CO₂-Flottenbilanz 2023: Neuwagen unterbieten Grenzwerte

Die Autoindustrie hat das gesetzliche CO₂-Limit unterboten. Das könnte zumindest kurzfristig erhebliche Folgen für den Absatz von Elektroautos bedeuten.

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BMW i4 M50

Die Autoindustrie hat das CO₂-Limit der Europäischen Union mit durchschnittlich 106 g CO₂/km für Neuzulassungen um zwölf Prozent unterboten. Eigentlich gilt ein Grenzwert von 95 g CO₂/ m, aber der bezieht sich auf den abgeschafften NEFZ. Umgerechnet in WLTP sind es 120 g CO₂/km. Die Mehrfachanrechnung von Elektroautos wie diesem BMW i4 M50 wurde für 2023 ersatzlos abgeschafft. Elektroautos gehen aber weiterhin mit null Gramm CO₂ in die Bilanz ein, weil nur die direkten Prüfstandemissionen zählen.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Lesezeit: 6 Min.
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  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Die Autoindustrie hat die CO₂-Grenzwerte für die 2023 neu zugelassenen Pkw klar unterboten: Der durchschnittliche Wert aller Neuwagen betrug 106 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer, was zwölf Prozent weniger als die Vorgabe ist. Das steht im aktuellen "Market Monitor" des International Council on Clean Transportation (ICCT). Also alles gut? Nicht unbedingt: Der Zwischenerfolg könnte zu weniger Ambitionen beim Verkauf von Elektroautos führen.

Eigentlich gilt seit 2021 und bis inklusive 2024 ein Flottengrenzwert von 95 g CO₂/km. Sämtliche im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – also über die EU27 hinaus Norwegen, Island und Lichtenstein – neu zugelassenen Pkw gehen mit dem fahrzeugindividuellen CO₂-Wert in die jährliche Bilanz ein. Deutsche Halter können diese Zahl in Position V.7 der Zulassungsbescheinigung I finden. Dass 106 g CO₂/km ausreichen, um das Ziel von 95 g CO₂/km zu erreichen, liegt an der gewachsenen Struktur: Der Mechanismus bezieht sich nämlich auf den eigentlich längst abgeschafften NEFZ. Es gibt einen Umrechnungsfaktor und außerdem einen variablen Gewichtsbezug. Das Resultat: Nach WLTP (für Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure) beträgt der Grenzwert 120 g CO₂/km.

Für margenkräftige Hersteller ist es offensichtlich problemlos möglich, die CO₂-Limits viel mehr als nur zu erfüllen. Anders sieht es bei den Marken für die Massen aus: Volkswagen und Ford liegen zwar auch vier beziehungsweise fünf Prozent unter der derzeitigen Zielmarke. Für die kommende Verschärfung um 15 Prozent könnte es knapp werden – und das kostet Geld. Die in jeder Hinsicht schlechteste Lösung ist die Strafzahlung. Es sollte nicht vergessen werden, dass pro verkauftem Auto, und zwar unabhängig von seinem individuellen CO₂-Ausstoß im Zyklus, und pro Gramm Überschreitung 95 Euro nach Brüssel überwiesen werden müssen. Eine Beispielrechnung zur Veranschaulichung des Problems: Ein kleiner Hersteller mit einem Absatz von 50.000 Autos in der EU in dem betreffenden Jahr, der 5 Gramm über dem Grenzwert liegt, müsste eine Strafzahlung von 23,75 Millionen Euro leisten. Bei einem Großserienproduzenten drohen also rasch mehrstellige Millionenbeträge. Ein Ausweg aus der Lage ist das sogenannte Pooling, also die gemeinsame Bilanzierung mit einem Hersteller wie Tesla.

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Elektroautos haben einen CO₂-Wert von null Gramm, weil nur die unmittelbaren Emissionen auf dem Prüfstand erhoben werden. In der Vergangenheit wurden E-Autos mehrfach angerechnet, zuletzt mit dem Faktor 1,33. Dieser sogenannte Supercredit ist fürs Jahr 2023 abgeschafft worden. In der Statistik des ICCT lässt sich ablesen, dass diese Streichung nicht zur Schrumpfung der Elektroautos geführt hat. Das Gegenteil ist der Fall: Während der Marktanteil von Plug-in Hybridautos von zehn auf acht Prozent zurückging, stieg der für Elektroautos von 13 auf 15 Prozent. Für die Autoindustrie wird es zunehmend attraktiver, E-Autos und nicht PHEV anzubieten. Letztere senken den CO₂-Wert gegenüber konventionellen Pkw nicht so radikal wie Elektroautos und liegen im Regelfall unter 50 g CO₂/km.

