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Was war. Was wird.

In dieser Woche weiß Hal Faber nicht, wie er beginnen soll. Drehen wir die Sache also um und beginnen mit dem Ende – dem des Internet.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** "Staunend sind wir heute Zeuge einer technologischen Revolution, doch schon zur Jahrhundertwende wird diese Technik zum Alltag gehören". Nun hat sich das Jahrhundert gewendet und die Magnetschwebebahn, die heute vor 30 Jahren mit großen Worten präsentiert wurde, ist Alltag geworden – als Beispiel für eine gescheiterte Technologie. Sie verbindet hier und da Terminals auf Flughäfen, doch ganz sicher nicht unsere Metropolen. Heute vor 20 Jahren wurde auf Sizilien das erste europäische Solarkraftwerk in Betrieb genommen, doch von diesem Ereignis sind keine erbaulichen Reden in den Archiven zu finden. Statt dessen künden eine Menge Zeitungsartikel vom Scheitern dieser Technologie im Systemkampf mit der Atomtechnik. Dabei gibt es inzwischen Solarzellenpanels, die einen PDA aufladen, wenn sich der Student auf dem Rasen räkelt.

*** Und wenn wir schon über Jubiläen reden, dann bitte auch über den ersten Briefmarkenautomaten, der vor 110 Jahren in London die Zeitgenossen ärgerte, weil ihm "das freundliche Anlitz eines Menschen fehlt". Seither sind viele freundliche Antlitze durch Maschinen ersetzt worden, die Briefmarke aber ist geblieben.

*** Es hätte natürlich auch ganz anders kommen können. Schließlich sind nur wenige Monate vergangen, seit am 4. Januar 2000 das aufstrebende StartUp E-Stamp das Postwertzeichen zum ersten Opfer des neuen Jahrtausends erklärte. Zur Erleichterung der weltweiten Philatelisten-Gemeinde schloss E-Stamp in der vergangenen Woche die Pforten und verkaufte sein gesamtes "intellektuelles Kapital" in Form einer Website und gesammelter Kundendaten an den Konkurrenten Stamps.com. Unverdrossen steuert E-Stamps mit seinen Resten einen neuen Markt an, das Online-Learning: "In wenigen Jahren wird der klassische Unterricht im Klassenraum aussterben". Logisch, wie Briefmarken und Studenten-PDAs.

*** Die Definition des technologischen Fortschritts ist nicht immer einfach in einem RFC abzubilden. Ganz sicher aber gehört das Senden von Taubendatenpaketen zu den wirklich bewegenden Neuerungen. Daher ist es bedauerlich, dass das IETF die Viecher nicht in seiner Auflistung von Testmitteln berücksichtigt. Schließlich könnte es eine Symbiose von Tauben und Pinguinen in Gegenden geben, die von gängigen Datenleitungen abgeschnitten sind. Open-Source-Programmierern, die sich überlegen, ob sie nicht besser von ihrem Taschengeld Programmierer in der Dritten Welt für die Freie Softwareproduktion engagieren, kämen die Tauben wohl wie gerufen.

*** Vor den Vertretern der quelloffenen Software hat Microsoft zum Wochenende ein neues Zauberwort aus dem Hut gezogen: Shared Source statt OpenSource lautet die Devise. Stolz berichtet der Microsoft Presseservice, wie die neue ab dem 4. Mai laufende deutsche Webpräsenz mit dem neuen Ansatz auf Basis modernster .Net-Werkzeuge entstanden ist. Nach eigenen Angaben haben knapp 50 Entwickler zehn Monate für den Relaunch der Site gebraucht, die einer der größten deutschsprachigen Firmenpräsenzen sein soll. Mit dieser Site kann Microsoft sein Wissen mit seinen Kunden in aller Tiefe teilen. Die neue Offenheit wird ein wenig dadurch getrübt, dass nicht überall die gleiche Begeisterung für die Ausführungen von Craig Mundie ausgebrochen ist, wie in der US-Computerpresse. Linus Torvalds erklärte etwa, dass er lieber Sir Isaac Newton als Craig Mundie zuhören würde, weil Newton den Raum weniger verstänkert. So ein Satz wirft natürlich die Frage auf, welche speziellen Ausdünstungen des Körpers beim fortgesetzten Umgang mit Microsoft-Software besonders stimuliert werden. Ist es der Angstschweiß bei der Installation, sind es die Ströme vom Dancefloor?

