Bundesregierung: Unterlassene Hilfeleistung, wenn Krankenkassen nicht warnen

Bald sollen nicht nur Krankenkassen Abrechnungsdaten verarbeiten, für die Zukunft plant das Gesundheitsministerium auch einen transatlantischen Datenaustausch.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 46 Kommentare lesen
Hand zeigt in Gesundheitsdatenraum

(Bild: PopTika/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Susanne Ozegowski, Abteilungsleiterin für Digitalisierung im Bundesgesundheitsministerium (BMG), bekräftigte erneut die Pläne für die Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Dazu nahm sie auf der diesjährigen Digital Health Conference des Bitkom kurzfristig die Stelle des terminlich verhinderten Gesundheitsministers Karl Lauterbach ein. Für die Umsetzung der Digitalvorhaben ist unter anderem auch ein 2024 kommendes Gesetz für den Umbau der Gematik geplant, für die der bisherige Produktionsleiter Florian Hartge Interims-Geschäftsführer werden soll. Essenziell für die Versorgung und Forschung sei aber vor allem auch eine "vernünftige Datenbasis".

An zentraler Stelle der Digitalisierung im Gesundheitswesen steht eine "endlich [...] funktionierende elektronische Patientenakte". Daher halte das BMG an dem im Digitalgesetz verankerten Datum, der 15. Januar 2025, für die ePA fest. 60 Prozent von 1.000 Befragten zeigten sich in einer Bitkom-Umfrage anlässlich der Konferenz offen für die Nutzung der elektronischen Patientenakte. Für deutschlandweit möglichst viele ePAs brauche es laut Ozegowski eine Informationskampagne mit Tutorials, etwa dazu, wie Ärzte in ihrem Praxisverwaltungssystem ein E-Rezept ausstellen können. Die Kampagne soll aber auch die Versicherten informieren, insbesondere darüber, wie sie der Erstellung einer elektronischen Patientenakte widersprechen können.

Als ebenfalls sehr wichtig bezeichnete Ozegowski, dass die Patienten über den Nutzen der ePA informiert werden. Essenziell seien zwar strukturierte Daten in der ePA, allerdings würde es zunächst etwas dauern, bis ausschließlich strukturierte Daten in die ePA kommen. Übergangsweise werden weiterhin PDF-Dateien und ähnliche hochgeladen. Aber auch das sei schon ein Mehrwert, "weil allein die vielen, vielen Telefonate, Faxe und so weiter" reduziert würden. Entlassberichte würden beispielsweise direkt zur Verfügung gestellt werden können. Ebenso wie Lauterbach sieht Ozegowski KI als Chance für die Umwandlung von unstrukturierten Daten in strukturierte. Bis zur Veröffentlichung der Opt-out-ePA werde das allerdings noch nicht klappen. Dafür und auch um die Daten aus der ePA mit KI analysieren zu können, habe das BMG erst vor drei Wochen entschieden, die Sicherheitsstruktur der ePA "grundlegend" zu verändern.

Auch die personalisierte Medizin solle sich künftig mit der elektronischen Patientenakte verbessern, vor allem im Bereich der Prävention. Den umstrittenen § 25b des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes (GDNG), mit dem Krankenkassen auf Basis der Patientendaten Empfehlungen aussprechen können, befürworte Ozegowski. Bereits jetzt liege ein nicht gehobener "unfassbarer Datenschatz bei den Krankenkassen, den wir nicht nutzen". So könnten Krankenkassen Schutzimpfungen empfehlen und weiteres. Man müsse sich fragen, ob es nicht "unterlassene Hilfeleistung" sei, nicht vor Gefahren zu warnen. "Dann habe ich doch eigentlich eine quasi moralische Verpflichtung, diese Möglichkeiten zu schaffen". Am Ende sei laut Ozegowski jeder frei, zu entscheiden, ob ihn die Empfehlungen interessieren oder nicht.

Das geplante Gesundheitsdatennutzungsgesetz soll die Weichen für den Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) stellen. Über Kontaktpunkte in die einzelnen Länder soll es den Plänen zufolge künftig möglich sein, Daten aus Deutschland heraus verfügbar und verknüpfbar machen zu können. Doch das soll nicht nur auf europäischer Ebene umgesetzt werden. Mit dem GDNG werden die rechtlichen Grundlagen für die Datenzugangs- und Koordinierungsstellen geschaffen. In einem Land wie Deutschland mit 80 Millionen Menschen seien die Daten nicht ausreichend, um Forschung damit zu machen, bei Krebserkrankungen sei beispielsweise sogar in den USA "der Markt teilweise zu klein". Die Kriterien, nach denen ausgesucht wird, welche Patienten in Studien eingeschlossen werden können, würden Ozegowski zufolge immer spezifischer. Daher "schauen wir auch jetzt [...] nicht nur innerhalb von Europa, sondern tatsächlich auch transatlantisch".

Zentral für die geplante Weiterentwicklung der Forschungsdateninfrastruktur ist das Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit. Im FDZ sollen die Abrechnungsdaten der Krankenkassen und die Daten aus der elektronischen Patientenakte verknüpft werden, "sofern der Patient oder die Patientin nicht widersprochen hat", so Ozegowski. Allerdings sollen dort auch "viele, viele weitere Datentöpfe" aus den verschiedenen Registern zusammenfließen, etwa aus dem Implantateregister oder den Krebsregistern, aber auch die Daten aus der Medizininformatik-Initiative. "Und ein wirklicher Schatz besteht aus diesen Daten aus einer Forschungssicht natürlich in dem Moment, wo ich in der Lage bin, diese Daten auch miteinander zu verknüpfen", damit wolle man unter anderem das Ziel von 300 Forschungsanträgen bis 2026 umsetzen.

Mit dem GDNG soll einerseits die Versorgung der Patienten verbessert werden, aber das Ziel sei anderseits auch, "endlich mehr Innovation wieder in Deutschland zu ermöglichen". Erst am Mittwoch habe Biontech über die nächsten Jahre eine Milliarde Euro Investitionen in die Forschung und Entwicklung in seinen Standort in Großbritannien angekündigt. Das habe die Politik "deutlich im Blick" und will aus diesen Gründen die Standortbedingungen ändern. Man brauche "endlich eine Dateninfrastruktur [...], die nicht nur Grundlagenforschung und universitäre Forschung" ermöglicht, sondern eben auch pharmazeutische Forschung und die Entwicklung von Medizinprodukten sowie von Impfstoffen. Für all das brauche man jedoch Daten.

Künftig soll nach dem GDNG ein federführender Landesdatenschützer die Koordination bei einem "multizentrischen Projekt" übernehmen, der dann die Verantwortung trägt, die Anforderungen mit allen anderen beteiligten Landesdatenschützern abzustimmen. Alle Datenschützer abzuschaffen sei nicht sinnvoll, da es keine Daten gibt, die so sensibel sind wie Gesundheitsdaten, so Ozegowski. Außerdem würde das die Gesetzgebung nicht zulassen.

(mack)