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Was war. Was wird.

Entspannung hat nicht nur Hal Faber verdient, zumal Standhaftigkeit und Wahrheit heutzutage nicht mehr viel zu gelten scheinen, auch nicht in der IT-Branche.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Schreiben lernt man weniger in der Schule als gegen die Schule", meinte Hans-Georg Gadamer, der am Abend des 13. März im Alter von 102 Jahren verstarb, und der Schule offensichtlich nicht viel zutraute -- was nicht verwundert: Denn geboren am 11. Februar 1900, das so genannte "kurze 20. Jahrhundert" hatte noch gar nicht angefangen, etablierte er eine Philosphie des Verstehens, die das vergangene Jahrhundert, in dem Gadamer lebte, allerdings so sehr vermissen ließ. Nicht viel anders als übrigens als das jetzige Jahrhundert: Auch wenn mit "Wahrheit und Methode" so mancher Frankfurter Schüler seine Probleme hat. Ist Tradition doch nicht alles -- so mögen sich die feschen Burschen, die am Samstag den jüdischen Friedhof in Charlottenburg in die Luft sprengen wollten, auch auf eine Tradition berufen. Vielleicht ist es die gleiche Tradition, die eines Jörg Haider würdig ist, der am heutigen Sonntag die CeBIT besuchen will: Wenn hierzulande Lederhose und Laptop um die Regierungsmacht ringen, wird auch ein Kärntner Traditionalist nicht abseits stehen wollen. Mit rheinischem Frohsinn und kölschem Naturell, dem man als normaler Westdeutscher schon jede Korruption zutraute, ist halt kein Staat zu machen; da hat's der Österreicher einfacher: tu, felix Austria ... Gadamer aber hat diese beiden Jahrhunderte als historische und traditionsbeladene Heimstatt nicht verdient; mancher mag sich wundern, wie er ohne Zeitabstand so lange durchhielt.

*** Mit "Wahrheit und Methode" gibt es aber noch mehr Probleme. "Wo wäre dies je vorgekommen, dass die Frucht der Arbeit denen zufiel, die da gearbeitet hatten?", dichtete Bertolt Brecht in der "Inbesitznahme der Großen Metro durch die Moskauer Arbeiterschaft". Statt der Moskauer Metro eine Woche hannoversche ÜSTRA, morgens wie abends, das bringt die bretterharte Realität zurück, die unserem Nationaldichter abging. Täglich verzweifelte Versuche, einem indischen Greencard-Inhaber die Aussprache von "Kröpke" beizubringen: Der Wahnsinn einer im großen Stil simulierten Computermesse namens CeBIT schädigt Leber- und andere Zellen. Mein persönlicher Inder kann inzwischen ÜSTRA, doch Kröpke schafft er einfach nicht. Das macht nichts, weil die Waschmaschine "Washy Talky", für die er im Auftrag von Electrolux eine Spracheingabe programmiert, ohnehin nur Indisch sprechen muss: "Ihr könnt ja lesen und schreiben, ihr braucht so etwas nicht." Vielleicht hat der Mann recht. Aber ich würde so gerne meiner Waschmaschine mit "Kröpke!" drohen, wenn wieder ein Socke fehlt. So aber zieht Washy Talky nach Indien ab, wo Waschmaschinen mit Sprachsteuerung und GSM-Modul für Servicerufe ganz sicher denen zufallen, die an ihnen gearbeitet haben. Damit sich das Ding in Indien verkauft, will Electrolux den feschen Namen durch den englisch klingenden "Kelvinator" ersetzen.

*** Ja, einen Kelvinator wünsche ich mir für diese CeBIT, der die Messe im Schnellwaschgang kleinwäscht auf das Maß, das sie inzwischen hat. Nicht, dass es nicht genug wirklich bedeutsame Sachen in dieser Woche in Hannover geben würde. Nehmen wir das lustige Activity Center, das Fujitsu-Siemens der Presse vorstellte. Wobei die Firma den Mut besaß, das besonders schnelle "Fast Forward" der Festplatte anhand einer Beischlafszene zu demonstrieren, die "Kinder nicht sehen sollen". Nehmen wir Marco Boerries, der seine neue Firma mit Powerpoint-Folien vorstellte und sich an ein Produkt namens StarOffice nicht mehr erinnern konnte -- sei mir gegrüßt, Marco. Nehmen wir die Einführung des Dualen Betriebssystems durch Microsofts Mira. Für einen Rechner mit Windows XP und seinen abnehmbaren Bildschirm mit Windows CE zwei Mal Geld zu verlangen, hat Microsoft zwar schon bei den Windows-Terminals geschafft, doch nun bekommt die Sache erst Hand und Fuß. In der Tastatur sitzt ein Controller, der sicher auch bald Windows braucht, weil die Spracheingabe bei Trashy Daty wie bei Washy Talky Standard wird. Innovationen, ach was sag ich da, Enabler der besten Sorte hatte die CeBIT zu bieten, besonders bei den Kleincomputern -- nicht nur seligen Angedenkens. Aber die CeBIT ist leider nur eine Simulation: Niemand brachte das besser zum Ausdruck als die Mannen von Intel, die mit ein paar Kitteln, Instrumenten und einem hübsche Programm die Übertaktung auf 4,107 GHz simulierten -- und dafür von den Journalisten Beifall bekamen. Geht es um ihren Spaß, ist diesen Overclockern nichts heilig. Vergleicht man die Simulation mit den normalen Leben, so ergeht es einem wie mit der Moskauer U-Bahn: Ganz perfekt ist die Sache nicht. Eigentlich waren Röhrenmonitore auf der Messe verboten, weil sie schon aus den Büros der gefährlichen Strahlen wegen verschwunden sind. Vereinzelt waren dennoch diese klobigen Dinger zu sehen. Jede Pressemeldung wurde ordentlich von einer CD begleitet, doch die Journalisten tauschten längst tot geglaubte Disketten.

