"Elon Musk" entschlüsselt: Rezension der Isaacson-Biografie

Wer den reichsten – und besonders kontroversen – Mann der Welt verstehen will, muss Walter Isaacson lesen.

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Elon Musk

Elon Musk

(Bild: dpa, Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Nils Jacobsen
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Reichster Mann der Welt, Anteilseigner von gleich fünf Milliarden-Dollar-Unternehmen (Tesla, Space X, SolarCity, The Boring Company, Neuralink), Twitter/X-Besitzer und gleichzeitig immer kurz davor, sich mit dem nächsten Tweet in den Fuß zu schießen – wie passt das zusammen?

Walter Isaacson, bereits Autor der Steve-Jobs-Biografie, hat sich der wohl faszinierendsten Persönlichkeit der Digitalwirtschaft genähert. Dass der Tech-Tausendsassa dem früheren Chefredakteur des Time Magazines über zwei Jahre exklusiven Zugang gewährte, sagt einiges über das Vorschussvertrauen in Isaacson, aber mehr noch über Musks eigenes Selbstverständnis aus: schließlich hat Isaacson Biografien über Albert Einstein, Benjamin Franklin und Leonardo DaVinci geschrieben – eine illustre Reihe, in der sich Musk offenbar selbst sieht.

Musk geht mit der journalistischen Verwertung seines Lebens ebenso nonchalant wie Steve Jobs um: Er wollte keinen Einblick in das Manuskript, sondern nahm das Ergebnis vermeintlich stoisch hin. Wie beim Apple-Gründer sind die 670 Seiten freilich nicht nur positiv.

Die Erklärung für Musks dunkle Seite, die synchron mit seinem überbordenden Erfolg in den vergangenen Jahren immer unverhohlener zum Ausdruck kam, ist gleich auf den ersten Seiten zu lesen: Musks Kindheit in Südafrika und sein schwieriger Vater. Rüde auf dem Schulhof oder im Zeltlager verprügelt zu werden, gehörte zu Musks bleibenden Kindheitserinnerungen, die von toxisch maskulinen Werten geprägt waren. 

Ob die Brücke mit einer traumatischen Kindheit zum heutigen Bully zu leicht gespannt ist, wird sich am Ende vermutlich nie herausfinden lassen – Isaacson legt sie indes nahe.

Über den Aufstieg von Tesla und Space X finden sich viele bereits erzählte Anekdoten: „Risiko ist mein Antrieb“, ist die Metapher für so ziemlich alle Herkulesanstrengungen am Rande des Abgrunds, des Wahnsinns und der Fast-Pleite. Den mit Abstand faszinierendsten Teil der Elon-Musk-Biografie macht jedoch die Twitter-Übernahme aus, die sich unerwartet vor Isaacsons Augen abspielte.

"Es versprach ein glorreiches Jahr zu werden", schreibt Isaacson über Musks Ausgangspositionen zum Jahreswechsel 2021/22, "wenn er die Dinge nur so belassen würde, wie sie waren." Elon Musk befand sich auf dem Olymp seines Schaffens: Er war gerade vom Time Magazine zur "Person des Jahres" gewählt worden, zum reichsten Menschen der Welt aufgestiegen und gleichzeitig der erste Mensch, der es auf ein Vermögen von über 300 Milliarden Dollar brachte, während Tesla in der Stratosphäre eines Billionen-Dollar-Konzerns angekommen war. "Aber es lag nicht in Musks Natur, die Dinge so zu lassen, wie sie waren."

Wie in einem Videospiel strebt Musk stets nach dem nächsten Level. "Du musst dich nicht immer in einem Kriegszustand befinden", zitiert Isaacson die Neuralink-Managerin Shivon Zilis, mit der Musk 2021 Zwillinge bekam. "Es ist aber Teil meiner Voreinstellungen", gab der heute 52-Jährige zurück.

