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Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber: Über verschwundene Kinderhintern, BSE, den Untergang des Abendlandes und adlige Rechtsanwälte.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** ...alles besser. Genau, früher war alles besser. Das Wetter war richtiges Wetter mit richtigen Jahreszeiten – aber das mit dem Winter können wir uns ja in Zukunft abschminken, sagen jedenfalls die Klimatologen. Obwohl, vielleicht gibt es ja noch eine Chance: Das britische Wissenschaftsmagazin New Scientist hat nämlich berichtet, dass ein Drittel der Weltproduktion des Treibhausgases von Wiederkäuern produziert wird. Wenn man die auf eine andere Diät setzen könnte... Aber ich schweife ab. Manchmal komme ich mir schon unendlich alt vor, weil ich in einer Computerzeit aufgewachsen bin, als der Umgang mit der Kommandozeile noch alltäglich war; und schließlich sollen ja drei Internet-Monate so lang sein wie ein Jahr in der realen Welt. Ich weiß, es wird freundliche und weniger freundliche Mails von Leuten geben, die stolz auf ihre Erfahrungen mit Lochkartenlesern hinweisen, aber mir erscheint das Alles schon wie Reminiszenzen an prähistorische Zeiten. Damals hatten die Leute noch Respekt vor den Grundwerten unserer Zivilisation: Rechenzeit, Bandbreite und der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Und heute? Da verschleudern sie Netzkapazität und Rechenpower für die Verbreitung und den Gebrauch eines modifizierten Moorhuhn-Spiels: Die Jagd auf Bimbes-Sammler. Na ja, die Jungs von Gamez.de haben ja schon die Teletubbies zum Abschuss freigegeben, aber Kohl und Kanther als virtuelle Schießbudenfiguren? Was kommt als Nächstes: Otto Schily als Content-Filter? Hans Eichel als Gebührenwächter? Der Untergang des Abendlandes?

*** Was aber bislang noch nicht war – eine neue Kategorie für wwww, die aus der taz stammen könnte: Was fehlt? In diesem Fall ist es eine angeblich virusverseuchte Festplatte. In der vorletzten Wochenschau berichteten wir über eine zerstörte Festplatte von Max Strauß, auf der Spezialisten Datenfragmente entdeckten, die jedoch nicht rekonstruierbar waren. Franz Georg Strauß, der Bruder von Max Strauß, bekundete als selbst ernannter Computerspezialist, dass diese Festplatte nach einem Virusangriff blank wie ein Kinderhintern gewesen wäre, ohne jede Datenspur. Nun haben die Bonner Sicherheitsspezialisten vom BSI die Festplatte zur Untersuchung angefordert, um die auffällige Differenz zwischen 16 MByte Dateifragmenten und einem blanken Kinderhintern zu klären. Allerdings ist die Festplatte bei der Staatsanwaltschaft Augsburg überraschend verschwunden. Welcher Virus da am Werke gewesen sein mag? Gegen Max Strauß, den Eigentümer der Festplatte, wird im Zusammenhang mit den Schmiergeldzahlungen des Waffenhändlers Schreiber und dem Verdacht auf Steuerhinterziehung weiter ermittelt. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft zudem gegen unbekannt, vielleicht mit einem Fahndungfoto der Festplatte: "Wer hat sie zuletzt gesehen?" In Augsburg wurde sie als leicht zu übersehender Alltagsgegenstand bezeichnet. Ob es dort so aussieht wie in der c't-Redaktion?

*** Nachzutragen wären einige Zahlen zum grassierenden deutschen Inder-Wahn und der christdemokratischen Angst vor BSE-Erregern, den Bangalore Software Engineers, die angeblich das deutsche Ausbildungssystem zum Wackeln bringen. In Bangalore und Hyderabad gaben in dieser Woche die größten indischen Softwarefirmen Infosys Technologies und Satyam Computerservices ihre Bilanzen bekannt. Das Geschäft mit den USA machte dabei 78 beziehungsweise 77 Prozent der Gesamteinnahmen dieser Firmen aus. In den Vorjahren lag der Anteil noch jenseits der 90-Prozent-Marke. Nun holt Europa auf. Zu den Firmen, die aus Indien nach Europa expandieren, gehört die Frima DEC India aus Bangalore. Sie wird in London, Wien und München Büros eröffnen, die Aufträge für über 500 Programmierer in Bangalore reinholen sollen. "Das Logo von Digital soll zu einem Markenzeichen für indische Wertarbeit werden", ist in einem PR-Statement vom DEC-Chef Sam Mittel zu lesen. Wir begrüßen ein aus seligen Zeiten wohlvertrautes Zeichen.

