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Was war. Was wird. Von Dekreten und technischen Diktaten.

Gefährlicher Schwachsinn wird allerorten leider ernst genommen, moniert Hal Faber. Ob Bots, eine KI oder ein US-Präsident – vor Warnwürdigem muss man warnen.

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Was war. Was wird. Von Dekreten und technischen Diktaten.

Wenn alles schlecht geht, nimmt die allgemeine Überwachung "nach Corona" dank "neuer" Technologien ein ungeahntes Ausmaß an – viele Firmen sitzen gerade in den Startlöchern mit entsprechenden Produkten.

(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** So sehen also Niederlagen aus. Nach all den Worten über den gefährlichen Schwachsinn der Bot-Forschung im "Spektrum der Wissenschaft" ist auch bei heise online ein Beitrag erschienen, der diese Bot-Forschung tatsächlich ernst nimmt. Das ist wohl der umgekehrte Drosten-Effekt mit der Rede, dass man die Ergebnisse dieser Art von Forschung akzeptieren soll. So wird das Hantieren der Bot-Forscher mit ihren dubiosen Zahlen und Botometern als Wissenschaft gewertet und mit Aussagen ohne jeden Beleg garniert. Da gibt es dann viele Unternehmen, die Kampagnen zur Beeinflussung von Social Media anbieten – ja, solche Unternehmen gibt es –, aber kein einziges wird konkret genannt. Werden einmal Namen genannt, als Beispiele, wie Social Bots arbeiten, stellt sich bei der Überprüfung schnell heraus, dass Menschen hinter kuriosen Namens-Nummern stecken und keine Bots. So bleibt ein diffuses Raunen übrig bei dem Gerede über bridging, backing und nuking. Die Konsequenz des grassierenden Schwachsinns schimmert ganz am Ende durch, wenn eine "übergreifende Kontrolle" gefordert wird. Was unterscheidet diese angemahnte übergreifende Gedankenkontrolle von Forschern, Unternehmen und Regierungen eigentlich von dem Dekret, mit dem Trump Twitter domestizieren will? Es passt in eine pandämonische Zeit, in der ein Nachrichtenmagazin vom "Glaubenskrieg" um den Virologen phraselt. So untergräbt man das Fundament einer informierten und entscheidungsfähigen Gesellschaft.

Hebt ab: Trump wollte zum Start der SpaceX-Raumkapsel mit zwei US-Astronauten in den USA eine große Rede halten. Zunächst blieb die Rakete jedoch am Boden.

*** "When the looting starts, the shooting starts": Es lohnt sich, die Executive Order on Preventing Online Censorship in der farbcodierten Version zu lesen, die die Juristin Daphne Keller vom Stanford Cyber Policy Center veröffentlicht hat. Denn dann wird deutlich, wie viele allgemeine Aussagen zur Meinungs- und Redefreiheit das verwischen wollen, was Präsident Trump überhaupt mit solch einem Dekret am Kongress vorbei durchsetzen kann. Freilich sind auch die von Keller als atmosphärisches Beiwerk gerötelten Passagen nicht ohne, können sie doch dazu genutzt werden, eine Form der Redefreiheit unter staatlicher Kontrolle aufzuziehen, bei der die USA mit China gleichziehen. Vergleicht man das Dekret mit der vorab veröffentlichten Fassung, so ist es um zwei Sätze erweitert worden, in denen deutlich Trumps Ärger zum Ausdruck kommt: "Twitter now selectively decides to place a warning label on certain tweets in a manner that clearly reflects political bias." Das war noch vor dem schlimmen Shooting-Tweet, den Twitter hinter einer Warnung versteckt.

*** Auch der zweite neue Satz hat eigentlich nichts in einem präsidialen Dekret zu suchen und wurde wohl zur Beruhigung der präsidialen Stimmung eingefügt: "As recently as last week, Representative Adam Schiff was continuing to mislead his followers by peddling the long-disproved Russian Collusion Hoax, and Twitter did not flag those tweets." Unter all den warnwürdigen Tweets des US-Präsidenten dieser Tage ist "CHINA!" vielleicht die wichtigste Andeutung, was in seinem Bestreben, die Wahl zu gewinnen, so etwas wie eine Strategie sein könnte. Mit China als Gegner lassen sich die Fehler verdrängen, die beim Kampf gegen das "chinesischen Virus" gemacht wurden. Mit Huawei und Alibaba als Feindbilder oder mit der Sonderzone Hongkong kann Trump jedenfalls mehr anfangen als mit trauernden Tweets zum Tode von George Floyd.

