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Was war. Was wird. Menschen, Tiere, Sensationen

Man muss nicht von Reptiloiden schwafeln, um antisemitische Klischees zu bedienen. Hal Faber wundert sich, wie salonfähig Verschwörungstheorien sind.

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Ach, isses nicht niedlich, das kleine Reptil?

(Bild: Graphics Illuminate / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Heute ist ein hoher geistlicher Feiertag, der Weltschildkrötentag, an dem wir alle Schildkröten in ihrer ganzen Krötigkeit und Reptilienhaftigkeit ehren, auch wenn hier ein paraphyletisches Taxon vorliegt. Natürlich kann man an einem solchen Tag diskutieren, ob die Reptiloiden dazu gehören, diese seltsamen Wesen, die uns angeblich regieren und kontrollieren. Oder muss man korrekt gegendert von Reptiloiden und Reptiloidinnen sprechen? Ich bin mir da nicht sicher.

Ebenfalls ungesichert ist, ob Innenstaatssekretär Günter Krings einer dieser Reptiloiden ist. Dafür ist er ganz sicher kein Philosoph oder Soziologe, sondern ein Jurist. Dennoch hat er dieser Tage eine kleine Anfrage der Linksfraktion zum Verfassungsschutzbericht mit einer bemerkenswerten Einschätzung beantwortet: "Revolutionäre marxistische Grundüberzeugungen basieren auf verschiedenen Aspekten, die sich gegen Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richten. Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum 'bloßen Objekt' degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der Einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln." Wer von einer Klasse der arbeitenden Menschen spricht, wer Reiche Reiche nennt und nicht etwa "Wohlhabende" (siehe letztes WWWW), hat schon den Boden der FDGO verlassen und muss vom Verfassungsschutz überwacht werden, so der krude Gang der Gedanken im Kopf des Innenstaatssekretärs. Da wähnt man sich glatt im falschen Comic. Die Antwort eines linken Politikwissenschaftlers: "Nicht die Demokratie soll jedoch durch eine andere Gesellschaftsordnung ersetzt werden, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem. Hier urteilt ein Jurist über den Marxismus, der ihn offenbar nicht versteht oder bösartig verdreht. Jemand wie er ist daher fehl am Platze." Natürlich geht jemand wie Krings nicht von seinem Platz. Schließlich hat er ordentlich promoviert, mit einer Arbeit über "Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche", die mehr als eine Fußnote enthält.

*** Gendern muss frau können. Wird es nicht gemacht, so war das schon 2009 eine Fußnote wert: "In dieser Arbeit werden mit der Verwendung des Begriffs 'Bürger' sowohl Bürgerinnen als auch Bürger gleichermaßen erfasst. Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird auf das Ausschreiben der weiblichen Form verzichtet." Die normativ-ontologische Untersuchung von Europas weg zum Bürger in Neukölln ist jedenfalls in Wahrheit keine Doktorarbeit, sondern eine Konzeptstudie. Der Skandal ist dabei nicht, dass die ehemalige Familienministerin Franziska Giffey meint, sie sei mehr als ein Doktortitel, sondern dass ihre Partei es nicht schafft, inmitten der Corona-Pandemie das Familienministerium zu besetzen. All das Gerede um die Sorgen und Nöte der Familien in dieser Zeit ist genau das, Gerede. So kommt zum Starke-Familien-Gesetz das Istunsegal-Ministerium für Familien, Senioren, Frauen und dieses ganze Jugendgedöns. Passend dazu will die frisch Entdoktorte ein Bundesland mit mehreren Exzellenz-Universitäten führen.

