Aufschub für Sicherheitsmaßnahmen für Boeing 737 Max

Zwei Maßnahmen sollen katastrophale Fehlfunktionen vermeiden. Aber erst ~2027. Das selbe US-Gesetz leitet ein Tiktok-Verbot auf Dienstgeräten ein.

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Boeing-Gebäude

Eingang zur Boeing-Fabrik in Renton nahe Seattle

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

346 Todesopfer forderten zwei Abstürze von Flugzeugen der Baureihe Boeing 737 Max 8 im Oktober 2018 und März 2019. Zwei Sicherheitsmaßnahmen sollen weitere Katastrophen verhindern – allerdings erst in etwa vier Jahren. Das hat Boeing durch heftiges Lobbying bei US-Politikern erreicht.

Als Hauptursache für die fatalen Boeing-Abstürze gilt die fehlerhafte Steuerungssoftware MCAS (Maneuvering Characteristics Augmentation System). Boeing 737 Max 8 und 9 haben zwei Sensoren, die die Stellung der Tragflächen während des Fluges messen (sogenannte Angle of Attack Sensors). Droht ein Strömungsabriss, drückt MCAS die Nase des Flugzeugs nach unten, um mehr Luft unter die Flügel zu bekommen. Gleichzeitig vibriert der Steuerknüppel im Cockpit, um die Piloten zu alarmieren.

Der Boeing-Computer nutzte allerdings nur die Werte eines einzelnen Sensors, der im Falle der Abstürze falsche Angaben lieferte. Die Piloten wussten offenbar nicht, wie ihnen geschah, als das Flugzeug partout Richtung Boden fliegen wollte. Der vibrierende Steuerknüppel dürfte für zusätzliche Verwirrung gesorgt haben.

Die Lösung wäre grundsätzlich einfach: Erstens drei Sensoren auszuwerten, anstatt nur einen, und zweitens ein Schalter, um die Vibrierfunktion vorübergehend ausschalten zu können. Es sind aber nur zwei Sensoren verbaut.

Zunächst hatte Boeing erreicht, dass es vorerst die beiden vorhandenen Sensoren auswertet, und keine automatischen Eingriffe in die Flugbahn vornimmt, wenn die Sensoren unterschiedliche Werte liefern; neu typisierte Flugzeuge würden den Schalter für die Vibrierfunktion bekommen sowie ein System, das aus fünf anderen gemessenen Werten errechnet, ob die von den Angle of Attack Sensors gemeldeten Daten stimmen können. Damit erspart sich Boeing den Einbau eines dritten Sensors.

Dieses Jahr möchte das US-Unternehmen zwei neue Baureihen typisieren lassen: Boeing 737 Max 7 sowie Boeing 737 Max 10. Laut einem 2020 verabschiedeten US-Bundesgesetz müssten diese neuen Modelle die neuen Sicherheitsfunktionen aufweisen. Das kostet allerdings Geld. Boeing drohte damit, die neuen Modelle gar nicht auf den Markt zu bringen und die damit befassen Mitarbeiter abzubauen.

Das wirkte. Obwohl die Hinterbliebenen der Todesopfer sowie eine große US-Pilotenorganisation den Aufschub der Sicherheitsmaßnahmen ablehnen, gewährt das Parlament etwa vier Jahre Aufschub: Erst drei Jahre nach der Typisierung der Boeing 737 Max 10 muss Boeing seine Hausaufgaben nachreichen – dann auch für Max 7, 8, und 9, und auf eigene Rechnung. Die Boeing 737 Max 7 soll noch in diesem Quartal typisiert werden, die Boeing 737 Max 10 frühestens gegen Jahresende, vielleicht auch erst 2024. Danach hat Boeing drei Jahre Zeit für die Nachrüstungen. Sollte der Flugzeugbauer dazwischen noch eine weitere Type genehmigen lassen wollen, muss er das binnen einen Jahres tun, oder aber die einschlägigen Sicherheitsmaßnahmen gleich mitliefern.

Dieser Aufschub ist Teil eines 4.126 Seiten starken US-Mammutgesetzes, das einen Tag vor Heiligabend verabschiedet wurde. Dieser Consolidated Appropriations Act 2023 regelt Gott und die Welt und sichert insbesondere die Finanzierung des US-Bundeshaushalts bis Ende September. Im Unterhaus wurde das Gesetz formell mit 225 zu 201 Stimmen angenommen (H.R. 2617), wobei alle Demokraten bis auf zwei zugestimmt haben, und von 213 Republikanern nur neun Ja-Stimmen kamen.

Tags zuvor hatte das Oberhaus mit 68 zu 29 Stimmen zugestimmt. Zum Jahreswechsel haben die im November gewählten Abgeordneten ihre Plätze eingenommen, womit das Unterhaus nun von Republikanern dominiert ist. Im Senat konnten die Demokraten ihre knappe Mehrheit minimal ausbauen.

Das selbe Gesetz enthält auch die Grundlage für ein Verbot Tiktoks auf Dienstgeräten von US-Bundesbehörden. Ausnahmen sind für Strafverfolgung, die Nationale Sicherheit sowie IT-Sicherheitsforschung vorgesehen. Bestimmte Organe sollen die Details des Tiktok-Verbots bis spätestens Ende Februar ausarbeiten. Kur vor dem Gesetzesbeschluss musste der chinesische Betreiber des Videodienstes eingestehen, dass Tiktok Journalisten per App überwacht hat.

(ds)