CO2 Flottenbilanz 2023 (3 Bilder)

Dick gedruckt in der zweiten Spalte von rechts das CO₂-Ziel für 2023 (120 g/km) und in der dritten Spalte die tatsächlichen Werte (106 g/km). Deutlich erkennbar: Hersteller wie Volvo, BMW oder Mercedes haben es leichter, die Grenzwerte zu erreichen. Im preissensiblen Breitensegment, das von Konzernen wie Stellantis bedient wird, ist es viel schwieriger, Elektroautos zu produzieren und zu verkaufen.
(Bild: ICCT)

Wie gut sich der Absatz von Elektroautos allen Spöttern zum Trotz entwickelt, zeigen die Hersteller Volvo, BMW und Mercedes: Bei der zum Geely-Konzern gehörenden Marke Volvo stieg der Marktanteil der E-Autos von 29 Prozent für 2022 auf 33 Prozent für 2023. Der Anteil der PHEVs blieb mit 32 statt zuvor 33 Prozent praktisch fast gleich. 2024 dürfte der Anteil wegen des EX30 weiterwachsen, denn er ist nicht ganz so teuer wie der etwas größere XC40 mit E-Antrieb. Bei der BMW Group waren 20 im Vergleich zu bisher 15 Prozent Elektroautos zu verzeichnen, der Anteil der PHEV stieg von 15 auf 19 Prozent. Mercedes konnte 18 statt 14 Prozent E-Autos verkaufen, der Anteil der PHEV sank von 22 auf 19 Prozent. Im Ergebnis unterbieten diese drei Hersteller die CO₂-Vorgaben um 50 (Volvo), 21 (BMW) und 14 Prozent (Mercedes).

Weltmarktführer Toyota ist es wiederum gelungen, nahezu ohne Elektroautos und PHEV (Marktanteil zwei und drei Prozent) die CO₂-Flottengrenzwerte um neun Prozent zu unterbieten. Das ist die Folge der Hybridstrategie. Wie die Hersteller die Vorgaben erfüllen, ist ihnen überlassen. Bei Toyota hat es in der Vergangenheit ausgereicht, die CO₂-Emissionen bei den Pkw mit Verbrennungsmotor zu optimieren. Dass sich auch der japanische Konzern langsam anstrengen muss, belegen zwei Entwicklungen: Zum einen wird der Kleinwagen Yaris neuerdings ausschließlich mit dem sparsamen Hybridantrieb und nicht mehr mit dem konventionellen Saugmotor und Handschaltgetriebe angeboten. Zum anderen bereitet Toyota den Start des "Urban SUV" vor, einem elektrischen SUV im beliebten C-Segment.

Die Verschärfung der CO₂-Grenzwerte - ab 2025 beträgt das Minus mindestens 15 Prozent - ist nicht ohne immer mehr BEV zu schaffen. Toyota, der offene Skeptiker beim Elektroauto, muss darum handeln und stellt 2024 die Serienversion des Urban SUV vor. Wahrscheinlich geht es erst 2025 in den Verkauf, weil es erst dann erforderlich ist. Ob diese Haltung dauerhaft tragfähig ist, darf bezweifelt werden.

(Bild: Toyota)

Der CO₂-Flottengrenzwert liegt für den Zeitraum 2021 bis 2024 konstant bei 95 g CO₂/km nach NEFZ und wird für 2025 bis 2029 um 15[ ]Prozent abgesenkt. Angesichts der Reduktion um zwölf Prozent für 2023 sollte das kein Problem sein. Die Autoindustrie wird genau abwägen, wie viel Euro sie in welche Maßnahme zur CO₂-Reduktion investiert. Schließlich bleiben die Pkw mit Verbrennungsmotor keineswegs stehen. Die Mildhybridisierung zum Beispiel führt zu einem kleinen CO₂-Vorteil und folglich zu einem geringeren Zwang, zunehmend Elektroautos zu verkaufen. Das ist vor allem für Hersteller relevant, die anders als beispielsweise BMW oder Porsche eine eher preissensible Kundschaft haben – und das sind quantitativ die meisten Menschen.

Problematisch könnte dagegen das für 2030 definierte Minus von 55 Prozent und die für 2035 angepeilten 100 Prozent werden. Wie einfach wird es, den Hochlauf der Batteriezellproduktion kostengünstig zu realisieren? Hier ist die Zuversicht bei manchen Playern sehr groß, andere melden Zweifel an. Es ist kein Geheimnis, dass in Teilen von Politik und Industrie die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 zu einer Hoffnung werden. Sie setzten darauf, dass das faktische Verbot von Verbrennungsmotoren zumindest aufgeweicht wird. Denn zum CO₂-Flottenmechanismus gehört eine Überprüfung – der sogenannte Review – ab 2026 und danach alle zwei Jahre. Wenn sich aus den Europawahlen eine Verschiebung der Mehrheiten ergibt, könnte daraus auch eine Aufweichung der CO₂-Ziele folgen. Das wäre zwar vom bürokratischen Ablauf her aufwendig, ist aber keineswegs undenkbar. In der Kommunikation nach außen jedenfalls rudern einige Vorstandvorsitzende in der Autoindustrie bereits zurück.

(mfz)