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Was war. Was wird.

Ach was. Krone der Schöpfung. Pfff. Trotzdem aber, ist sich Hal Faber sicher, kann ein Testament auch in einer Liebeserklärung an Jasmine bestehen. Ganz relaxt. Ganz entspannt. Ganz anders als diese gegenwärtig doch recht hysterischen Webdebatten.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich lebe in glücklichen Zeiten. Ich durfte erleben, wie unser Bild der Erde sich mit dem Bild von Apollo 8 veränderte. Nun erlebe ich, wie unser Bild vom Menschen eine Veränderung erfährt. Willkommen, liebe Neandertaler! Auch wenn es nur ein bis vier Prozent sind, die wir geerbt haben, so wird unzweifelhaft ein Weltbild revolutioniert. Wir kommen alle aus dem Neandertal mag etwas übertrieben klingen, macht aber Schluss mit der überlegenen, unbefleckten Entwicklung des Homo Sapiens Sapiens Sapiens. Die Frage, ob Neandertaler unter unseren Vorfahren sind, kann einfach mit Ja beantwortet werden. Der Dank an die Menschen, die gezeigt haben, dass die Neandertaler zu uns gehören, dass das biologische Konzept der Auswahl und Variation viel größer ist als angenommen, ist auch ein Dank an die Technik, die diese Leistung möglich machte. Aus den Knochen von Vi33.16, Vi33.25 und Vi33,26 reines, nicht kontaminiertes Material von der Größe einer Aspirin-Tablette zu destillieren und daraus 5,3 Millionen Basenpaare zu sequenzieren, ist ein Rekord, der noch vor fünf Jahren für absolut unmöglich gehalten wurde. Was im Einzelnen noch in der weiteren Forschung gefunden werden mag, der Unfug mit der Krone der Schöpfung ist geknackt. Vielleicht dreht sich das Bild und der Neandertaler starb aus, weil er friedlicher war als seine Mitmenschen. Irgendwo um einen großen schwarzen Monolithen herum vibriert es jetzt. Es ist die Resonanz auf ein lautes, nicht enden wollendes Gelächter im Universum. Gelacht wird über den kleinhirnigen Menschen, der das, was sich irgendwann vor 100.000 bis 50.000 Jahren abspielte, verdruckst als Seitensprung bezeichnet.

*** Ja, wir kommen alle aus dem Neandertal, aber nur die richtigen Neandertaler, die haben die Wahl. In Nordrhein-Westfalen wird abgestimmt, ob die Politik von Rent-a-Rüttgers fortgesetzt werden soll oder eine kraftlose Alternative weiter macht wie bisher. Klingt ungerecht? Wer diese Geschichte vom digitalen Nordrhein-Westfalen verfolgt, angefangen bei Wolfgang Clement, noch nicht beendet bei Jürgen Rüttgers, wird schnell feststellen, dass ein ordentlicher Sumpf nicht trocken gelegt wird, wenn Regierungen wechseln. Das Ganze im Namen der zauberischen Public Private Partnership, von der die Presse natürlich keine Ahnung hat. Armer Rüttgers: Von Tigern angegriffen, muss er sich als Papiertiger dem Kampf stellen und kann doch nur "auf vielen kleinen Trostpflastern" landen. Schiefe Bilder? Da haben es die Piraten besser. Bei ihnen kommt kein Viehzeugs vor, für die gilt nur, die Drei Prozent zu erreichen, die man "Achtungserfolg" nennt. Dafür streiten sich die Kernis mit den Andis, wie anderswo die Fundis mit den Realos. Wo bleibt eine knackige Internetsperre, wenn man sie einmal dringend braucht. Mit dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag allein ist schlecht Wahlkampf zu machen, dazu ist das Wort zu lang, die Konzepte zu wabbelig.

*** So bleibt am Ende das Thema Griechenland über, das alle Talerbesitzer ganz ungemein aufregt. Faule griechische Anleihen in Höhe von 2 Milliarden Euro haben WestLB und die NRW-Bank gesammelt, allerdings nicht nur unter politischer Aufsicht von Rüttgers und Co., sondern auch unter den rot-grünen Vorgängern. Insgesamt ist das Thema Bundespolitik und Anliegen der Notstandsexpertin Angela Merkel: "Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft Europas und damit um die Zukunft Deutschlands in Europa. Das erlegt uns allen, die wir im Deutschen Bundestag unser Volk vertreten, sei es in der Regierung, sei es in der Opposition, eine außerordentlich große Verantwortung auf. Selten gibt es solche Situationen. Selten gibt es Situationen, in denen, erstens, ohne historisches Vorbild, zweitens, mit unmittelbarer Wirkung für den Augenblick und, drittens, mit weitreichender Wirkung für die Zukunft unseres Landes und Europas entschieden werden muss. Heute ist ein solcher Tag. Niemand kann uns, den gewählten Vertreterinnen und Vertretern unseres Volkes, diese Verantwortung abnehmen." Wie schön, dass wenigstens die SPD Nein gesagt hat und auf einer Finanztransaktionssteuer besteht, die Bundeskanzler Ackermann bei Millionen zukünftiger Bonus-Zahlungen die Laune verdirbt. Ansonsten verweise ich auf diese wunderschöne Grafik. Es kommen noch viele Tänzchen.

