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Was war. Was wird.

Man kann in seinen Prognosen richtig liegen und dennoch die völlig falschen Konsequenzen ziehen. Niemand demonstriert das besser als Bill Gates - ja, und der Vormarsch von Google. Was nicht nur bei den Prognosen der Gentechnik ein gewisses Erschrecken auszulösen vermag, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wan de Cheng ist nicht die plattdeutsch formulierte Frage "Wann gibt es das Geschenk?", sondern ist Chinesisch und heißt "Stadt, in der du alles bekommst." Unter diesem Namen geht Media-Markt in China an den Start, ganz feierlich und schwer symbolisch von Bundespräsident Köhler auf der Expo in Shanghai eröffnet. Nun könnte man laut "Ich bin doch nicht blöd" rufen und auf Wikipedia nachschlagen, ob es zu den Aufgaben eines Bundespräsidenten gehört, Media-Märkte zu eröffnen, aber wenn es der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen dient, ist alles paletti. Horst Köhler, ja ganz Deutschland steht wie ein Mann hinter Metro, da tritt man niemanden boatengistisch auf die Füße, den Standort gefährdend. Und wie hübsch es doch klingt, dieses "Stadt, in der du alles bekommst." Alles? Alles. Sogar Computer, die den großen grünen chinesischen Damm umgehen, diese Firewall, an der ständig 30.000 Fachleute herumproggen? Wie wäre es mit Menschenrechten, hübsch verpackt auf einer SIM-Karte für unüberwachtes Telefonieren? Von freien Medien gar nicht zu reden. Wer den Videostream zur Verleihung der World Communication Awards in Shanghai verfolgt hat, dürfte sich über die Einblendung von Mozarts kleiner Nachtmusik gewundert haben, als der ITU-Generalsekretär Cyberwars zwischen den Staaten als barbarische Akte verurteilte.

*** Zurück zur Normalität in einer Zeit voller Internet-Süchte, die in China mit altbewährten Methoden behandelt werden. Schließlich leben wir auch im freiesten Westen nicht in Städten, in denen man alles bekommt. Was gab es für ein Geläster, als Peking seine Olympiamaskottchen vorstellte, komplett mit Heisig und der tibetanischen Antilope. Nun ist London dran und dort erklärt man allen Ernstes, dass Wenlock und Mandeville an den Erfolg des Dackels Waldi anknüpfen werden, schreibt der Guardian. Dass die Zyklopen wunderbar den allgegenwärtigen Überwachungskameras ähneln, bemerkte einer. Wie London zu den olympischen Spielen überwacht werden soll, erklärt dieses Video der fiktiven Firma Blackwell & Briggs. Die Produzenten von Conspiracy for Good erklären sich zur Unbewegung, der niemand und doch alle angehören können. Das sich hinter dem Ganzen ein von Tim Kring produzierter PR-Gag für den Werbepartner Nokia versteckt, der seine Ovi-Dienste aufpeppt, ist dabei nur die halbe Wahrheit. Die subtile Geschichte hinter der Werbekampagne ist der Appell an den Bürger, mit seinem Nokia-Handy selbst Teil der Überwachung zu werden. Wer kein Gesicht hat, hat nichts zu verbergen und hilft, London zu einem sicheren Platz zu machen. Mit der richtigen GIS-Software werden Wenlock und Mandeville ihre Freude haben.

*** Wie schön für uns, dass Deutschland andere Akzente setzt und für die Video-Überwachung am Arbeitsplatz strengere Regeln aufstellen will. Doch halt, was tummelt sich denn da für ein Würmchen zum Thema GPS-Überwachung? Es klingt streng, es riecht aber auch streng, wenn es im Gesetzentwurf heißt: "Die Ortung eines Beschäftigten darf nur während der Arbeits- und Bereitschaftszeit erfolgen und nur dann, wenn es für die Sicherheit des Beschäftigten oder für die Koordinierung des Beschäftigteneinsatzes erforderlich ist und die Güterabwägung ein Überwiegen des Unternehmensinteresses ergibt." Gummiband, ick hör dir klatschen: Was GPS-tüchtige Handys und Navis an Standortinformationen per SMS in die Firma schicken, dürfte nahezu jede Firma als unerlässlich für die Koordinierung des Einsatzes ihrer Mitarbeiter deklarieren können, bis hin zum letzten Friedhofsgärtner. Beredetes Schweigen auch bei den Datenschützern, die das neue Gesetz kritisieren.

