Das Zeitalter der Paywalls

Die aktuelle Lage beschleunigt, was sich schon lange abzeichnete: Die reine Werbefinanzierung von Medien hat ausgedient.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 359 Kommentare lesen
Das Zeitalter der Paywalls

Zeitungsübersicht auf Blendle.

(Bild: blendle.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Die Lage in vielen Medienunternehmen erscheint absurd: Die Nachfrage nach Informationen erreicht ein ungekanntes Ausmaß, die Produktion läuft in Homeoffice fast unvermindert weiter. Dennoch müssen insbesondere US-Medien bereits drastisch sparen. Ein wesentlicher Pfeiler des modernen Medienbetriebs fällt nämlich derzeit aus, die Werbung. Zwar sind gerade in Online-Medien Werbebanner sehr präsent, doch die Einnahmen sind beträchtlich zurückgegangen, denn angesichts der zu Einnahmeausfälle in der aktuellen Situation haben viele Unternehmen ihre Marketing-Etats zurückgefahren.

Was sich nun für viele Unternehmen als akut existenzbedrohend erweist, ist aber nicht nur auf die aktuelle Krise zurückzuführen. Schon lange stellt sich die Frage, wie nachhaltig das Geschäftsmodell ist, das die vergangenen 20 bis 30 Jahre des Online-Journalismus finanzierte. Dass Onlinewerbung nicht für den gesamten Medienetat aufkommen konnte, wurde offenbar, als immer mehr Verlage auf ihren Webseiten Paywalls einrichteten. Zwar ist immer noch ein guter Teil der Berichterstattung kostenfrei verfügbar, aber hinter immer mehr Links heißt es: Nur für zahlende Leser gibt es den vollen Inhalt.

Dass es für viele deutsche Verlage noch nicht ganz so ernst aussieht wie für US-Anbieter liegt auch daran, dass sie gerade ihre besten Werbekunden werden. Viele Verlage wie etwa Gruner+Jahr werben mit kostenlosen Probeabos um ihre Leser, Lokalzeitungen richten neue Newsletter ein. Auf diese Weise binden die Redaktionen, die täglich über die Lage vor Ort berichten, neue Leserkreise an sich. Oder auch die alten, die derzeit nicht an den Kiosk gehen.

Ein Unwohlsein mit dem Werbegeschäft gibt es schon lange. Die datenbasierte Online-Werbung gefährdet auf der einen Seite die Glaubwürdigkeit der Verlage, die oft keine komplette Kontrolle darüber haben, welche Inhalte auf ihren Websites erscheinen und auf welchem Wege die Daten ihrer Leser abfließen. Wer sich jedoch dem Geschäft ganz entzieht, muss herbe Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen. Und egal wie sich die Lage entwickelt, welche neuen Gesetze verabschiedet werden, als Gewinner erscheint immer wieder das gefühlte Duopol aus Google und Facebook.

Erst mit der Datenschutz-Grundverordnung und den Gesetzgebungsverfahren in Kalifornien hat die Debatte an Fahrt gewonnen, ob das wild gewucherte System wirklich noch einem anderen Zweck dient, als die Adtech-Industrie selbst zu finanzieren. Gilead Edelman plädiert im Magazin Wired dafür, das Mikrotargeting gleich ganz abzuschaffen: Das System zerstöre die wirtschaftlichen Grundlagen der Medien ohne den Nutzern greifbare Vorteile zu verschaffen.

In der Tat geraten die Protagonisten des datenbasierten Werbesystems in den vergangenen Jahren immer mehr in die Defensive. Facebook musste mehrmals eingestehen, dass die gelieferten Daten über die Wirksamkeit der Werbeausspielung schlichtweg falsch waren. Google hat mit grassierenden Betrugswellen zu kämpfen. Wenn die fast lückenlose digitale Überwachung von Milliarden Nutzern nicht einmal solche Fehlkalkulationen ausschließen kann – was nützt sie überhaupt?

Einige Werbeunternehmen versuchen derzeit ihre Datenbestände als gesellschaftliches Gut anzupreisen, indem sie etwa die heimlich per App erhobenen Location-Daten von Millionen Nutzern in Corona-Dashboards verwandeln. Während deutsche Datenschützer sich Gedanken machen, wie sich Mobilfunkdaten privatsphäreschonend aufbereiten lassen, können die Datenhändler auf Knopfdruck Visualisierungen bereitstellen, wie Zehntausende von Jugendlichen von den Stränden Floridas quer durch die USA reisten.

Dass solche Daten jedoch tatsächlich effektiv zur Pandemie-Bekämpfung eingesetzt werden können, ist jedoch kaum zu vermuten – zu unpräzise ist die Lokalisierung der üblichen Smartphone-Techniken, zu unklar die Datengüte. Der Autor Wolfie Christl nennt die Strategie "Covidwashing", die ohnehin erhobenen Daten sollen nachträglich mit Bedeutung aufgeladen werden.