*** Wo bleibt das Positive? Diese Woche sind erste Details zum WWWW-Gesetz bekannt geworden, dass die Handwerker-Innungen unter kräftiger Mitarbeit der Gewerkschaft Bau, Steine, Erden unserer Regierung als Fortsetzung der Mövenpickhilfen empfiehlt. Gedacht ist an eine einfache Geräteabgabe auf all die Dinge, die Wie-wo-was-weiß-Obi und Co. verkaufen. Die Einnahmen kommen den Handwerkerbetrieben zugute, deren Erlössituation unter den vielen fiesen Selbstmachern leidet: "Werden Geräte, die allein oder in Verbindung mit anderen Geräten zur Vornahme von Handwerkerarbeiten geeignet sind, zum Zwecke der gewerblichen Nutzung betrieben, wird vermutet, dass diese zur Herstellung von handwerklichen Leistungen benutzt werden", für die es einen besonderen, 50 jahre lang gültigen Schutz gibt. Deshalb wird auf all die Geräte eine Abgabe fällig, die von einer Verwertungsgesellschaft einbehalten wird, ähnlich der Kopiererabgabe für Drucker und Fotokopierer. Das neue WWWW-Gesetz ähnelt verblüffend dem Leistungsschutzrecht, das sich der Verlegerverband mit kräftiger Mithilfe der beiden Gewerkschaften von Qualitätsjournalisten ausgedacht hat. Wie bekloppt und kurios die ganze Sache ist, sieht man an den ersten juristischen Kommentaren. Sollte das Recht in der vorliegenden Form verwirklicht werden, kommt eine weitere Geräteabgabe – von der Google befreit ist. Dazu bekommen Journalisten das wunderbare Privileg, für die eigenen, von ihnen angelegten Archive (und digitalen Kopien dieser Archive) nichts zahlen zu müssen.

*** Ich vermisse allerdings eine Regel, dass Blogger ausgepeitscht werden dürfen, sollten sie eigene Archive anlegen. Irgendwo muss der Qualitätsjournalismus ja anfangen. Sollte sich das mit dem Unterschied von Bloggern und Journalisten nicht durchsetzen lassen, müssen Blogger auch an dem Leistungsschutzrecht teilhaben und in die VG Wort eintreten. Da dürfen sie dann zusammen mit den Journalisten über die sadistischen Web-Interfaces heulen, die eine besondere Spezialität dieser Verwertungsgesellschaft sind. Und alle zusammen heulen dann, wenn wie in Kanada geschehen der Quellenschutz fällt: Wer nur Leistungsschutz, Verwertung, Prozente und Marktmächte im Sinne hat, für den hat die Rolle der öffentlichen Meinung in einer Demokratie ohnehin ausgedient. Man könnte die Abschaffung des Quellenschutzes Collateral Murder nennen und sich für die Dokumentenbefreiungsfraktion von Wikileaks freuen.

*** Aber ach. Das Elend muss doch irgendwann ein Ende haben. Erfreuen wir uns derweil lieber an etwas, was das Erfreuen wirklich zur Freude macht. Wir sind nicht erst eine Woche mit Keith Jarrett unterwegs, er begleitet uns mindestens seit der Mitte der 70er Jahre, als das Köln Concert wie eine Offenbarung in unsere Gehörgänge drang, denen wir dann doch in diesen und den Jahren danach ganz andere  Klänge zuführten. "Zu viel. Zu lang" meinte Jarrett über die Aufnahmen vor seinem Zusammenbruch Ende der 90er Jahre in einem Gespräch mit Alex Rühle, das in einen kongenialen Geburtstagsartikel in der Süddeutschen Zeitung mündete (nur als ePaper online). Dem muss man nicht zustimmen, keineswegs. Das Köln Concert fasziniert noch immer, in seiner, nun, sagen wir "Richtigkeit", in der Jarrett hier improvisierend komponiert. Seine neueren Konzerte aber, vor allem das "Testament", sind tatsächlich konzentrierter, weniger ausschweifend. Schon gar das Trio mit Gary Peacock und Jack DeJohnette: Drei gewitzte Musiker, die ganz entspannt swingen, ja, genau, das kann Jarrett auch. Lehnen wir uns entspannt zurück: Keith Jarrett hat zu seinem 65. Geburtstag auch ganz relaxte, konzentrierte und gar nicht ausschweifende Songs zu bieten – dafür sei auch Charlie Haden Dank.