*** Bill und Melinda Gates sind mit ihren Kindern durch Europa gereist, sind durch viele Museen und Installationen gewandert, damit die Kinder einen Eindruck von einer anderen Kultur bekommen können, wie der stolze Vater erzählt. Fasziniert waren sie von der Leichtigkeit, mit der der alte Kontinent seine Vielsprachigkeit und Kenntnis von Excel kombiniert. Das Resultat der Europareise ist ein Gedicht von Rory Gates, das der Vater in seinem Blog veröffentlicht hat, komplett mit der Abbildung eines Schwarzen Lochs. Zu Pfingsten erschien vor 15 Jahren das erste Buch von Bill Gates in den USA, das im damaligen Herbst übersetzt als "Der Weg nach vorn" auch in Deutschland seine Interessenten fand. The Atlantic nutzt das Jubiläum, um die damaligen Prognosen von Gates mit der heutigen Realität zu vergleichen. Im Deutschen ist das nicht so einfach, denn Gates und seine Ghostwriter schrieben das Kapitel über die Bedeutung des Internet für die internationalen Ausgaben des Buches komplett neu. Während in der ersten Auflage im US-Original MSN und AOL als Online-Dienste die Menschen verbinden, bestimmt in den internationalen Ausgaben das Internet und der "Information Highway" "Die Zukunft der Informationsgesellschaft", wie der Untertitel des Buches lautet. Parallel zu diesem Umschwung muss erwähnt werden, dass es Gates und seinen Mannen 1995 gelang, den Konzern in sehr kurzer Zeit auf Internet-Kurs zu bringen und Netscape zu neutralisieren.

*** Unter diesen Aspekten können sich die Prognosen von Bill Gates sehen lassen, trotz der Microsoft-Färbung: Nicht der Wallet-PC von Microsoft dominiert die mobile Kommunikation, sondern die Smartphones mit all den Möglichkeiten, die zutreffend beschrieben sind. Auch die Rolle von WLAN und die Technik, dass Smartphones sich automatisch das kostengünstige Netz ohne Taktung suchen, ist gut beschrieben. Ja, die Menschen benutzen ein Multimedia-Lexikon im Internet, auch wenn es Wikipedia heißt und nicht Microsoft Encarta. Und immer noch macht die Menschheit gravierende Fehler: "Fehler wie die Entscheidung von Apple, seine Betriebssystemsoftware nur zusammen mit der eigenen Hardware zu verkaufen, werden sich in den kommenden Jahren noch oft wiederholen." Bill Gates, der Erfinder des iPad lag mit seiner Prognose richtig, dass digitales Geld keine Chancen gegen Kreditkarten haben wird und vollkommen daneben, dass Public Key-Verschlüsselung von Jedermann wie selbstverständlich genutzt wird, weil jeder Mensch wissen wird, wie wichtig die Privatsphäre ist. "Gefährdet uns die Informationsüberlastung?" fragte Gates in seinem Buch, nur um zu erklären, wie zentral "Abfragen" unser Leben bestimmen werden. Jeder Mensch wird ständig "Abfragen" stellen und, wo dies nicht ständig möglich ist, wird er Filter einrichten, die im Prinzip nichts anderes als ständige Abfragen sind: Erstaunlich sind nicht die Prognosen, sondern die von Gates nicht gezogenen Konsequenzen. Ersetzt man sein Plädoyer für Abfragen durch "Suchmaschinen" oder Google, dann hat der Microsoft-Chef erstaunlich genau den kommenden Konkurrenten beschrieben – und doch die falschen Schlussfolgerungen gezogen. Warum das passieren konnte, steht ebenfalls im Buch: "Bei Abfragen, die über den Information Highway geschickt werden, empfiehlt sich höchstwahrscheinlich die Hilfe eines Softwareberaters, weil die Information dann leichter und rascher zu finden ist." Statt an die Weisheit der Massen zu glauben, die jeden Mist in das Suchfenster von Google eingeben (und Resultate bekommen), sollten die Information Broker mit SQL-Kenntnissen die Gewinner sein. Aber auch die konnten nicht beantworten, wie Vögel Musik hören, das machen wir schon selbst.

