Christdemokrat Radtke zürnt Amazon und Bezos: "Unfassbare Arroganz"

Am 5. Juli endet Jeff Bezos 27-jährige Regentschaft als Amazon-CEO. Kurz vor Schluss brüskiert er das EU-Parlament.

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Jeff Bezos neben Mikrophon

Im Europaparlament wollte Jeff Bezos (Archivaufnahme 2019) nichts ins Mikrofon sagen.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 3 Min.

"Ein Akt unfassbarer Arroganz und eine Missachtung von demokratischen Institutionen." Das wirft EU-Abgeordneter Dennis Radtke dem Amazon-Konzern und dessen Gründer, Jeff Bezos vor. Konkreter Auslöser ist, dass Bezos eine Einladung zu einer öffentlichen Anhörung im Europaparlament ignoriert und nicht einmal einen Vertreter geschickt hat. Auf Twitter drückt sich Radtke blumiger aus: "So balls out of stock at the moment Mr Bezos?" (Etwa: Eier gerade ausverkauft, Herr Bezos?)

Bloß schriftliche Antworten hat der Konzern in Aussicht gestellt. So macht man sich in Brüssel und Straßburg keine Freunde. Bei der Anhörung am Donnerstag sollte es um medial ventilierte Anschuldigungen gegen Amazon gehen: Wie sehr werden die Mitarbeiter überwacht? Befleißigt sich Amazon am Ende sogar arbeitsrechtswidriger Praktiken?

Sinnbild ist der Disput über Lieferfahrer, die in Flaschen pinkeln müssen. Natürlich geht der Konflikt Wahrheit tiefer, allem voran um die gewerkschaftliche Organisation der weltweit mehr als eine Million Amazon-Mitarbeiter. In den USA ist der Versuch, erstmals die Belegschaft eines Amazon-Logistikzentrums zu organisieren, gescheitert: Die US-Arbeiter haben gegen die Gewerkschaft gestimmt.

Auch in Europa ist die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder bei Amazon enden wollend. Wiederholte Streikaufrufe in Deutschland haben wenig bewirkt. Das weiß auch Radtke: "Da läuft ja jeder Arbeitskampf ins Leere, wenn die Mehrheit der Menschen nicht gewerkschaftlich organisiert ist", zitierte ihn der Deutschlandfunk am Tag der Arbeit, "Dieses Problem kann die Politik nicht lösen, dieses Problem müssen die Gewerkschaften für sich selbst lösen."

Amazon-Sprecher beschränken sich auf die gebetsmühlenartige Wiederholung einer Vorgabe der Rechtsabteilung: "Wir respektieren das Recht unserer Mitarbeiter einer Gewerkschaft oder einer anderen rechtmäßigen Organisation ihrer Wahl beizutreten oder auch nicht beizutreten…"

Der Abgeordnete Radtke stammt aus Wattenscheid und ist sozialpolitischer Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion im Europaparlament. Seit bald vier Jahren sitzt er dort. Als ehemaliger Gewerkschaftssekretär setzt er sich für "ein starkes soziales Europa" und einen deutschlandweiten Mindestlohn von 12,50 Euro pro Stunde ein. Bekannt ist er für seine "große Klappe" (FAZ), die wohl vielen auf die Nerven geht. Der ehemalige SPDler macht auch vor Kritik an CDU-Parteifreunden nicht halt.

Sein aktueller Kontrahent wird die Kritik verschmerzen können. Bezos ist als Gründer des Online-Buchhändlers Cadabra (heute: Amazon.com, Inc.) zum reichsten Mann der Welt geworden. Heute nähert sich sein Konzern 1.000 US-Dollar Reingewinn. Pro Sekunde.

Nun tritt Jeff Bezos als CEO Amazons zurück. Am 5. Juli, 27 Jahre nach dem Gründungstag und einen Tag nach dem in den USA vehement gefeierten Unabhängigkeitstag, übergibt er das Zepter an Andy Jassy. Der leitet seit fünf Jahren Amazon Web Services, die profitabelste Konzernsparte. In Zukunft richtet sich der Zorn der brüskierten Volksvertreter also vielleicht eher gegen Jassy.

Wirklich weg geht Bezos nicht: "Ich beabsichtige, meine Energien und Aufmerksamkeit auf neue Produkte und Projekte in frühen Stadien zu konzentrieren", ließ der Amerikaner Anfang Februar wissen. Er bleibt Amazon als geschäftsführender Vorsitzender des Verwaltungsrates erhalten.

(ds)