Was wird.

Gespannt warten wir auf den ersten Film über einen Wissenschaftler, der sich über den Knochenstaub hermacht, die komplette DNA und die Versicherungsnummer eines Neandertalers rekonstruiert, mit diesen Daten einen Bioschleim füttert und PLOPP sind unsere Kumpels von damals wieder unter uns. Vielleicht sprechen sie ja diese Nav'i-Sprache, die Paul Frommer aus seinen Genen gefischt hat. Ein bisschen kleiner werden sie sein, nur 1,55 Meter, was unter anderem dazu führen wird, dass Google seine kompletten Streetview-Aufnahmen wie damals in Japan in die Tonne treten kann und 40 cm tiefer wiederholen muss. Das wird ein Spass, die Kommentare von Menschen zu lesen, die sich heute schon über Jägerzäune aufregen, weil diese ihrem Kontrollverlust im Wege stehen. Ganz zu schweigen von den liliputanesischen Wutwichteln, die zurückfotografieren wollen, was Google an "Resthäusern" verdeckt, das alles im Namen der Freiheit, die Eier auf der spitzen Seite aufzuschlagen. Oh, ha! Die Blefuscaner rücken heran. Und wie erklären wir diesen versammelten Schwachsinn einem frei schweifenden Neandertaler?

Vielleicht hilft da die gemeinsame Lektüre von den zentralen Werken unserer heutigen Kultur. Für die verquere Streetview-Debatte empfiehlt sich als Plichtlektüre eigentlich alles, was der großartige Hugh Kenner über Fälscher und Lügner, über James Joyce und Alan Turing geschrieben hat, aber der Einstieg ist schwierig. Heutzutage muss es ja Twitter sein, damit überhaupt ein Buch gelesen wird. Mit subtilen Maßnahmen und der kräftigen Unterstützung von Skript Kiddies hat sich Neil Gaimans American Gods an die Spitze gesetzt und führt eine durchaus bemerkenswerte Bücherliste an, die zu 140 Zeichen am Tag gelesen werden sollte: Fahrenheit 451, 1984, Brave New World, Slaughterhouse Five. Ray Bradbury, George Orwell, Aldous Huxley und mein Favorit, der großartige Kurt Vonnegut zeigen, dass noch Hoffnung besteht und sich der Homo Sapiens weiter entwickelt und etwa aus Tiefenbohrungen lernt.

Und wenn er auf der Stelle tritt, der Sapiens Sapiens? Dann hilft nur noch feiern. Ein etwas näherer Verwandter als der Neandertaler ist der Niederländer, der uns schon deswegen überlegen ist, weil er dank seinem Fernsehen wesentlich besser beim Multitasking ist. Aber was gibt es zu feiern, noch vor der Fussball-Weltmeisterschaft, die diesmal den Kaaseköppen gegönnt sei, bei einem absolut grauslichen Bayern-Block?

Wenn Bayern wieder Meister wird,
dann hör ich auf zu dichten
und werde kühl und ungeniert
die ganze Welt vernichten.

Kurzum: Wenn Bayern Meister wird,
dann kommt auch meine Stunde.
Dann wird der Globus ausradiert,
und ihr geht vor die Hunde.

Drum macht, dass es ein andrer wird.
Sonst lass ich's Schreiben bleiben
und werde kühl, doch passioniert
euch allesamt entleiben.
(Thomas Gsella)

Wir feiern! Und feiern! Natürlich das großartige Kannitverstan des Rheinländischen Hausfreunds Johann Peter Hebel, der vor 250 Jahren geboren wurde. Und wir trösten uns auch damit, dass wir immerhin den sogenannten Klassenerhalt des SC Freiburg und von Hannover 96 feiern können. Ach. Ist man in dieser hysterischen Zeit schon mit Brosamen zufrieden. Nein, keineswegs. Mit Brosamen geben wir uns nicht mehr zufrieden. Zurück zu Jarrett und Haden. Ja. (jk)