Blackout-Risiko: Rechenzentren-Boom gefährdet Irlands Stromnetz

Irland ist der am schnellsten wachsende EU-Markt für Datacenter. Das Stromnetz ist darauf aber nicht ausgerichtet, die Klimaziele drohen verfehlt zu werden.

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(Bild: Timofeev Vladimir/Shutterstock.com)

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Die Nachfrage nach Rechenzentren wächst rund um den Globus mit der zunehmenden Attraktivität von Online-Diensten wie Streaming und Videokonferenzen besonders während der andauernden Corona-Pandemie. Irland, wo bereits US-Internetkonzerne wie Apple, Facebook, Google und Microsoft ihren europäischen Sitz haben, hat sich aufgrund eines stabilen, weder zu warmen noch zu kalten Klimas sowie Steuervergünstigungen auch zum am schnellsten wachsenden Markt für Datacenter in Europa entwickelt. Für das irische Stromnetz und die Erreichbarkeit der Klimaziele des Landes ist der Boom aber riskant.

Irland beherbergt aktuell rund 70 Rechenzentren. Bei voller Auslastung können die Server in einer einzigen solchen großen Anlage so viel Strom verbrauchen wie 80.000 Haushalte. Alle Datacenter auf der Insel benötigen aktuell rund 900 Megawatt (MW). Der Energieforscher Paul Deane, der für das irische Umweltforschungsinstitut Marei arbeitet, bezeichnete dies gegenüber dem Online-Magazin Gizmodo als "ernsthaftes Problem für das Energiesystem" des EU-Staats. Die Rechenzentren seien bereits für mindestens elf Prozent des gesamten irischen Strombedarfs verantwortlich.

Deane verweist auf bereits steigende Energiepreise, die derzeit vielen europäischen Ländern zu schaffen machen. Die Krise erschwere aber auch die Vorgabe, die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 klimaneutral zu werden. Die Situation dürfte sich bis dahin verschärfen: Der staatliche irische Netzbetreiber Eirgrid schätzt, dass bis 2029 fast 30 Prozent des jährlichen Strombedarfs Irlands auf das Konto von Rechenzentren gehen.

Datenzentren seien für das moderne Leben zwar unverzichtbar, weiß Deane. In einem kleinen Land könnten sie aber die Nachhaltigkeit der gesamten Energieversorgung bedrohen und in diesem Winter zu Stromausfällen und -engpässen für die irischen Verbraucher führen. Das Hauptproblem sei ein Größenmissverhältnis: "Rechenzentren sind große Stromverbraucher, und unser Stromnetz ist klein. Wenn wir also mehr von ihnen an ein kleines Netz anschließen, hat das einen übermäßigen Einfluss." Zum Vergleich: In Deutschland, dem vom Volumen her größten Markt für Rechenzentren in der EU, werden die Anlagen bis 2030 geschätzt weniger als fünf Prozent der Netzkapazität für die Stromversorgung beanspruchen.

In Irland seien bereits jetzt unverhältnismäßig viele Datacenter angesiedelt, "was enorme Auswirkungen auf das Klima hat", bestätigte Phoebe Duvall, Planungsbeauftragte bei An Taisce. Die irische Umweltschutzorganisation, die laut Gesetz an einschlägigen Bauvorhaben beteiligt werden muss, hat daher bereits Einwände gegen mehrere solche Initiativen vorgebracht. Viele Betreiber von Rechenzentren setzten zwar auf Grünstrom. Irland könne aber "nicht alle unsere erneuerbaren Energien in neue Entwicklungen stecken, anstatt unser bestehendes Energiesystem zu dekarbonisieren".

"Host In Ireland", ein nationaler Verband von Rechenzentren-Anbietern, stellt die Branche als Klimaschützer dar. Man gehe "Hand in Hand mit der Entwicklung von Ökostrom", um die "Anforderungen an die Stromverfügbarkeit zu erfüllen". Für Deane greift das aber zu kurz: Wenn Datacenter nicht in der Lage seien, erneuerbare Energie vor Ort zu speichern oder den Bedarf an Rechenleistung weltweit flexibel aufzuteilen, würden mehr Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen benötigt. Niemand werde Facebook & Co. einfach abschalten, "nur weil es dunkel ist oder draußen kein Wind weht".

An Taisce unterstützt daher den Ruf etwa der oppositionellen Sozialdemokraten nach einem Moratorium für den Bau von Rechenzentren. Dies sei nötig, solange deren Klima- und Energieauswirkungen nicht besser erforscht seien und bis mehr Nachhaltigkeitsmaßnahmen ergriffen werden könnten. Singapur hat diesen Weg vor Kurzem eingeschlagen. Die irische Mitte-Rechts-Regierung will die Herausforderungen prüfen. Die Regulierungsbehörde des Landes schrieb jüngst bereits vor, dass neue Netzanschlüsse für Rechenzentren mit den Anforderungen an die Systemstabilität und Zuverlässigkeit des Stromnetzes vereinbar sein müssen.

Laut einer aktuellen Studie liegt das Potenzial von Rechenzentren für die Energiewende noch brach. Ihr Flexibilitätsreservoir wird demnach bislang kaum gehoben. Allein in Deutschland, Großbritannien, Irland, Norwegen und den Niederlanden soll sich ihr Strombedarf bis 2030 auf rund 5,4 Gigawatt nahezu verdoppeln.

Das Ampel-Regierungsbündnis will, dass neue Rechenzentren von 2027 an klimaneutral betrieben werden. Solche Anlagen sollen etwa durch die Nutzung von Abwärme "auf ökologische Nachhaltigkeit und Klimaschutz" ausgerichtet werden, heißt es im rot-grün-gelben Koalitionsvertrag. In Frankfurt am Main, wo ein großes Datacenter nach dem nächsten entsteht, droht die Stadt aufgrund des Abwärmeproblems ebenfalls ihre Klimaziele zu verfehlen.

(olb)