*** "!seineew era sreenigne epacsteN" lautet ein Kommentar in der Datei dvwssr.dll, die zu Microsofts Frontpage Webserver gehört – keineswegs aber mit neuester Verschlüsselungstechnik bearbeit; wer rückwärts lesen kann, ist klar im Vorteil. Diese dvwssr.dll ist allem Anschein nach für ein scheunengroßes Sicherheitsloch in der Server-Software verantwortlich. Angeblich ist das Erstaunen groß, auch bei den Mannen aus Redmond, dass solch ein Sicherheitsloch bei einer Firma wie Microsoft möglich ist. Das wiederum muss uns erstaunen: Vor einem Jahr erschien das Buch Renegades of the Empire. How Three Software Warriors Started a Revolution Behind the Walls of Fortress Microsoft, aufgezeichnet von Michael Drummond. In dem Buch schildert Drummond, was zielstrebige Ingenieure alles in eine Software einbauen können, wenn sie keine Weenies sind. Wer will, kann diese Schilderung als Plädoyer für Open-Source-Software lesen. Der Rundbrief, mit dem die Open-Source-Szene vor Microsofts Passwortproblem warnte, war sinnigerweise mit einer Sentenz von Seneca dem Jüngeren unterschrieben: "...quemadmodum gladius neminem occidit, occidentis telum est" (für Leser ohne großes oder kleines Latinum: "Ein Schwert tötet nicht; es in ein Werkzeug in der Hand eines Mörders"). Wer sagt denn, dass Engineers Weenies sind?

*** "Gut, dass wir verglichen haben!", so lautet der Slogan der Media-Märkte, die ihn im TV von einem Hamburger Rechtsanwalt verkörpern ließen. Nun ist ein Prozess zu Ende gegangen, der es der Media Markt Saturn Hansa Holding untersagt, Computerhändler mit Mehrfachabmahnungen zu überziehen – das trieb bis dahin den Gesamtstreitwert gewaltig in die Höhe. Besonders interessant die im Prozess vorgelegte Konzernweisung, die alle Geschäftsführer der Technikmärkte dazu verdonnerte, ihr Vorgehen gegen Wettbewerber über denselben Hamburger Rechtsanwalt zu koordinieren, der als Werbeträger auftritt. Was fehlt, sind die Bemühungen, diesen sympathischen Werbeträger in den Adelsstand zu erheben. Sage niemand, dass dies nicht mehr möglich ist. In einer unlängst vom Verband des deutschen Adels herausgegebenen Broschüre wird das allfällige Prozedere beschrieben, wie man an einen provisorischen Adelstitel kommt, wenn man zum Beispiel einen Adelssitz hegt und pflegt – bis zur endgültigen Bestätigung müsse man freilich warten, dass in Deutschland wieder einer Monarchie existiere, heißt es in dem Text. Bis es so weit ist, kann man die einschlägige Adels-Adresse im Web besuchen, die die Anfragen an eine virtuelle Adels-Redaktion spiegelt.

*** Ein gewisser Rechtsanwalt ist jedenfalls adelig und zufällig ebenfalls bekannt, im Geschäft mit Mehrfachabmahnungen tätig zu sein. Letzte Woche fiel er mit einer seltsam aufgeregten Nachricht im Internet auf. Der gute Mann glaubte, in einem Internet-Forum Neonazis entdeckt zu haben, weil dort die Zahl 88 auftauchte. Nun kann 88 vieles bedeuten: Heil Hitler bei den Neonazis, Knutsche und Küsse bei den Amateurfunkern, ein österreichischer Musiksender oder die englische Menschenrechtsorganisation Charter 88 – und noch vieles mehr, wenn man den richtigen Stoff geraucht hat und das "Lexikon der Verschwörungen" liest, das der Hagbard-Forscher R. A. Wilson gerade auf den Markt gebracht hat. Bei unserem adeligen Rechtanwalt sind jedenfalls Neonazis zugange. Zufälligerweise in einem Forum, das in einem Fall von Selbsthilfe die Adressen all derer sammelt, die von ihm mit Abmahnungen überzogen werden. Da steht der ominöse Rechtsanwalt wohl eher in der Tradition des verlogenen Antifaschismus á la Hans Schwerte.

Was wird.

Was wird? Nach uns wird natürlich eine neue Generation kommen. Auf Hal1 folgt Hal2, ein Grafikrechner, der für die Tagesschau diese seltsamen Wetterflüge durch Deutschland ausbaldowert, bei denen kurz Bankfurt auftaucht und nach einem Waldhügel Memmingen winkt. Auf die Generation X folgt die Generation D. D wie digital natürlich. Unter diesem Namen will MCI Worldcom in der nächsten Woche weltweit eine millionenschwere Kampagne starten, in der sehr viel von E-Business, schlüsselfertigen Lösungen und Data Centern die Rede ist. D könnte auch für Douglas-Tannen stehen. Diese Bäume produzieren das härteste Holz und können über 500 Jahre alt werden. Doch solche alten Bäume gibt es nicht mehr. Die Letzten dieser Art wurden vor annähernd 100 Jahren geschlagen. Dennoch ist die Heimstatt von Bill Gates überwiegend aus Douglas-Tannen gefertigt, die 500 Jahre und älter sind: Der Software-Architekt von Microsoft hatte seinerzeit den gesamten gelagerten Bestand dieser alten Bäume aufgekauft. Nun sucht er weiteres Material, weil ausgebaut werden muss. Der Codename dieser Operation? Generation D. (Hal Faber) (jk)