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Was war. Was wird.

Hat i-Mode mehr Zukunft als der Transrapid? Das wundert sich Hal Faber, der auch Niels Bohr, Werner Heisenberg, Bill Gates, Miguel de Icaza und Richard Stallman befragt.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heller als tausend Sonnen erstrahlte in dieser Woche das Web, als sich das Niels-Bohr-Archiv und die Familie Bohr dazu entschieden, die unveröffentlichten Briefentwürfe des großen dänischen Physikers über das Internet aller Welt zur Verfügung zu stellen -- zum Erstaunen der Fachwelt. Die ist daran gewöhnt, ein stilles Archiv aufzusuchen, die Dokumente einzusehen und alsdann gelahrt über sie zu schreiben. Nix da, jedermann kann klicken und sich seinen eigenen Reim darauf machen, was der "Spontanbesuch" von Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker bedeutet haben mag, der im September 1941 in Kopenhagen stattfand. Der Süddeutschen Zeitung erschien die Maßnahme so revolutionär, dass sie eigens einen Reporter nach Kopenhagen schickte, einen "Bericht aus dem Auge des Sturms" zu liefern. Der wurde enttäuscht: Ruhig wars, die Leute gingen Kaffee trinken. Als ob Server ächzen würden. Dafür ist das Ächzen an uns. Die Legende vom Widerstand der deutschen Atomphysik gegen den Bau einer Atombombe unter Hitler, die Robert Jungk 1956 in "Heller als tausend Sonnen" strickte, darf nunmehr in einer Endlagerstätte sachgerecht entsorgt werden.

*** Die Freiheit, eine solch wichtige Dokumentation in das Internet zu stellen, wird in Deutschland bald als dänische Marotte behandelt. Bei uns kann ein Regierungspräsident wie Jürgen Büssow, der nur im Karneval den Titel "Esel von Wesel" führt, Sperrungsverfügungen verschicken, die zeitlich begrenzte Ausnahmen für Forschungszwecke kennt. Aber dass bitte nicht jeder auf die Idee komme, forschen zu wollen! Dem skandinavischen Ungeist gilt es zu trotzen. In diesem Sinne muss ich natürlich meine Leser schärftens davor warnen, Websites wie Blutzeuge aufzusuchen, auch wenn sie im "Krebsgang" von Günter Grass eine Rolle spielen. Und was die "Kameradschaft Konrad Pokriefke" anbelangt, so hat der Steidl-Verlag den Link zur Kameradschaft Schwerin wohl nicht verhindern können und deshalb lieber im Buch die Kameradschaft Konrad Pokriefke gedruckt. Eine Zensur von Autor und Publikum findet nicht statt, man verweist auf andere Beispiele. Tja. Man hätte auch unseren Verfassungsschutz nennen können, der aktiv die NPD gestaltet.

*** Bisher ist i-Mode bei uns nur als Herrenausstatter bekannt. Das wird sich bald ändern, wenn Steve, "der Chaot", Lucy "das Girlie" und Lars, der "Computer-Geek", bei uns loslegen und Werbung für E-Plus sein i-Mode machen. Besonders der Internet-Freak, der "dank i-Mode wieder das Tageslicht sieht", entzückt. Eigentlich hieß er Sven, aber seitdem ein Sven Hannawald unter dem Motto "Träume werden wahr" für Quam einen Skihasen im Werbespot abblitzen lässt (cool, ey), muss eben Lars vom i-Mode "Onlinedienst" erzählen. Dabei kann Lars nicht richtig rechnen, wenn er in der Werbung davon schwärmt, dass ein Kilobyte i-Mode bei uns nur 2,5 Cents kostet. Unter 10 Kilobyte liegt nämlich keine der Seiten, die von Amazon, Beate Uhse, eBay und der FAZ angeboten werden. Auch in Holland, wo die Supermarktkette Albert Hejn, die SNS Bank und Radio 538 sowie TMF mit von der Partie sind, wird nicht gekleckert mit der Grafik. Ja, mit diesen Diensten will E-Plus starten und nur bescheidene 15 Prozents der monatlichen Abo-Einnahmen für sich behalten. Wer da als Alphatier hinzukommen möchte, muss bei E-Plus eine intensive Prüfung durchlaufen, "dass keine rassistischen, pornografischen, demokratiefeindlichen oder gewaltverherrlichenden Inhalte versendet werden", so heißt es in einem internen Dokument. Ups, ich wollte doch gar nicht mehr über Zensur schreiben. Bleibe ich also lieber bei der Marketing-Literatur von i-Mode: Als "revolutionär" verkauft sie den Entschluss, in Europa die Länge einer E-Mail in i-Mode auf "sagenhafte" 1000 Zeichen gegenüber dem japanischen Limit zu verdoppeln. Was die Werbung anbelangt: Lars, Sven, hört mal her, es gibt viel bessere Argumente für Mobiltelefone. Im Zug, zum Beispiel.