*** Wenn diese kleine Wochenschau im Web erscheint, könnte SpaceX gestartet sein. Spätester Termin ist dann an diesem Sonntag. Am Mittwoch hatte es nicht geklappt, da war einfach zu viel Elektrizität in der Luft. Das soll Trump verärgert haben, denn er wollte nach dem Start eine Rede auf die Größe Amerikas halten und ganz im Stil von Präsident Kennedy ein großes Ziel bekannt geben, mindestens größer als das Baby-Trump-Blimp. Immerhin lieferte der Nicht-Start von SpaceX ganz anregende Gedanken zum Verhältnis von Technologie und Gesellschaft. Auch wenn der Text mit einem Lob des unkonventionellen Antriebs und Auftrittes von Elon Musk endet, der die Bürokratie der NASA zerbrechen konnte, stellt er wichtige Fragen. Sind es wirklich diese gern zitierten Disruptionen, die in der Gesellschaft passieren, wenn sich eine Technologie durchsetzt? Ist es nicht eher andersherum, dass eine Gesellschaft bereit sein muss, eine Technologie wie das Lufttaxi einzuführen oder sich auf die Idee von autonomen Fahrzeugen einzulassen? Jedes technische Gerät kommt mit einer Bedienungsanleitung und mit einem gesellschaftlichen Kontext, behauptet der Autor. Das mit der Bedienungsanleitung vergessen wir mal schnell, genau wie alle Studien und "Paper". Wenn alles gut geht, besitzen wir ein PDF.

Wenn alles schlecht geht, nimmt die allgemeine Überwachung "nach Corona" dank "neuer" Technologien ein ungeahntes Ausmaß an. Viele Firmen sitzen gerade in den Startlöchern, entsprechend umgelabelte Produkte zu verkaufen, etwa Kameras, die feststellen, ob jemand seinen Mundschutz korrekt trägt. Dann gibt es Systeme für das perfekte Smart Distancing, buchbar in handlichen Monatsraten. Nett gestaltet sind Armbänder, die die Mitarbeiter tragen müssen, in Ermangelung von Chips, die man Neugeborenen in die Fontanelle pflanzen könnte. Auch der Hinweis auf Lösungen, die in China erfolgreich im Einsatz sind, gehört dazu. Aus Israel kommt eine schicke Lösung zur Überwachung der Quarantäne, sollte sie wieder einmal fällig sein. Das Ganze ist ein Abfallprodukt der Überwachung von Gefangenen in Hightech-Gefängnissen. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch, das erkannt schon der verzweifelte Hölderlin in seiner Patmos-Hymne. Aus Norwegen kommt eine Untersuchung, wie Hacker auf neue Überwachungstechnologien reagieren. Hacker und ihre Antagonisten, die Überwacher, handeln gewissermaßen im ständigen technischen Dialog aus, welche Formen der Überwachung in einer Gesellschaft akzeptabel sind und welche nicht.

Eine Microsoft-Anzeige (Print) bewirbt 1999 das Produkt Office 2000. Den "Bedürfnissen" von "Millionen Office-Anwendern" entnahm der Hersteller demnach auch den frühen KI-Unfall 'Karl Klammer'. Das Flugtaxi kommt wohl noch.

Es gibt zahllose Artikel von Journalisten, in denen darüber berichtet wird, wie die künstliche Intelligenz Arbeitsplätze vernichtet. Es gibt auch Artikel, in denen beschrieben wird, dass die künstliche Intelligenz auch den Journalismus selbst verändern wird. Meistens waren sie mit einem hämischen Ton geschrieben oder brachten "humorige" Beispiele, wie schlecht die Rechner beim Verfassen von Texten sind. Edle Federn sind halt davon überzeugt, dass das von ihnen so gut beherrschte Pfausein nicht kopierbar ist. Weit gefehlt, das schaffte man schon im 18. Jahrhundert. Nun ist der nächste Schritt auf der großen Fortschrittsleiter fällig. In wenigen Tagen wird Microsoft ohne Journalisten die Hege und Pflege, also die Auswahl von Meldungen und das Schreiben von klickerigen Überschriften bei seiner Einstiegsseite MSN gestalten. Den Job soll eine künstliche Intelligenz übernehmen. Wo heute noch ein findiger Kopf die MSN-gerechte Überschrift "Merkel gibt Trump einen Korb" für diese Meldung fabrizierte, wird bald ein Algorithmus seine Aufgabe übernehmen. "Merkel gibt Trump ein Küsschen", das wird es ja nicht sein können, hihi. Noch so ein Witz zur KI.

(tiw)