Nachhaltig bauen statt schnell verpacken“ – wie ist das gemeint?

Mäckler: Nachhaltig bauen bedeutet, ein Gebäude so zu errichten, dass es auch noch in 150 Jahren genutzt werden kann und nicht nach 30 Jahren wieder abgerissen oder erneuert werden muss. Dies muss bei der Energiedebatte berücksichtigt werden. Eine Verpackung wird normalerweise nach dem Kauf weggeworfen, sie hat also zwangsläufig eine geringe Lebensdauer. Eine weiche Dämmschicht aus geschäumtem Kunststoff hält zum Beispiel kürzer als eine gemauerte Wand.

Zudem schlagen wir für diese thermische Verpackung alles Schmuckwerk von den Fassaden und zerstören damit ihre Schönheit für immer. Wer sagt uns aber, ob wir nicht in 20 Jahren eine technisch bessere Lösung gefunden haben? Für Neubauten sollte der Gesetzgeber außerdem Wärmeverbundsysteme untersagen.

TR: Mit welchen Langzeitauswirkungen ist bei dieser Art der Dämmung zu rechnen?

Mäckler: Die Oberputze von herkömmlichen Wärmedämmverbundsystemen werden gegen Algenbewuchs, Pilz- und Schimmelbefall mit Fungiziden versetzt. Diese Mittel werden mit der Zeit ausgewaschen und können im Boden rund um ein solches Gebäude nachgewiesen werden. Glaubt man den Herstellern, ist die Entsorgung zwar angeblich kein Problem.

Doch wenn in 20 oder 30 Jahren die jetzt verbaute Dämmung – die ja in den meisten Fällen ein schwer zu trennendes Verbundmaterial ist – abgenommen werden muss, bleibt oft nur die Entsorgung als Sondermüll. Schon jetzt sind für die meist ölhaltigen Wärmedämm-Verbundsysteme der ersten Generation aufwendige Sanierungskonzepte nötig. Man saniert die Sanierung und wirbt dafür mit dem Aufzählen der Schäden.

TR: Welche Alternativen gibt es zur Fassadendämmung?

Mäckler: Bei der Sanierung eines Gebäudes gibt es durchaus Fälle, bei denen man auf eine Außendämmung zurückgreifen muss, etwa bei extrem dünnen Außenwandkonstruktionen der sechziger und siebziger Jahre. Bei Neubauten ist es jedoch unverständlich, warum der Gesetzgeber das Wärmeverbundsystem überhaupt zulässt. Eine Dämmung ist an sich ja nichts Schlechtes, nur sollte man diese unbedingt gegen Einflüsse von außen mit einer massiven Schale schützen. Oder man baut eben besser gleich in Konstruktionsdicken, bei denen ein gesonderter Dämmstoff gar nicht erst nötig ist.

TR: Bauen wir mit zu viel Glas?

Mäckler: Ja, viele Bürogebäude werden heute als reine Glastempel errichtet. Im Sommer muss der dadurch entstehende unnötige Wärmeeintrag wieder energieintensiv durch Kühlung aus dem Gebäude gebracht werden. Auch im Wohnungsbau wird oft mit viel Glas gearbeitet. Meist mit der Begründung, „maximale solare Gewinne“ nutzen zu wollen. Diese gehen dann wieder durch die – im Vergleich zu einer massiven Wand – schlechten Dämmeigenschaften der Glasfassade verloren.

TR: Moderne Bauten brauchen oft auch eine ausgeklügelte Gebäudetechnik. Was davon ist in Ihren Augen sinnvoll und was unnötig?

Mäckler: Unnötiges Hightech beginnt da, wo durch Haustechnik bauliche und planerische Fehlleistungen ausgeglichen werden müssen. Eine gewisse Technik ist zwar wichtig und notwendig, um ein Gebäude zu betreiben. Sie sollte sich aber auf ein Minimum reduzieren. Ein Problem vieler neuer Haustechnikanlagen besteht darin, dass sie laufend gewartet werden müssen und sehr schnell überholt sind. Für jedes neu entwickelte System ist aber wieder Energie notwendig, um es herzustellen und einzubauen.

TR: Nach dem Willen der EU-Kommission sollen Neubauten ab dem Jahr 2020 nicht mehr Energie verbrauchen dürfen, als sie selbst erzeugen. Wie können wir dieses Ziel erreichen?

Mäckler: Zunächst einmal müssen wir lernen, die energetischen Konzepte gesamtheitlich zu sehen. Die Betrachtung von immer nur einzelnen, isolierten Gebäuden bringt uns in dieser Diskussion nicht weiter. Wie kann ein freistehender Neubau weit vor der Stadt, für dessen Erschließung viel Energie aufgewendet wird, besser sein als ein nachverdichtetes Viertel in der Innenstadt?

Wieso wird in der Energiebilanz von Plusenergiehäusern auf der grünen Wiese bislang der Fahrtweg mit dem Auto zur Arbeit, zur Schule oder zum Einkaufen nicht berücksichtigt? Bei der Berechnung der Bedarfswerte der Gebäude werden außerdem oft nur Laborwerte herangezogen. Das energetisch günstige verdichtete Bauen wird dabei einfach nicht ausreichend berücksichtigt.

TR: Während viele Ihrer Kollegen nach immer neuen technischen Lösungen für sogenannte Plusenergiehäuser suchen, haben Sie eine Langzeitstudie mit einem anderen energetischen Ansatz gestartet. Worum geht es dabei?

Mäckler: Im Zentrum dieses Projekts steht die Errichtung von städtischen Musterhäusern. Sie bieten die Grundlage für eine bau- und nutzungsbegleitende Forschung zum energiesparenden und dauerhaften Bauen von Wohngebäuden. Die Häuser werden innerhalb einer schon bestehenden Siedlung aus den fünfziger Jahren errichtet. Wir wollen mit diesem Projekt zeigen, dass mit handwerklich guter und solider Baukonstruktion energetisch günstige Gebäude realisiert werden können. Dazu gehört eine Reduzierung der Technik auf das Wesentliche und die Berücksichtigung der städtebaulichen Situation.

TR: Sie haben bei Ihren Studien auch historische Stadtquartiere in Frankfurt, Lübeck und Berlin untersucht. Was können wir von Baumeistern aus dem Mittelalter oder der Gründerzeit lernen?

Mäckler: Im Forschungsprojekt „Stadtbild und Energie“ vergleichen wir, unterstützt vom Bundesbauministerium, Stadtquartiere unterschiedlicher Baualtersklassen miteinander. Wir versuchen, für historische Konstruktionen Lösungen zu finden, um diese energetisch so zu ertüchtigen, dass dabei die städtebauliche Identität nicht verloren geht. Dabei kann es auch sein, dass wir vorschlagen, ein Fünfziger-Jahre-Quartier im Zuge der energetischen Sanierung nachzuverdichten, um eine solche Identität erst zu schaffen.

Die Aspekte des Städtebaus und der Energieeffizienz stehen sich dabei also gleichberechtigt gegenüber. So muss man die Hauswand nicht nur als thermische Außenhaut des Gebäudes betrachten, sondern ihre stadtraumbildende Qualität erkennen. Denn diese stadtraumbildende Qualität ist es, was wir zu Recht auch heute noch an mittelalterlichen Innenstädten schätzen oder was Gründerzeit-Quartiere so beliebt macht.    (nbo)