*** Nach Microsoft kommt Microbesoft. Im Jahre 2007 tauchte dieser Begriff in der Zeitschrift Wired auf und bezeichnete die Firma Synthetic Genomics von Craig Venter, der sich ein Patent auf das erste künstliche Bakterium sichern wollte. Venter und vor allem sein damaliger Mitstreiter, der Nobelpreisträger Hamilton Smith haben mit Vier Flaschen für ein Heureka demonstriert, wie neues Leben programmiert und kreiert werden kann. Ob es ein Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit ist, wie Kommentatoren das Ereignis feiern, das dürfte man erst in 15 Jahren wissen, wenn höhere Zellformen ebenso zusammengefrickelt werden können. Wie wäre es mit dem ölfressenden Bakterium, dass Venters Firma seit mehr als einem Jahr als kommendes Produkt anpreist? Was Microbesoft anbelangt, so sind die Ängste geschwunden. Der verklempnerte und DNA-verbastelte Mensch, wie ihn die Google-Ausgründung 23 and me betreibt, kündet von gesunder Konkurrenz.

Was wird.

Wer hätte es gedacht, dass 2010 eine Regierung an der Frage scheitern kann, ob die DDR ein Unrechtsstaat oder eine Diktatur war? Nordrhein-Westfalen soll eine große Koalition und eine große Lahmheit bekommen, dafür in Zukunft noch mehr Nichtwähler, die sich mit Grausen von dieser Sorte Politik abwenden. Wenn in diesem bleiernen Bundesland noch aufmüpfige Reden gehalten werden, dann nur im Speakers' Corner, stilecht mit Powerpoint präsentiert.

Putzig ist es dann schon, wenn ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen am Sonntag, am offiziellen deutschen Verfassungstag von Bundespräsidenten Horst "Wan de Cheng" Köhler das Bürgerforum 2011 gestartet wird, das die Bertelsmann- und die Heinz-Nixdorf-Stiftung ausgetüftelt haben. Es ist ein supertolles Modellprojekt, bei dem "10.000 Bundesbürger in 25 Städten und Kreisen bis Mai 2011 gemeinsam diskutieren und ein Bürgerprogramm erarbeiten, wie das gesellschaftliche Zusammenleben bei wachsender Vielfalt der Gesellschaft gestaltet werden soll". Das "größte Bürgerbeteiligungsprojekt in Deutschland" wird neue politische Richtlinien entwickeln und auf einer Internetplattform diskutieren. Unter dem Oberthema "Zukunft braucht Zusammenhalt" werden neue politische Verfahren der Meinungsbildung erprobt, unter wissenschaftlicher Begleitung der Bertelsmann Stiftung.

Nein, dieser letzte Abschnitt ist kein Cut & Paste aus den Bewerbungsunterlagen für den von Wolfgang Clement (SPD) und Bill Gates ausgeheckten Road Ahead Prize, auch wenn man mit einem einfachen s/Bürger/Schüler ziemlich nah an den damaligen Materialien zum neuen Lernen liegt. So manches wiederholt sich als Farce, was als Komödie begann und in der Satire enden wird. (jk)