*** Während sich freundliche Leser zum Jubiläum dieser Kolumne einfanden (danke, danke), lief in den USA das Endspiel-Drama zum Superbowl über die TV-Schirme. In einem der zahlreichen Werbespots schaffte es eine "Partnership for a Drug Free America", einen Zusammenhang zwischen dem Kauf von Drogen und dem Terrorismus herzustellen. Unerreichbar aber der Farmer, der für AT&T's Mlife im Schweinestall über den Sinn des Lebens grübelt, der natürlich im Mobilen liegt. Meaning of life, das ist eine Frage der Perspektive. Schon die Freunde der finnischen Oper sehen den Sinn ganz anders. Ein überraschender Perspektivenwechsel muss aber doch noch nachgetragen werden. In dem am letzten Dienstag veröffentlichten, in US-Farben eingebundenen Jahreswirtschaftsbericht von US-Präsident Bush findet sich der Satz, dass die New Economy lebt, wohlauf ist und weiterhin aufs Beste gedeiht. Absolut verfehlt sei es, ihr Grabsteine zu setzen, heißt es da. Etwa wie die Multimedia-Friedhofs-Gedächtnisstelen, die bei Friendlyway zur CeBIT Premiere haben werden. Die Argumentation von Bushs Fachleuten verblüfft: Die Produktivität sei durch die New Economy viel stärker gestiegen, als es die Statistiken ausweisen, daher werde sich die Wirtschaft schnellstens erholen. Bleibt die Frage, wer hier an der Nase herumgeführt werden soll.

*** Natürlich gibt es auch heute ein Jubiläum zu feiern: Vor 100 Jahren erblickte Walter Brattain das Licht der Welt. Zusammen mit John Bardeen und William Shockley erfand er am 23. Dezember 1947 den Transistor, den integrierten Schaltkeis, den Chip schlechthin, ohne den dieser Rückblick, das Internet und mein Hörgerät nicht möglich wären. Alle drei bekamen dafür 1956 den Nobelpreis, in einer bemerkenswerten Arbeitsteilung: Shockley organisierte das Team, so wie er später Fairchild Semiconductor und National Semiconductor gründete und die Leute vergraulte, die ihrerseits Intel gründeten. Bardeen war derjenige, der die richtige Idee hatte und Brattain der Ingenieur, der mit dem Halbleiter Germanium im Experiment die Idee beweisen konnte. Für das wichtigste Resultat seiner Forschung hielt Brattain das Transistor-Radio, nicht den Computer. Der 1987 gestorbene Physiker war Fachmann für Magnetimus. Im 2. Weltkrieg arbeitete er an der magnetischen Ortung von U-Booten und entwickelte Pläne für das, was wir heute Magnetschwebebahn nennen.