Damit ist so ziemlich alles über die Philosophie des Seriengründers gesagt. Statt auf dem Höhepunkt seiner Karriere, dem Treiben vom höchsten Gipfel eine Weile zuzusehen, sehnte er sich nach dem nächsten Kriegsschauplatz – und selbst wenn es erst einmal ein Nebenschauplatz war.

"Musks Periode nerviger Ruhe Anfang 2022 ging fatalerweise mit einem Augenblick einher, in dem er plötzlich viel Geld in der Tasche hatte. Seine Aktienverkäufe hatten ihm 10 Milliarden Dollar in die Kasse gespült", erklärt Isaacson. "Ich wollte das Geld nicht auf der Bank lassen. Ich fragte mich, welches Produkt mir gefiel, und das war eine einfache Frage. Es war Twitter", vertraute Musk seinem Biografen an. Damit begann die Leidenschaft, die Musk zehn Monate später 44 Milliarden Dollar kosten sollte.

Zunächst wollte Musk in Twitter investieren und als Großaktionär Einfluss nehmen, das misslang. Also machte es Musk im Jahresverlauf wie immer: ganz oder gar nicht, ungefiltert auf Twitter voll drauf. Dass der Tesla-CEO in einem Jahr, in dem Tech-Aktien so schwer einbrachen wie seit der Finanzkrise 2008/09 nicht mehr, mit seinem Übernahmegebot überbezahlt hatte, schwante Musk auch; entsprechend versuchte er den Preis und sich vor der Akquisition ganz zu drücken, doch er kam aus der Nummer nicht mehr heraus.

Also bezahlte Musk und marschierte vor genau einem Jahr symbolträchtig in die Twitter-Zentrale. "Entering Twitter HQ – let that sink in", twitterte Elon Musk – und hielt, passend zum Wortspiel, ein Waschbecken in der Hand. Der Rest ist die Geschichte eines Missverständnisses, das Musk den Großteil seines Einsatzes kosten sollte. Bereits in den ersten Tagen nach der Übernahme offenbarte sich der totale Culture Clash zwischen der alten Twitter-Belegschaft und dem "Hardcore"-Seriengründer.

Die folgenden 100 Seiten, auf denen Isaacson minutiös genau, fast im Tagesrhythmus die tumultartige Twitter-Übernahme aus Musks Blickwinkel beschreibt, zählen mit Abstand zu den besten der Biografie. Näher heran an Musk kam der Leser nie. "Eines Tages, als ich klein war, warnten mich meine Eltern davor, mit Feuer zu spielen. Also nahm ich eine Schachtel Streichhölzer mit hinter einen Baum und fing an, sie anzuzünden", verrät Musk Isaacson.

Treffender könnte Musk sein Lebensmotto kaum auf den Punkt bringen: Ein bisschen scheint der reichste Mann der Welt immer zu zündeln. Gewiss, die Grenze zwischen Fakt und Fiktion verschwimmt irgendwann im Laufe der Biografie, dafür ist Elon Musk inzwischen selbst zu so etwas wie eine mythische Figur der Big-Tech-Ära geworden.

Entsprechend liegt der etwa von vielen Medien erhobene Vorwurf in der vermeintlichen Distanzlosigkeit oder Eindimensionalität von Iscaacsons Biografie. Obwohl der Starjournalist Musks hässliche Charakterzüge nicht ausspart, überwiegt am Ende das Bild des entschuldigten Genies mit Macken. "Wie Shakespeare uns lehrt", schreibt Isaacson, "haben alle Helden Fehler, manche tragische, manche wurden besiegt, und diejenigen, die wir als Bösewichte darstellen, können komplex sein."

Aber wer von "Elon Musk" deswegen enttäuscht ist, liest das Buch falsch. Der Leser sollte schließlich schlau genug sein, die Verpackung beiseite zu lassen. Die Biografie ist der bislang größtmögliche Zugang zur neben Mark Zuckerberg und Jeff Bezos prägendsten Figur des Silicon Valley. "Elon will das Risiko um seiner selbst willen", resümiert Weggefährte Peter Thiel. "Es scheint ihm zu gefallen, manchmal tatsächlich danach süchtig zu sein."

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