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Was war. Was wird.

Der Sommer kommt langam, aber sicher. Aber auch in dieser Jahreszeit gibt es kein richtiges Leben im falschen, vor allem, wenn Content-Anbieter und Justiz- wie Innenminister der guten Seele keine Ruhe lassen.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Vielleicht wird die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und lässt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen." Das schrieb der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno in seiner Minima Moralia – die Reflexionen aus dem beschädigten Leben erschienen vor 50 Jahren. Heute sind irre Zwänge ganz normal und täglich zu beobachten. Der ganze Wochenrückblick ist voll von ihnen. Nichts bleibt in der Buchproduktion ungenutzt, wenn es darum geht, tote Bäume unter die Leute zu bringen. "Die Software-Rebellen" nennt sich ein gerade erschienenes Buch über "Die Erfolgsstory von Linus Torvalds und Linux", das so schlecht ist, dass es hier eine Warnung verdient. Im amerikanischen Original ist es eine mühsam gelängte Geschichte aus der Zeitschrift Wired, die wie John Heilemans Wired-Geschichte über den Microsoft-Prozess das Pech hatte, einen Verleger zu finden. Also musste ein schwafeliges Buch aus der Sache werden, das in der Übersetzung wie ein durchgeknallter Lore-Roman wirkt. Da rieselt Bill Gates ein anerkennender Schauer über den Rücken, als er die Halloween-Dokumente liest, da werden Flames zu Anzündern und Richard Stallmann bewundert die zeitlose Eleganz von Windows 3.1. Vielleicht sollte man das Buch mit Linux waschen, um eine lesbare, kompakte Version zu bekommen, in der nicht Häresiedokumente in eine Schlacht ziehen und ein Betriebssystem in das Herz der Firmen sickert.

*** Nun bereitet Linus T., der Heilige mit den "humorvoll buschigen Augenbrauen", selbst sein eigenes Buch vor, aus dem nach und nach Passagen an die Öffentlichkeit sickern. Sie sind gehaltvoll wie nur irgendwas: "OS X ist ein Haufen Schrott", so urteilt Torvalds angeblich über Apples Supernova-Betriebssystem in seinem Werk, in dem eine Aktion von Steve Jobs ein ganzes Kapitel füllen soll. Jobs versuchte im Jahre 1997 Torvalds ins Apple-Lager zu ziehen, frei nach dem Prinzip: Wer gegen Microsoft ist, muss für uns sein. Linus entschied sich bekanntermaßen für Transmeta und die volle Breitseite auf OS X. Das mag freilich auch damit zusammenhängen, dass der Mikrokernel von OS X aus dem altehrwürdigen Mach-Projekt der Carnegie Mellon University stammt. So ein Microkernel ist auch bei Hurd anzutreffen, der größten Bedrohung für Linux seit dem Ausschlüpfen des ersten Pinguins.

*** Nix Wahres gibt es im Falschen, findet nicht nur Theodor Wiesengrund Adorno, sondern auch die Federal T. Commission. Sie bemängelte in der vergangenen Woche Anzeigen, die von Microsoft und Hewlett Packard gestaltet worden waren. In ihnen würde der Eindruck erweckt, als ob der bis zum Rand mit Pocket-PC-Software gefüllte HP Jornada automagisch ans Internet gelangen können. Das sei eine höchst irreführende Werbung, verkündete die FTC, weil der Verbraucher ohnehin nicht mehr verstehen würde, wovon die Rede ist. Nun ist die Vorstellung der FTC nachgerade niedlich, eines Bobo-Masterplans würdig: Allein das Reizwort Internet und schon zücken Johann Sechserpack und Lissy T. Miller ihre Kreditkarten, um den Journada zu bekommen. Vielleicht erklärt das den Siegeszug von Microsoft? In einer der ersten Anzeigen von MS-Word, ein DOS-Texter, der 1.790 Mark kostete, war viel von der neuen Leichtigkeit des Schreibens die Rede, dazu abgebildet eine hübsche Blondine vor dem charmant grünschwarzen Bildschirm. Wer damals genau hinsah, konnte sehen, womit diese Frau produktiv den Bildschirm füllte: (A)bort, (R)etry, (I)gnore? – und immer vollkommen fehlerfrei abgetippt! So begann der Siegeszug von AÜL – Abbrechen, Übertragen, Laden.

*** Bräsig rechnete einmal die Zeitschrift Fortune vor, wie reich Bill Gates mit MS-Word wirklich geworden ist. Würden 100 Dollar-Scheine auf dem Boden liegen, wäre dem Genius die Zeit zu schade, sie aufzuheben, verdiene er doch ein Vielfaches dieser Summe. Das Ganze berechnet auf vier Sekunden pro Bückling. Im allgemeinen Lemming-Hops der Internet-Werte hat auch Bill Gates – oder sein Lieblingsfeind Larry Ellison – viel Geld gelassen. Nun lohnt es sich nach einer Berechnung der Information Week wieder, dass Bill Gates die Hunnies aufhebt. Sein Aktienwert sei um 39 Milliarden US-Dollar gefallen – genug, um Männern wie Frauen und Kunden, mithin allen lebenden Einwohnern der USA einen 13-Zoll-Fernseher zu kaufen. Das Rechenbeispiel erschüttert: In den USA gibt es Hungertote, eine katastrophale medizinische Versorgung für wenig vermögende Familien, doch der Fachpresse fallen als Vergleichsmaßstab nur Flimmerkisten ein (und im Falle Ellisons 1 Million Beetle-Autos). Wie würde es klingen, wenn jeder Amerikaner gründlich gecheckte Zähne bekommen hätte?