*** Auf vertrackte Weise trifft sich derzeit Brattain, der "größte Sohn von Seattle", mit einem anderen Einwohner dieser Stadt, der nunmehr diesen Titel hat. In dem schier endlosen Gezerre um die "I Mag Net-Bahn" Metrorapid im Büssow-Land leisteten sich die mit der Wirtschaftlichkeitsanalyse betrauten Gutachter das Vergnügen, die Machbarkeitsstudie im MS-Word-Format ins Netz zu stellen. So waren alle Änderungen letzter Hand gut dokumentiert und tauchten am Mittwoch in den Gazetten auf: In wenigen Minuten wuchs die Zahl von 320 Plätzen auf 536 Plätze pro Zug, weil ein Gutachter die Quadratmeter etwas fortschrittlicher nach der "japanischen Methode" berechnete. Insgesamt ein schlagender Beweis für die Notwendigkeit von Microsoft-Software in der Verwaltung, worüber sich die Sozialdemokraten ärgern: Wenn die Politiker schweigen, sprechen die Revisionsstände.

Was wird.

Während Karneval und Olympische Winterspiele den Eindruck vermitteln, dass die eine Hälfte der Menschheit ein falsches Betriebssystem installiert hat und die andere längst abgestürzt ist, so naht doch Hoffnung. Feiern wir den Valentinstag mit einer liebevollen Geste. Man kann insolvente Jung-CEOs in reicher Auswahl zur Pizza einladen oder halt einen Venture-Kapitalisten an die Würstchenbude. Für hart arbeitende Linux-Fans empfiehlt sich ein Präsent zur inneren Einkehr, für glückliche Mac-Besitzer gibt es eine Vorlage zum Trällern und Windows-Adepten spenden dem größten Wohltäter, den die Menschheit bisher hatte. Vielleicht fragt sich der eine oder die andere, wer denn dieser Valentin ist, den alle mögen sollen. Natürlich ist Valentin Turchin gemeint, der einstmals mit Andrej Sacharow in der UdSSR im Jahre 1973 Amnesty International gründete, dann in einem tollen Buch 1977 den Erfolg des Internet prognostizierte und heute im Ruhestand an der Supercompilierung arbeitet. Will jemand gegen diesen Valentin wirklich ein Priesterlein aus dem Jahre 269 n. Chr. setzen? "Legenden müssen nicht stimmen, sie müssen bloß leben".

Die Karawane bellt, die Hunde ziehen weiter: In Porto Alegre gab es den Gegengipfel zum Davoser Weltwirschaftsforum. Hier stellte Claus Leggewie seinen Aufruf zur Internet-Abstimmung über die Bioethik vor und schwärmte von der selbstironischen Show der Computerfreaks: "Der Konsens liegt im Prozess, nicht in der Struktur, und die Botschaften des globalen Südens sind so vielgestaltig wie die E-Mails, die von den Computer-Terminals der katholischen Universität aus um die Welt gingen." Auf alle Fälle vielgestaltig waren die Berichte von einer Diskussion mit Richard Stallman, der zu einem wirren Interview mit Miguel de Icaza ein zunächst wirres, dann besonnenes Statement abgab, was wiederum Icaza nicht ganz verstehen wollte. Willkommen beim Wettbewerb des Ministeriums für alberne Pinguine! Und es wird noch besser: Die nächste Runde tragen die beiden live auf der FOSDEM aus, zu der die europäischen Entwickler freier und quelloffener Software nach Brüssel ziehen. Vielgestaltig werden die Mails den Campus von Solbosch verlassen. Wer weiß, nachdem der Bundestux gezaust worden ist, mag er als Europatux wiederkommen, überlebensgroß.

Achja: Mein Lob der Leertaste im Kolophon überzeugte nicht alle Leser. Eine energisch protestierende Heit mehr oder minder netter Menschen votierte anders. Aber bitte flätig schimpfen: "Intelligenz-Allergiker" ist laut PR-Mitteilung von Mimesweeper ab sofort das einzig zugelassene offizielle deutsche Internet-Schimpfwort, das Firewalls passieren darf. Ab sofort in diesem Forum. Und komme mir keiner mit Mental-Pygmäe! (Hal Faber) / (jk)