*** "Ein Fisch, der oben schwimmt, riecht nicht mehr frisch [...] und wie der Diener, also muss der Herr beschaffen sein". Recht hat er, der François Villon. Aber wenden wir uns einer anderen, aber nicht weniger drängenden Frage zu: Was ist eigentlich das Internet? Fragen wir einen, der sich auskennt. "Das Internet ist ein großer Misthaufen". Gemerkt? Richtig, die überzeugende Kampfthese stammt von Joseph Weizenbaum, der uns in dieser Woche mit einem Déjà-vu-Erlebnis versorgt – sicherlich nicht zum letzten Mal. Es ist wie bei Ephraim Kishon, dem einmal etwas Despektierliches, ja geradezu Gemeines über seine amerikanischen Gastgeber entschlüpft ist. Danach, so berichtet er, habe es nicht etwa Proteste, sondern Einladungen gehagelt. Er sei überall herumgereicht worden und konnte seine Phillippika zuletzt sogar gegen Bares vor großem Publikum wiederholen. Wen wundert's, wenn sich auch Weizenbaum seinen wirklich schönen Satz versilbern lassen will. Und wer weiß, vielleicht fällt ihm beim Tingeln über die Dörfer ein noch viel schönerer ein.

Was wird

*** Der Mai ist gekommen, die Konferenzen schlagen aus. Unübersichtlich ist das Angebot von Podiumsdiskussionen, die dieses und jenes am Internet hinterfragen wollen – kritisch natürlich. Und aus den USA kommt die frohe Kunde, dass eine Kampagne Wirkung zeigt, mit der im Mai das pornofreie Internet gewürdigt werden soll. Freiwillig entsagen dort die Surfer dem Klick auf sündige Pixel, angeblich zu hunderttausenden. Aber wie misst man einen Klick, der nicht stattfindet? Und was ist mit der Idee der Shared Source, frei nach dem Motto: "Zeig' ich dir meine Briefmarkensammlung, zeigst du....?" Hinterfragung tut not.

*** Eine Konferenz der nächsten Woche verdient dennoch Erwähnung. Veranstaltet wird sie in Berlin von der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung für sicheren Datenverkehr im Internet. Sie beschäftigt sich mit dem holprig vorgestellten Thema "Machbarkeit von Sicherheit im Internet". Ausgangspunkt der prominent besetzten Konferenz ist "die bestürzende Entdeckung, dass höchstens 10 Millionen der schätzungsweise 400 Millionen Mitglieder der Internet-Gemeinde die kostenlose Software Pretty good Privacy einsetzt." Das ist pretty ungood und bedarf jeder Menge critical backquestions durch die Wissenschaft. Denn auch hier bleiben rätselhafte Fragen offen. So hat der Landesbeauftrage für den Datenschutz in Schleswig-Holstein am Freitag seinen lesenswerten 23. Tätigkeitsbericht ins Netz gestellt, in dem unter anderem die Forschung an einer PGP-Smartcard beschrieben wird. Es gebe Fortschritte, doch sei es insgesamt um den Datenschutz und die Sicherheit im Internet nicht gut bestellt, lautet das Fazit, das mit einem denkwürdigen Satz schließt: "Trotzdem gleicht die Entwicklung der Informationsgesellschaft weltweit und auch in Schleswig-Holstein einem Ritt auf der Rasierklinge." Und wie ist so ein Ritt auf einer Rasierklinge? Ist das schon kritisch hinterfragt worden?

*** Vielleicht gibt es irgendwo im Netz die Spezialseite für Rasierklingenrodeos. Vielleicht auch nicht. Nur eines ist sicher: Diese Wochenschau ist jetzt zu Ende. Apropos, auch das Internet hat eins und das andere ist nur einen Mausklick entfernt. Hal Faber / (em)