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Anga Com Mediengipfel: "Netflix ist ein Kartenhaus"

Torsten Kleinz
Streamingdienste

(Bild: dpa, Jens Kalaene)

Der Video-Streaming-Markt wird durch neue Entwicklungen aufgemischt. Deutsche Sender wollen mit eigenen Konzepten gegenhalten.

Mit Live-Übertragungen und lokalen Angeboten will die deutsche Medienbranche der Konkurrenz durch Streaming-Plattformen begegnen. Auf der Fachmesse Anga Com in Köln zeigten sich Vertreter verschiedener großer Medienhäuser optimistisch, dass sie ihre Stärke aus dem linearen Fernsehen auf neue Streaming-Angebote übertragen können.

Conrad Albert von ProSiebenSat.1 gab auf der Branchenmesse einen Einblick in die Fortschritte bei der zusammen mit Discovery entwickelten Medienplattform "Joyn", die noch im Juni starten soll [1]. 50 Sender seien an der neuen Plattform beteiligt, darunter auch öffentlich-rechtliche. Mit der ARD sei man in "sehr, sehr fortgeschrittenen Gesprächen", versicherte Albert. Das ZDF hat bereits zugesagt. Das sei ein umfangreiches Angebot, das dem Zuschauer auch lokale Inhalte biete, was Plattformen wie Netflix oder Amazon Prime nicht könnten.

Mit Angeboten wie Joyn wollen sich die europäischen Anbieter gegen die Konkurrenz aus den USA behaupten. Denn hier werden die Karten kräftig neu gemischt: Apple startet im Herbst eine eigene Video-Plattform mit Eigenproduktionen; selbst Sender wie CBS versuchen ihr Glück mit eigenen Angeboten. Dass auch Disney eigene Wege geht [2], beunruhigt die Branche, da der Konzern auch dank der Zukäufe der vergangenen Jahre Rechte an vielen attraktiven Inhalten hat – von Star Wars über die Marvel-Filme bis zu The Big Bang Theory.

In Köln gaben sich deutsche Branchenvertreter optimistisch, dass ihnen die Disney-Inhalte nicht zu schnell entzogen werden. So sei der Medienkonzern nicht nur auf die Einnahmen auf das Lizenzgeschäft, sondern auch auf die Publizität der eigenen Inhalte angewiesen. Zudem seien die internationalen Verträge mit den Sendern sehr langfristig.

Auch wenn viele Medienplattformen auf Abogebühren setzen, erscheint den meisten Anbietern Werbung als unverzichtbaren Bestandteil der Finanzierung. So bietet RTL auf der eigenen Plattform lediglich ein werbereduziertes Angebot, bei dem auf Unterbrecherwerbung verzichtet wird. Grund dafür ist das gute Geschäft mit der Werbung. "Erstmals sagen mir Werbekunden: Wenn ich etwas in den Köpfen der Kunden bewegen will, brauch ich lineares Fernsehen", sagte Matthias Dang, Vermarktungschef bei der Mediengruppe RTL.

Anga Com

(Bild: Anga Com)

Um diese neue Stärke der Fernsehwerbung ins neue Medium zu übertragen, haben ProSiebenSat.1 und Mediengruppe RTL Deutschland am Mittwoch ein neues Joint Venture angekündigt, das die Vermarktung von Werbung auf den Plattformen beider Sender künftig kombinieren soll. Zu dem Angebot gehört neben Online-Werbung auch "Adressable TV" – also die Ausspielung von individuell angepasster Werbung auf TV-Geräten.

Dass ein Angebot wie Netflix weiterhin ohne Werbung existieren kann, erschien den Medienmanagern auf der Anga Com ausgeschlossen. Netflix sei ein "Kartenhaus", meint Albert. Mit diesem Urteil stand er nicht alleine: Angesichts der Verschuldung, des beschränkten Wachstumspotenzials und der steigenden Kosten sei es fraglich, ob der Anbieter weiterhin unter den gegegebenen Umständen selbständig bleiben könne, erklärten die Diskussionsteilnehmer in Köln.

Albert geht davon aus, dass Haushalte sich nicht für eine einzelne Medienplattform entscheiden werden, sondern zwei bis drei Abos haben werden. Trotzdem sei damit zu rechnen, dass nicht jede der Plattformen überleben werde.

Auf die Herausforderungen stellen sich nun auch die Streaming-Plattformen ein. Christoph Schneider, Chef von Amazon Prime Video Germany, will seine Plattform breiter aufstellen. "Nicht jeder Kunde möchte jeden Abend High End Drama gucken", sagte Schneider. Stattdessen wollten Zuschauer auch andere relevante Inhalte wie zum Beispiel Dokumentationen sehen. So produziert Amazon derzeit eine Dokumentation über Borussia Dortmund.

Für die Produzenten bedeutet das, dass sei bedeutend mehr Inhalte liefern müssen als in den vergangenen Jahren. "Wir brauchen noch ein paar Jahre, bis wir unsere Kapazitäten angepasst haben", sagte Christian Franckenstein, Chef der Bavaria Film. Mittlerweile versuchten Plattformbetreiber sogar die traditionellen Produktionsfirmen zu umgehen und direkt mit den Talenten zu verhandeln.

Einig war sich das Panel in Köln in einem Punkt: Auf absehbare Zeit wird das klassische Broadcast-Fernsehen nicht zu ersetzen sein. So erläuterte Kathleen Finch von Discovery, warum der Anbieter mit "Home & Garden TV" einen neuen Sender gestartet habe. "Lineares Fernsehen ist immer noch der Gorilla im Markt", erklärte die Managerin. "Und daran wollen wir uns beteiligen. (vbr [3])


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https://www.heise.de/-4441723

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/Neue-Streaming-Plattform-von-ProSiebenSat-1-und-Discovery-startet-im-Juni-4417229.html
[2] https://www.heise.de/news/Disneys-Streaming-Plaene-Neue-Star-Wars-Serie-kostet-100-Millionen-US-Dollar-4133844.html
[3] mailto:vbr@heise.de