Fokusfalle und falsche Fotografen – die Fotonews der Woche 22/2023

Ein Start-up will professionelle Fotoshootings durch KI ersetzen, wogegen Nikon selbstverständlich etwas hat. Deren Z 9 wurde gerade per Software aufgewertet.

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Islands schwarzer Strand, wie ihn sich eine KI vorstellen könnte - nur dass dieses Foto aus Nikons Kampagne echt.

(Bild: Grey Circus Peru / Charlie Tolmos / Marco Nürnberger / YouTube (Screenshot: Heise Online))

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Nico Ernst
Inhaltsverzeichnis

Was sich in unserer Kolumne noch im Februar als Zwischenüberschrift fand, "Der gefälschte Fotograf" ist inzwischen zum Hauptthema geworden: Mit Generative AI, vulgo KI, verändert sich das Erstellen von Bildern. Nicht von Fotos, denn das sind sie nicht. Im Februar ging es um einen einzelnen Instagram-Account, der durch eine Masse an besonders künstlerischen Porträts auffiel – die allesamt mit Midjourney erstellt wurden.

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Dabei handelte es um nicht existente Personen, doch inzwischen kann jeder gegen eine Abogebühr auch Fotos von sich selbst oder anderen, realen Menschen, in fiktiven Situationen und Umgebungen erschaffen. Das jedenfalls verspricht das Start-up Photo AI. Das Neue ist, dass man die Trainingsdaten selbst bereitstellt. Das war bisher bei Angeboten wie Dall-E, Midjourney oder Stable Diffusion nur auf Umwegen möglich. Photo AI verspricht aber ganz unverhohlen, Fotoshootings zu ersetzen: Ein paar Dutzend echte Fotos hochladen, KI trainieren, dann per Prompts das gewünschte Bild beschreiben.

Das Missbrauchspotenzial ist selbstverständlich enorm. Daher verbietet das Unternehmen in seinen ziemlich versteckten AGB gleich von vorneherein, dass Nacktdarstellungen und Pornos mit dem Dienst erstellt werden. Und man muss per Klick bestätigen, dass man die Rechte an den hochgeladenen Bildern hat. Jedenfalls bis zu ebendiesem Klick, denn alles Material, was man Photo AI zur Verfügung stellt, und was damit erstellt wird, gehört dann auch dem Start-up. Es geht also nicht allein ums schnelle Geld durch Abos, sondern auch um immer mehr Trainingsdaten von echten Personen.

Wer solche Angebote nutzt, gibt also die Kontrolle über Darstellungen von echten Personen vollkommen auf. Es gibt eine Zielgruppe, die das schon seit Jahren für Bilder von sich selbst weitgehend praktiziert: Influencer. In einem Teil dieses ja auch seriös betriebenen Geschäfts mit der Selbstvermarktung geht es nur um Demonstration von einem erfüllten Luxusleben, mit Konsum von den Produkten und Dienstleistungen, für welche die Influencer werben. Die Bilder gleichen sich oft, man denke an die "Instgrammable Locations" wie die in der Szene "Infinity Pool" genannten kleinen Gumpe am Königssee. Die wurde jahrelang für das nahezu identische Foto überrannt, das Naturschutzgebiet geschädigt, bis die Behörden den Ort Mitte 2021 sperrten. Durch KI-Angebote wie Photo AI dürften sich die Bilder an "exotischen" Orten noch mehr gleichen. Es liegt auf der Hand, dass die Influencer sich durch möglicherweise massenhafte Nutzung von KI-Bildern langfristig selbst schädigen.

Gerade um fotogene Darstellungen der Natur geht es auch bei einer Kampagne für und mit echten Fotos, die Nikon vor Kurzem in Peru gestartet hat. Das ist alles höchst ironisch, schon der Titel der Kampagne, "Natural Intelligence" ist der Gegenentwurf künstlicher Intelligenz. Dazu kommen noch die Titel der Bilder, welche die Agentur Circus Grey Peru getextet hat. Sie beschreiben, wie in etwa ein Prompt für einen Bildgenerator aussehen könnte, der das Naturfoto erstellen soll. So ist etwa ein Bild des schwarzen Sandstrandes Reynisfjara in Island mit folgendem Prompt versehen: "a realistic minecraft cliff at the seashore in winter season". Die Text-Bild-Schere sorgt hier für Komik, denn die düstere Landschaft des Strandes erinnert nicht entfernt an die knallbunte Grafik von Minecraft. Nur die Felsstrukturen sehen so aus wie die bewusst pixelhafte Gestaltung des Spiels. Der Creative Director der Agentur, Charlie Tolmos, hat die Print- und Plakatmotive in einem YouTube-Video ausführlich vorgestellt.