*** Noch eine Simulation gefällig? Im Linux-Areal herrschte eitel Freude und gar geschäftiges Treiben. Die Anzeichen für das erste Virus Construction Kit unter Linux wollte niemand zur Kenntnis nehmen. Schließlich kann jeder in den Code gucken, bis die Blindheit naht. Oder nehmen wir die Tatsache, dass ein richtiges Linux-Gremium noch langsamer arbeitet als die Kommission zur Standardisierung des Pferdes. Sicher, über kurz oder lang ist jedes Linux-Loch ein Windows-Problem, was die endlose Debatte über das schönste System zu einer echten Virus-Plage werden lässt. Die CeBIT-Simulation geht noch bis Mittwoch, während das offizielle CeBIT-Magazin die Messe noch gar nicht gestartet hat.

*** Nicht wirklich im Ernst ist aber diese Woche die CeBIT zu beklagen; ist sie doch eine lässliche, für manche vermeidbare und für alle vorübergehende Plage. Sehr zu beklagen dagegen ist, dass wir in Zukunft nicht nur Hans-Georg Gadamer vermissen werden: Am 11. März starben Marion Gräfin Dönhoff mit 91 Jahren und Rudolf Hell mit 100 Jahren. Zu seinem Geburtstag wurde Hell an dieser Stelle noch im Dezember gewürdigt, während die Gräfin es allenfalls über Step 21 zur Netz-Prominenz brachte. Nie war der deutsche Journalismus mächtiger, als zu ihrer Hoch-Zeit die Ost-Verträge zur Debatte standen. Auch wird ihre Kritik am Vereinigungsgeschwafel in Erinnerung bleiben, als ganz Deutschland den Kapitalismus siegen sah. Standhaftigkeit dieser ostborussischen Art gegen die Waffennarren konnte man schon von ihr lernen und dies auch anderen wünschen.

*** Standhaftigkeit, ja, das ist nicht nur eine politische und journalistische Tugend in den Zeiten des grünen Bellizismus und der sozialdemokratischen Korruption, Zeiten also, in denen ein Max Strauß dank verschwundener Festplatten und blanker Kinderhintern keine Gefahr mehr für den christdemokratischen Kanzlerkandidaten aus Bayern darstellt. Standhaftigkeit, das dachte so mancher Fachjournalist, das ist eine Tugend der Kollegen von Zeit, Süddeutscher und FAZ: Aber der Hightech-Branche, die immer noch der Ansicht ist, der gewöhnliche Journalist ließe sich mittels Kugelschreiber bestechen, dieser seltsamen Industrie-Sparte muss man nur mit wenig Standhaftigkeit entgegen treten. Weit gefehlt: Etwas fetter geht immer, denkt sich die Branche, und bläst selbst kurzbuchstabige Handy-Nachrichten mit Videos und Sound auf. Ob i-mode oder MMS, wer Zweifel hegt, dies sei der Aufschwung, beweist nicht etwa Standhaftigkeit, sondern lässt schwarzmalerisch und ganz gegen unser aller Republik handelnd die Telecoms noch heftiger in Schuldensümpfen versinken, da sind sich selbst der Bayer und der Niedersachse einig. O tempora, o CeBIT -- von Moral und Standhaftigkeit mag man ja wirklich nicht mehr reden. Mores dagegen, das lehrt einem so manches; leider aber geschieht dies bei wenigen nur durch die Lektüre von "Wahrheit und Methode".

Was wird.

Nach der CeBIT ist vor der CeBIT. Die CeBIT Home ist bis nach Shanghai gewandert und nennt sich dort CeBIT CES Consumer Electronic Show. In den USA will die große CeBIT allen Ernstes gegen PC-Expo, Comdex und die vielen Spezialveranstaltungen antreten, in Deutschland warten so wichtige Leitmessen wie die itx-messe und die Internet World auf ihren Teil am Kuchen. Steve Ballmer nimmt weiter ab, Gerhard Schröder nimmt zu und zu, bis aus dem Kröpke der Gerhard-Schröder-Platz wird. Schröder können sie auch in Indien aussprechen, schon wegen der Greencard. Irgendwann werde ich sogar das Straßenbahnfahren vermissen. Immerhin lang genug für die deutsche Übersetzung des längsten Satz des Voice Response System von Washy Talky: "Füllen Sie Waschmittel ein, schließen Sie die Einfüllöffnung und entspannen Sie sich." Wahrheit hin, Methode her: Entspannung, das ist es, was ich allen wünsche. (Hal Faber) / (jk)