*** Blättern wir etwas weiter im Kalender zurück, so kommen wir zur CeBIT, der weltgrößten Leistungsschau für Büroklammern und Laminatmaschinen. Dort verkündete Innenminister Otto Schily einen erbarmungslosen Kampf gegen immer hinterhältiger werdende Hacker und Viren. Seine Task Force "Sicheres Internet" werde konsequent und unverzüglich zuschlagen, wann immer dies möglich sei. Der Schutz vor Viren und Denial-of-Service-Attacks müsse konsequent angewendet werden. Einfachste und längst bekannte Sicherheitsmaßnahmen würden nicht beachtet, sagte Schily, der der Industrie "Präventivschlagmaßnahmen" empfahl. Ein Hamburger Nachrichtenmagazin macht nun aus dieser vage empfohlenen Präventivschlägen waschechte Denial-Of-service-Attacks, die auch noch von Bundesbehörden ausgelöst werden sollen, die Schily unterstehen. Hier greift der Irrsinn zu den Sternen. Nun mag man nicht glauben, dass ein Minister wie der juristisch geschulte Otto Schily aktiv zum Bruch der Verfassung aufruft. Im Zweifelsfall empfehle ich die CD "Papa, was ist das Internet?", gesprochen von Otto Schily.

*** In dieser Woche beschäftigte sich auch die deutsche Justiz mit dem Internet, in Person der Ministerin Däubler-Gmelin, die bei einer Konferenz die ICANN kritisch würdigte. Ihr Fazit: Technische Koordinierungsstelle solle das Gremium bleiben, und damit basta. Ihr zur Seite sprangen Wissenschaftler wie der Soziologe Leggewie, der der ICANN die Umwandlung der Desizivstimmen in Deliberativstimmen empfahl. Admin nix capito? Dafür gibt es Soziologielexika, die man ohne Probleme nutzen kann: Die Aufgabe des Direktmandats zu Gunsten bestallter Kontrollgremien ist gemeint. Diese sollen von Regierungen und gesellschaftlich relevanten Gruppen beschickt werden. Der Vorschlag hat etwas, wenn man sich ausmalt, wie Direktor Müller-Maguhn mit Vertretern der Kirche um eine Linie rauft und RFCs wie Bibelverse in höchster Erregung zitiert werden – ansonsten schimmert das sanfte Licht des Irrsinns.

*** "Ich weiß nicht, ob ich in einem Land leben möchte, in dem das Klopapier 'Danke!' heißt", meinte ein gerade aktueller Kabarettist. Ich wiederum weiß nicht, ob ich noch in einem Land leben möchte, das seine Position einzig zwischen Law-and-Order-Scriptkiddies, Ich-bin-stolz-Deutschtümlern, Machbarkeits-Soziologen und Große-Freiheit-Internet-Fanatikern zu finden meint. Wenn ausgerechnet die in der Öffentlichkeit immer wieder geschmähten EU-Bürokraten die deutsche Politik ebenso wie die Protagonisten der absoluten Freiheit vorsichtig darauf hinweisen müssen, dass möglicherweise das Alte nicht mehr taugt für das Neue, rekuriert unsereiner zwangsläufig auf den Wiesengrund: "Philosphie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint: Alles andere erschöpft sich in der Nachkonstruktion und bleibt ein Stück Technik."

Was wird.

Die neue Volkszählung aller vereinigten Deutschen wurde zum Wochenende freudevoll unter das eierpinselnde Volk gebracht. Diesmal werden keine Zähler von Haus zu Haus sich schleppen, diesmal wird der dynamische Datenabgleich zwischen Meldeämtern, Krankenkassen und Rententrägern vollauf ausreichen. Früher war ein gewisser Herold mit seinem Begriff der Rasterfahndung ehrlicher.

"Summertime, and the livin' is easy" – bis zum Sommer ist es noch ein bisschen hin, aber Frühling wird es schon, auch hier in der norddeutschen Tiefebene. Frühlingsgefühle dürften aber einige Hamburger kaum haben, angesichts eines Projektes, was nun eben nicht wird. Der Spiegel stellt sein Content-Portal ein (warum nur kam niemand auf die Idee, das hässliche Wörtchen "Content" zum Unwort des Jahres zu küren, immerhin wurde das @ für Firmen schon verboten...). Da mag Ella noch so lange behaupten "Your Daddy's rich and your Ma's good looking" – Recht hätte sie zwar, die gute Ella, wenn sie den Text von George trällert und das Spiegel-Kind meinte. Aber genutzt hat es dem Kind nichts: "So hush little baby, don't you cry." Denn ohne Moos auch keine Summertime für all die Content-Anbieter im Netz: Das Wall Street Journal Online entlässt, CNet entlässt, die Financial Times Online entlässt – und der Spiegel entlässt auch und versucht es gar nicht erst, für Content Geld zu verlangen. Und doch bleibt die Frage, was wird? Was wird, wenn niemand die Leute bezahlt, die Inhalte im Netz produzieren? Dann bekommen wir bild.t-online.de als ultmative Website, eben: Content statt Inhalt, "one of these mornings", an dem die Schnorrer im Netz aufwachen und nichts mehr zu singen beziehungsweise zu contentumieren haben. Oder, wie Marx schon wusste: Der Tauschwert einer Ware bemisst sich nicht nach dem Gebrauchswert, aber ohne Gebrauchswert hat eine Ware keinen Tauschwert. Da beißt auch der Bobo keinen Faden dran ab. (Hal Faber) / (jk)