*** Seine Promotion verrät seine Leidenschaft: "Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht". Nun ist der Steve Bannon von Thüringen mit einer Schrift angeeckt, die sich mit dem Aufstieg und Fall des Postnationalismus beschäftigt und die zunächst nur auf Englisch verfügbar war. In ihr wird den produktiven bürgerlichen Eliten eine duckmäuserige defensiv-passive Haltung unterstellt. "Die Pseudolinken, die sich gar nicht für die Mühseligen und Beladenen einsetzen, haben als Richter, Hochschullehrer, Politiker, Journalisten und Manager von Großunternehmen zentrale Positionen übernommen." Der große Schuldige, den Hans-Georg Maaßen und sein Mitautor Johannes Eisleben von der Achse des Guten ausmachen, ist Michel Foucault und seine Ideologie. "Diese Ideologie bildet eine Projektionsfläche für die politischen Erlösungshoffnungen linker Denker, während Wirtschaftsglobalisten sie als Rechtfertigung ansehen, globales Eigentum und globale Profite zunehmend auf einige tausend Familien zu konzentrieren, die sich daranmachen, bald alles zu besitzen." Vielleicht sind das keine direkten antisemitischen Inhalte, die so verbreitet werden, doch Formulierungen wie die von den Wirtschaftsglobalisten und der Umschreibung "einige tausend Familien" sind nah dran am rechten Geraune mit seinen allzu oft nur schlecht verhohlenen antisemitische Anspielungen. Nur im unteren Drittel der Gesellschaft zeige sich Widerstand, von autochthonen Langzeitarbeitslosen und Migrantenclans, bestehend aus Tschetschenen in Frankreich oder Libanesen in Deutschland, die über beste organisatorische und kämpferische Erfahrungen verfügen. "Die weitreichenden Kämpfe zwischen diesen Gruppen könnten das öffentliche Gewaltmonopol in einem im Westen seit 1945 nicht dagewesenen Ausmaß in Frage stellen. Verklausuliert spricht Hans-Georg Maaßen von einem kommenden Bürgerkrieg, der da droht, mit Clans, die den "großen Austausch" vorbereiten könnten. Auch dieses Bild kommt bei Verschwörungstheoretikern bestens an. Kanzlerkandidat Armin Laschet beteuert derweil, er habe Maaßen "bisher nicht als Antisemiten wahrgenommen".

*** Schweden ist derzeit das Land mit der höchsten Zahl an Corona-Neuinfektionen. Das hindert Journalisten nicht, von dem Land in höchsten Tönen zu schwärmen, weil es angeblich viel weiter ist und natürlich nicht diesen bösartigen Datenschutz an der Backe hat. So heißt es mal wieder zum digitalen Impfpass: "Der Pass startet damit theoretisch zwar pünktlich, weil die Technik Ende Juni zur Verfügung steht – aber eben nicht jedem, der sie auch nutzen möchte. Schon weiter sind in Europa jene Länder, die die Impf- und Testkampagne von vornherein digital geplant und kein datenschutzrechtliches Problem damit haben, alle Daten zentral zu speichern, wie beispielsweise Schweden." Dabei gilt die Behauptung "theoretisch pünktlich" für alle Projekte, sei es dem des deutschen digitalen Impfnachweises oder dem des europäischen grünen Zertifikates. Fertig ist allein eine einfache Umsetzung wie der BärCODE, der in andere Dienste integriert werden kann, ohne Verletzung des Datenschutzes, der angeblich behindert.

Seid wachsam, richtet über andere und fühlt euch gut dabei. Dann seid ihr richtig woke und könnt den Großmeister der Wokisten feiern, dessen 80. Geburtstag in der Süddeutschen Zeitung hymnisch besungen wird. "Der 22-jährige Dylan war bereits woke, als die Großeltern der heutigen Wokisten noch an das Evangelium vom Wohlstand für alle bei maximalem Hubraum glaubten." Ja, Bob Dylan hat alles erreicht, was er wollte, sogar den Nobelpreis für Musik. Nur Präsident ist er nicht geworden, mit dem Wunsch, die amerikanische Nationalhymne abzuschaffen und durch seinen Song Desolation Row zu ersetzen. Was man durchaus positiv sehen kann, obwohl der vielschichtige Song sicher eines der besten Stücke von Dylan ist. 1997 spielte Bob Dylan in seiner christlichen Phase vor dem Papst auf dem Eucharistischen Kongress und sang "Knockin’ on Heaven’s Door", sehr zum Verdruss von Joseph Ratzinger, der den Auftritt des "Nihilisten" zu verhindern versuchte. OK, Dylan ist nicht jedermanns Geschmack. Dann hört doch einfach Je Me Casse und haut ab.

Am Dienstag vor 75 Jahren wurde aus dem unter britischer Verwaltung stehenden Transjordanien der eigenständige Staat Jordanien mit König Abdallah I als Staatsoberhaupt. Er ist der einzige arabische Staatsführer gewesen, der den Teilungsplan der UNO mit Palästina und Israel als zwei eigenständige Staaten akzeptierte. Daran kann man sich erinnern, während in Israel und Gaza-Stadt beide Regierungen nach den Beschüssen und Bombardierungen der letzten beiden Wochen ihren "Sieg" feiern. Vielleicht kann sie nun gehört werden, die Stimme der Vernunft. Daneben hat sich Joe Biden noch zu Worte gemeldet.

(jk)