Die Kehrseite ist hingegen sehr konkret: Selbst die Werbeorganisation IAB beklagte den systematischen Schaden der "Brand safety"-Mechanismen, die wichtige Berichterstattung zum Verlustgeschäft machte. Das große Argument für die gewaltige Datenerhebung ist bislang: Nur so lassen sich viele Dienste wie eben Journalismus finanzieren. Doch diese Gleichung stimmt immer weniger. Rein werbefinanzierte Medien können allenfalls nur noch ein journalistisches Sparprogramm anbieten. Das Geld, das durch die umfassende Leseranalyse erwirtschaftet wird, landet in den Taschen der Datenindustrie. Selbst YouTube muss den Influencern neue Einkommenskanäle anbieten, damit die ihre Arbeit auf Dauer aufrechterhalten können.

Dass die großen Internetkonzerne nun eiligst Förderprogramme für Lokalmedien geschnürt haben, ist kein uneigennütziger Akt: Damit Inhalte in Suchmaschinen gefunden werden können oder damit sie in sozialen Netzwerken geteilt werden können, müssen sie erst einmal produziert werden. Und die Nachrichten-Produktion ist den Konzernen des Silicon Valley so wesensfremd, dass selbst millionenschwere Programme und Investitionen immer wieder im Nichts verschwinden.

Sicher: Google News ist für viele Journalisten unschätzbar wertvoll und an den Plattformen von Facebook geht kein Weg vorbei. Doch ein wirkliches Geschäft auf Gegenseitigkeit haben beide Seiten nie gefunden. Ob Facebooks Instant Stories oder ein Google-gestütztes Abosystem – es scheitert meist daran, dass die Digital-Konzerne in Journalismus lediglich eine Art Content sehen, der irgendwie in den Mix gehört und der sich im Lizenzgeschäft oder in die Gig-Economy auslagern lässt. Resultat ist eine lange Reihe von Misserfolgen. Wenn ein Modell wirtschaftlich erfolgreich ist, taugt es allenfalls zum Zusatzgeschäft.

Viele glauben, Medien seien zu retten, wenn es nur endlich eine Möglichkeit gebe, Artikel zu akzeptablen Preisen einzeln zu kaufen. Doch dies ist für die meisten Fälle ein Irrglaube. Denn Medien sind ein Gesamtpaket, das nicht ohne weiteres zerteilt werden kann. Die große, spannende Lesegeschichte gibt es erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen, das Unternehmen pleite, der unqualifizierte Populist im Amt ist. Verhindern und steuern kann die Gesellschaft hingegen neu, wenn über Entwicklungen berichtet wird lange bevor sie zur Krise werden. Das Produkt der Medien sind nicht einzelne Geschichten, sondern ein konstanter Strom an Informationen.

Das derzeitige Werbesystem befördert Entwicklungen wie schamlosen Clickbait, um den Leser um jeden Preis zum Klick zu verleiten. Leser sind in diesem Geschäftsmodell nicht die, die die Gehälter zahlen. Diese Entwicklung ist allerdings nicht neu. Tim Wu schildert in seinem Buch "The Attention Merchants", wie die Hersteller wirkungsloser oder gar gefährlicher "Snakeoil"-Kuren zu den großen Sponsoren der ersten Massenblätter in den USA wurden, die mit Sensationalismus und Billigst-Preisen ihre Kundschaft fanden.

Werbung jedoch insgesamt zu verdammen, wäre jedoch allzu kurzsichtig. Nachdem die Snakeoil-Hersteller verbannt wurden, hatte die Werbefinanzierung auch einen gegenteiligen Effekt: Reputable Unternehmen wollten nicht neben unseriösen Schlagzeilen werben, allzu politische Parteinahme war ebenfalls verpönt. Der neutral-objektive Journalismus bekam seinen Schub durch Waschmittelwerbung, Coca-Cola und Aldi-Prospekte.

Der Werbemarkt hat immer die Medienlandschaft mitbestimmt. Die neuste Umwandlung ist bereits seit Jahren im Gange – im Guten wie im Schlechten. Verlage ziehen sich aus dem Geschäft mit dem Lokaljournalismus zurück – zu kostenaufwändig ist das alte System mit der täglichen Verteilung von Papierexemplaren der Nachrichten. Zu groß ist die Konkurrenz durch andere Medien und Plattformen.

Rückzugsgefechte wie das Leistungsschutzrecht haben nichts daran geändert, dass etwa die Zeitungen des Verlags Dumont-Schauberg wie auf der Resterampe verhökert wurden. Dass Google mal eben das Ende des Third-Party-Cookies verkündet hat, ohne dass die Auswirkungen ansatzweise geklärt sind, kann Verlagsmanager nur bestärken, ihr Heil in anderen Modellen wie der mittlerweile omnipräsenten Paywall zu suchen.

Auf der anderen Seite passen Verlage ihr Angebot an die neuen Gegebenheiten an. Statt ein möglichst uniformes, kaum von der Konkurrenz unterscheidbares Angebot zu schaffen, setzen Publikationen zunehmend auf Unverwechselbarkeit und die Schaffung einer Community. Neben den digitalen Versionen der alten Print-Zeitung versuchen die Redaktionen auch neue Formate aus -- etwa kostenpflichtige Newsletter oder Podcasts, die den Redaktionen buchstäblich eine Stimme geben.

Die aktuelle Lage zeigt deutlich: Die Medienbranche und der Journalismus sind im Wandel. Die Paywalls, die vielen Lesern lästig erscheinen, sind derzeit das einzige Geschäftsmodell, das die Informations-Infrastruktur mittelfristig aufrechterhält. (anw)