Hinter der Kampagne steht offensichtlich, dass ein Unternehmen wie Nikon sich Sorgen um den Absatz von Kameras und Zubehör macht, wenn plötzlich jeder interessante Bilder per KI erstellen kann. Zumindest im professionellen Bereich muss Nikon da noch lange wenig befürchten, wenn es seinen Kurs mit Gratis-Updates für die Firmware hält. In dieser Woche ist bereits die vierte Hauptversion für die Z 9 erschienen, welche beim Einsatz High-End-Kamera ganz neue Arbeitstechniken ermöglicht – unter anderem die Fokusfalle.

Mit diesem Begriff bezeichnete man schon in der analogen Ära der Fotografie das automatische Auslösen, sobald der Autofokus arbeitet. Genauer sollte man von optischer Bewegungserkennung sprechen, denn meist wurde die Fokusfalle genutzt, um eine Änderung bei einem zuvor gewählten Motiv zu erkennen. Variiert der Abstand, den der Autofokus gemessen hat – Klack – die Kamera macht ein Bild. In der digitalen Welt ist dafür ein Gebastel mit Klebestreifen und festgeklemmten Drahtauslösern nicht mehr nötig, das übernimmt die Software. Und im Falle der Z 9 die ohnehin schon vorhandenen KI-Funktionen: Nicht nur der Abstand, sondern auch ein Motiv lässt sich als Auslösekriterium bestimmen. Dahinter steckt maschinelles Lernen, das auch bei anderen Herstellern inzwischen sehr genau scharfstellt, beispielsweise auf die Augen von Menschen.

Was dafür als Szenario unmittelbar auf der Hand liegt, ist die Sportfotografie, ohnehin eine Domäne von Nikon. Wer bei Fußballübertragungen im Fernsehen mal die Szene hinter den Toren betrachtet hat, dürfte schon vor Jahrzehnten die Kameras mit Antennen gesehen haben. Diese wurden oft noch manuell auf Verdacht ausgelöst. Heute könnte man dort für jeden Spieler eine eigene aufstellen, die nur dessen Szenen vor dem Tor vollautomatisch festhält. Nikon würde sich sicher freuen, wenn zehn Z9-Bodies 60.000 Euro in die Kasse spülen. Für jeden Feldspieler der angreifenden Mannschaft eine Kamera ist aber auch für große Bildagenturen ein Overkill. Für kleinere Unternehmen ist, wenn sich die Funktion bewährt, die zweite Kamera auch nur dann eine interessante Option, wenn ein Fotograf allein mehrere Perspektiven aufnehmen soll.

Bei so viel Hightech und Virtualität darf das Foto zum Anfassen nicht fehlen. Die bunten Schnappschuss-Kameras der Serie Instax von Fujifilm haben das Sofortbild in den letzten Jahren wiederbelebt, in der Tat gibt es die Marke aber schon seit 1998. Weil nun aber Retro ein Dauertrend der Fotobranche ist, sieht die neue Instax SQ40 ein bisschen aus wie die alten Polaroids: Schwarzes Gehäuse mit silbernen Akzenten lassen unmittelbar an die 60er- bis 80er-Jahre denken. Selfies, wenn da auch noch nicht so genannt, waren seit jeher ein Grund für Sofortbilder. Und weil Digitaltechnik mit Frontdisplay für eine 160-Euro-Kamera kaum infrage kommt, hat die Instax neben dem Objektiv einen winzigen Spiegel. An den typischen Selfies auf Social Media sieht man auch, wer ernsthaft fotografiert: Da blicken die Personen nämlich direkt in die Kamera, die nicht in der Mitte des Displays eines Smartphones sitzt.

Selbst Leica, bei denen Retro ja Teil des Markenkerns ist, kommt um die Frage nach dem Aussehen einer Kamera nicht mehr herum. Neue Farbvarianten sind zwar bei Leica öfter zu sehen, die neue SL2 schreit aber geradezu, naja, eben "Retro!". Silbern eloxierter Boden und Deckel, Lederoptik für die schwarzen Teile, das alles lässt an die Legenden der Serien R und M von Leica denken. Ganz so alt ist die Technik im Inneren jedoch nicht, denn die SL2 erschien erst 2019 und ist auch im neuen Look unverändert. Angesichts allgemeiner Marktentwicklung ist der Aufpreis von 300 Euro für das silberne Modell moderat. Absolut gesehen nicht: 7.100 Euro kostet der Vollformat-Body. (cbr)